# taz.de -- BND-Zentrale in Pullach: Was wird aus diesem Täterort? | |
> Der BND räumt seine Zentrale, die einstige „Reichssiedlung Rudolf Heß“. | |
> Seit das Gelände unter Denkmalschutz steht, wird darüber gestritten. | |
Bild: Hinter Beton und Bewuchs verbirgt sich die frühere „Reichssiedlung Rud… | |
In vielen Kommunen herrscht Untergangsstimmung, wenn eine Behörde abzieht | |
oder ein Bundeswehrstandort geschlossen wird. Ganz anders in Pullach, einer | |
schmucken Gemeinde südlich von München. Hier hat man sich ziemlich schnell | |
mit dem Gedanken angefreundet, dass der Bundesnachrichtendienst (BND), der | |
sich seit Jahrzehnten mitten in einem gutbürgerlichen Wohngebiet hinter | |
hohen Mauern und Stacheldraht verschanzt, nach Berlin übersiedeln wird. | |
Ende 2015 sollen die ersten von rund 4.000 Mitarbeitern in die Hauptstadt | |
ziehen. Dann sollte mitten im Ort ein etwa 70 Hektar großes, bestens | |
verwertbares Filetgrundstück frei werden. | |
Endlich, so hofften die Pullacher Kommunalpolitiker, gebe es wieder eine | |
Entwicklungsmöglichkeit für die zwischen der tief ins Voralpenland | |
eingeschnittenen Isar und der S-Bahn samt Bundesstraße eingeklemmten | |
Gemeinde. Obendrein ein hübsches Sümmchen für das Stadtsäckel, wenn man das | |
Grundstück meistbietend an einen Investor verkaufen könnte. Die Bodenpreise | |
in Pullach sind fast so astronomisch wie im nahen Promiparadies Grünwald. | |
Doch dann kamen die Denkmalschützer und machten den Pullachern eine Strich | |
durch die Rechnung. Denn der Ort, der seit 1947 vom BND, dem | |
Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik, genutzt wird, hat Geschichte, wenn | |
auch keine besonders ruhmvolle. Die „Organisation Gehlen“, Vorläuferin des | |
BND, war nicht ohne Grund von Oberursel bei Frankfurt nach Oberbayern | |
übergesiedelt. | |
Pullach war für den notorischen Kommunistenfresser Reinhard Gehlen, vormals | |
Wehrmachtsgeneral und Leiter der Abteilung „Fremde Heere Ost“, weit genug | |
von der innerdeutschen Demarkationslinie entfernt, um sich, falls „die | |
Russen“ kämen, noch geordnet zurückziehen zu können. Außerdem gab es hier | |
einen in sich geschlossenen Gebäudekomplex mit diversen Wohnhäusern, einem | |
repräsentativen Stabsgebäude, nebst Kindergarten, Autowerkstatt und sogar | |
Gewächshäusern zur Eigenversorgung: die „Reichssiedlung Rudolf Heß“, im | |
alltäglichen Sprachgebrauch etwas schlichter firmierend als Siedlung „Im | |
Sonnenwinkel“. Ein nahezu idealer Ort für die neue Agentenzentrale. | |
## Martin Bormann hielt Hof | |
Die etwa 40 Gebäude umfassende Anlage, errichtet zwischen 1936 und 1938 von | |
dem Starnberger Architekten und Bootsbauer Roderich Fick, war eine Art | |
braunes Wandlitz für Bonzen der NSDAP-„Reichsleitung“ und deren Familien | |
rund um den Münchner Karolinenplatz. Vor allem Hitlers mächtiger Sekretär | |
Martin Bormann hielt in Pullach Hof. Zur Zeit des Baus der Reichssiedlung | |
war er „Leiter des Stabes des Stellvertreters des Führers“. Spätestens na… | |
Heß’ mysteriösem Englandflug avanciert er zu einem der mächtigsten Männer | |
des Reiches, der den so wichtigen persönlichen Zugang zum „Führer“ | |
kontrollierte. | |
Später kam noch die Bunkeranlage „Siegfried“ hinzu, eines von zahlreichen | |
übers ganze Land verteilten „Führerhauptquartieren“. Hitler selbst | |
befehligte von Pullach aus zwar keine Truppen, schaute jedoch gerne mal | |
vorbei, wenn er auf dem Weg in seine Berchtesgadener Sommerfrische, dem | |
„Berghof“, war. Im Krieg unzerstört, nutzte die US-Army die Siedlung | |
zunächst als Kriegsgefangenenlager, dann als Hauptquartier der Civilian | |
Censorship Division. Schließlich zogen Gehlen und seine Mannen an die Isar. | |
Wer heute durch die Pullacher Heilmannstraße geht, die das BND-Gelände in | |
einen westlichen und einen östlichen Teil teilt, sieht von der ehemaligen | |
Reichssiedlung hinter hoch aufragenden Mauern nur die charakteristischen | |
Wohnhäuser mit ihren steilen Walmdächern, die nicht zufällig an Goethes | |
Gartenhaus in Weimar erinnern. Die schnuckeligen Häuschen gruppieren sich | |
um einen rechteckigen Platz als „grünem Anger“, wie es aus einer | |
Beschreibung der BND-Historie im Internet hervorgeht. | |
Ausgerichtet ist das Ensemble auf das zentrale „Stabsleitergebäude“, den | |
zeitweiligen Wohnsitz von Bormann und seiner Familie, mit einem | |
dahinterliegenden Skulpturengarten, den Kunstwerke der unter den Nazis wohl | |
gelittenen Bildhauer Josef Thorak und Fritz Klimsch zieren. Für den | |
gewissen Öko-Touch sorgte der Landschaftsarchitekt Alwin Seifert, der als | |
Reichslandschaftsanwalt auch des Führers Autobahnen mit ortstypischem | |
Gewächs eingrünen ließ. Ein fast idyllisch anmutender Mikrokosmos, in dem | |
braune Ideologie vorgelebt wurde. | |
Hier einfach Tabula rasa zu machen und das BND-Gelände zum Zwecke der | |
„Grundstücksbevorratung für kommende Generationen“ zu nutzen, dieser Weg | |
war jetzt versperrt. Jürgen Westenthanner ist der Ärger über die | |
Denkmalschützer noch deutlich anzumerken. Der Pullacher Bürgermeister und | |
die ihn tragende CSU-Rathausmehrheit hatten mit allen Mitteln versucht, die | |
Denkmalwürdigkeit der Reichssiedlung wieder zu kippen. Sogar ein | |
Gegengutachten gab man in Auftrag. Doch der Bayerische Landesdenkmalrat | |
ließ sich nicht erweichen. Die Stabssiedlung sein „eine einheitlich | |
geplante Gesamtanlage von architekturgeschichtlicher und wegen ihrer | |
Bewohner von herausragender geschichtlicher Bedeutung“, urteilte die | |
Behörde unbeeindruckt. | |
## Rühriges Geschichtsforum | |
Auch von einen Dokumentations- oder Gedenkort, an dem die wechselvolle | |
Geschichte der Siedlung und ihrer Bewohner und Besucher erfahrbar gemacht | |
werden könnte, hält Westenthanner wenig. „Pullach war nur ein winzig | |
kleines Rädchen“, sagt der CSU-Politiker und meint damit wohl die Zeit der | |
Nazidiktatur. Auch an die Organisation Gehlen und den BND möchte | |
Westenthanner weder erinnern oder erinnert werden. „Den gibt es doch noch, | |
dem muss man noch nicht gedenken.“ Gedenkstätten sollten nur dort errichtet | |
werden, wo es sinnvoll sei, meint Westenthanner. | |
Immerhin rang sich der Gemeinderat zu dem Beschluss durch, das rührige | |
„Geschichtsforum Pullach“ mit ein paar tausend Euro zu fördern. Davon | |
bezahlte die Bürgerinitiative die Historikerin Susanne Meinl, die eine hoch | |
informative Ausstellung mit dem Titel „Pullach Heilmannstraße: Ein | |
geheimnisvoller Ort“ auf die Beine stellte. Innerhalb von vier Wochen vor | |
Weihnachten zog die Schau im Pullacher Bürgerhaus etwa 2.500 Besucher an. | |
Die Ausstellung soll unter anderem noch in der Dokumentation Obersalzberg | |
in Berchtesgaden und im künftigen Münchner NS-Dokumentationszentrum zu | |
sehen sein. Ein Buch über die Geschichte der Reichssiedlung ist in | |
Vorbereitung. | |
Ganz so unbedeutend, wie Westenthanner meint, war die Rolle, die Pullach in | |
der NS-Zeit spielte, wohl nicht. Meinl vergleicht die Reichssiedlung mit | |
Hitlers Sommerrefugium am Obersalzberg. Auch in Pullach sei | |
„Weltgeschichte“ geschrieben worden. 10- bis 15-mal habe Hitler die | |
Siedlung besucht, für seine Freundin Eva Braun soll sogar ein eigenes Haus | |
zur Verfügung gestanden haben. In Pullach wurde auch das Münchner Abkommen | |
vorbereitet, das noch einmal Friedenshoffnungen nährte, in Wirklichkeit | |
aber nur ein braunes Propagandamanöver war. | |
In der Endphase des Krieges leitete Erwin Rommel von Pullach aus Aktionen | |
gegen das abgefallene Italien; gerüchteweise soll sich Mussolini nach | |
seiner Befreiung vom Gran Sasso in der Reichssiedlung aufgehalten haben. | |
Die Alliierten betrachteten Pullach als Teil der „Alpenfestung“ und ebneten | |
mit Gehlen und seinem Tross manchem Altnazi und Kriegsverbrecher wie Klaus | |
Barbie den Weg in den neuen deutschen Geheimdienst. Die zum Teil höchst | |
problematische Entstehungs- und Frühgeschichte des BND von 1945 bis 1968 | |
wird zurzeit von einer Historikerkommission untersucht. | |
## Kristallisationspunkt prekärer Kontinuitäten | |
Nicht genug Stoff für einen Erinnerungsort? Susanna Tausendfreund kann | |
diese Einschätzung nicht nachvollziehen. Die Grünen-Politikerin, die sich | |
bei der Kommunalwahl im März um den Bürgermeisterposten bewirbt, plädiert | |
dafür, offensiv mit der eigenen Geschichte umzugehen. Die Siedlung sei | |
nicht nur „Täterort“ der NS-Zeit, sondern auch Kristallisationspunkt | |
prekärer Kontinuitäten beim Übergang in die Epoche des Kalten Krieges. Die | |
CSU wolle das Thema nicht anrühren, sagt Tausendfreund. Westenthanners | |
Argument, Pullach dürfe nicht zum „Wallfahrtsort von Neonazis“ werden, hä… | |
sie für vorgeschoben. | |
Noch deutlicher wird Winfried Nerdinger, der Gründungsdirektor des im Bau | |
befindlichen NS-Dokumentationszentrums in München. Er hält die | |
Reichssiedlung für ein wichtiges Dokument der NS-Zeit, das zu Recht unter | |
Ensemble- und Denkmalschutz stehe. Der „Käseglocke“ des BND sei es zu | |
verdanken, dass das Ensemble fast vollständig erhalten sei. Nerdinger | |
plädiert dafür, die Siedlung keinesfalls zu verkaufen, sondern in Zukunft | |
überwiegend öffentlich zu nutzen und ihren „Gesamtcharakter“ zu bewahren. | |
Tausendfreund könnte sich eine Dauerausstellung vorstellen nebst Schulungs- | |
und Veranstaltungsräumen im Stabsleitergebäude oder einem der anderen | |
Bauten der ehemaligen „Siedlung am Sonnenwinkel, vielleicht als Außenstelle | |
des Münchner NS-Dokuzentrums. Platz gebe es auf dem weitläufigen Gelände | |
auch für Kitas oder die Volkshochschule und kulturelle Zwecke. „Ohne | |
Nutzung geht es nicht“, betont Nerdinger. Über die Ängste und Vorbehalte | |
mancher Pullacher kann der Historiker nur den Kopf schütteln. „Man kann | |
sich seine Geschichte nicht aussuchen.“ | |
10 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Georg Etscheit | |
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