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# taz.de -- Republik Abchasien: Das Land im Nirgendwo
> Ein paar Kilometer weg vom olympischen Kosmos liegt Abchasien. Es wird
> nur von vier Ländern weltweit anerkannt. Ein Reisebericht.
Bild: Einladend wirkt die abchasische Flagge nicht gerade.
ABCHASIEN taz | Wir sind drin, endlich. Fünfmal wurden unsere Pässe von
Uniformträgern kontrolliert. Dazu kamen noch ein paar Zivilisten,
vielleicht Geheimdienstler, die nicht so recht wussten, was sie mit uns
Olympia-Journalisten anfangen sollten. Die wollen nach Abchasien? Wieso? In
dieses ärmliche Land? Von Anfang an ist klar, dass sie uns nicht abweisen
wollen.
Es scheint keine klaren Richtlinien zu geben, wie mit uns zu verfahren ist,
und der Kollege Rüttenauer hat auch ein wichtiges Einreisepapier im Hotel
liegen lassen, aber irgendwie findet sich ein Weg. Abchasien, dieses Land
im Nirgendwo des Völkerrechts, erwartet uns.
Wir schießen in der Zwischenzeit Fotos, was strengstens untersagt ist.
Grenzer Artjom bittet uns, die Schnappschüsse zu löschen. Wir stellen uns
so ungeschickt an, dass wir später feststellen: Alle Fotos sind noch auf
der Speicherkarte drauf. Wir landen schließlich bei einem jungen Kerl vom
abchasischen Außenministerium, der uns je ein Visum zum Preis von 400
Rubel, etwa 8 Euro, verkauft.
Er weist uns in seiner überheizten Hütte darauf hin, dass wir uns in
Abchasien gern „erholen und umschauen“ können, journalistisch arbeiten
sollten wir lieber nicht. Das zehn Tage gültige Visum ist grün-weiß
gestreift wie die abchasische Flagge und trägt dieses merkwürdige Wappen:
Sieben Sterne stehen über einer Hand, die zu sagen scheint: „Stopp, keinen
Schritt weiter!“ Einladend ist das nicht gerade.
## Säckeweise Mandarinen
Der kleine Grenzverkehr läuft wie geschmiert. Babuschkas ziehen kleine
Karren mit Kartoffeln, Lorbeer oder Eiern rüber ins russische Adler.
Armenier transportieren säckeweise Mandarinen über das Grenzflüsschen Psou.
Mandarinen sind der ganz große abchasische Exportschlager. Das hatten uns
vorher schon ein paar Georgier aus Sotschi verraten, und auch der
Taxifahrer, der uns in fünf Minuten an die Grenze gefahren hat, erzählt von
den großartigen abchasischen Mandarinen. Auf dem Markt des Grenzstädtchens
Gjarypsch lässt sich schon erahnen, dass das olympische Sotschi nicht nur
fünf Kilometer weit weg liegt, sondern Lichtjahre.
Während drüben mit einer Unsumme die Region olympisch zugerichtet wurde,
scheint man Abchasien vergessen zu haben. Wir befinden uns in einer anderen
Welt, im Abseits der imperialen 5-Ringe-Show. Der morbide Charme des
Schäbigen kriecht aus jeder Dreckecke und aus jeder wackeligen Bude. Kühe,
Hühner und Hunde laufen über die Straßen und behindern den Verkehr. Eine
Marschrutka, also ein kleiner Bus mit speckigen Sitzen, bringt uns in den
nächsten größeren Ort, nach Gagra. Das war einst eine ansehnliche
Sommerfrische, hier kurten Monarchisten und Kommunisten unter Palmen und
Zypressen.
Doch seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion geht es mit Gagra bergab. Die
Einwohnerzahl hat sich halbiert, jetzt wohnen hier nur noch 15.000
Menschen. Viele wurden vertrieben – oder umgebracht. 1992 fand das
„Massaker von Gagra“ statt, als abchasische Freischärler ungezählte
Georgier niedermetzelten und einige von ihnen entlang der Küstenstraße
aufhängten. Die Sezessionskriege haben das Land zerrüttet. Georgien
beansprucht bis heute dieses Gebiet, das nur von Venezuela, Nicaragua,
Nauru und Tuvalu anerkannt wird. Gagra, dieses einstige „Monte Carlo
Russlands“, wirkt wie leer gefegt.
Wo das Stadtzentrum liegt, wollen wir wissen. „Da vorne bei der Ampel“,
sagt einer der Männer, die gerade an einem arg teuren Auto aus Deutschland
herumschrauben. Bei der Ampel waren wir schon. Dort gibt es eine kleine
Ladenstraße. „Ampelzentrum“ heißt sie. In einem Laden werden wir als
Deutsche identifiziert. „Wie sind Sie hergekommen?“, fragt die Frau hinter
der Theke. „Auf eigene Faust? Respekt!“ Dann will sie wissen, wie wir die
Olympischen Spiele finden. „Ein wenig zu groß geraten“, sagen wir. Das
versteht die Frau nicht. „Wenn sie das da drüben nicht hingebaut hätten,
sähe es in Sotschi genauso aus wie hier.“
## Zwei feudale Sanatoriumsbauten
Viel Ansehnliches ist nicht zu sehen in Gagra. Ein Erholungspark am
Ortseingang und zwei feudale Sanatoriumsbauten, die saniert sind. Man kann
ahnen, dass auch die Strandpromenade einmal etwas hergemacht hat. Was das
Meer angeschwemmt hat, räumt vor dem Sommer gewiss niemand mehr auf. Und
wenn die Urlauber aus Russland kommen, dann werden auch sie über die
schlecht befestigten und bröselnden Betonsteige zum Strand gehen müssen.
Immerhin werden dann all die Buden, die jetzt verrammelt sind, geöffnet
sein. Ob sie die Erwartungen erfüllen können, die ihre Namen wecken?
Flamingo, Malibu, Riviera. Den russischen Sonnenanbetern wird es egal sein.
Sie schätzen die abchasische Schwarzmeerküste vor allem, weil der Urlaub
dort viel billiger ist als in Sotschi oder Adler.
## Armenisches Schaschlik
Doch die Saison hat noch nicht begonnen. Im ganzen Ort finden wir nur eine
Bar, die geöffnet hat. Das Wirtsleutepaar ist sicher, dass ihr armenisches
Schaschlik besser ist als alles, was man in Russland kaufen kann. Armenien
ist sowieso besser als Russland, erzählen sie. Jerewan, die Hauptstadt, sei
sauberer als Moskau.
„Da ist es nicht so dreckig wie hier in unserem Mafia-Café“, sagt Wirtin
Rosa und schämt sich. Kurz zuvor hat sie uns ungeniert hinter das Haus
geschickt, als wir nach der Toilette gefragt haben. Wir können uns
aussuchen, worauf wir urinieren – auf alte Schulbücher, einen verrosteten
Herd oder einen Heizkörper.
Bevor wir aufbrechen, erhalten wir noch eine landeskundliche Lektion.
Mindestens die Hälfte der Abchasier würde aus Armenien stammen, sagt der
Wirt. Abchasisch sei eine komische Sprache, sagt ein Passant, der sich
einmischt. Geschrieben werde sie in kyrillischen Buchstaben. Dazu gebe es
noch ein paar andere Zeichen. „Das ist wie Chinesisch“, sagt der Mann. Die
Georgier, die in Gagra gelebt haben, seien nach dem Unabhängigkeitskrieg
abgehauen. Wir wissen, dass das nicht alle rechtzeitig geschafft haben.
Kurz darauf sitzen wir im Bus, der uns zurück zur Grenze bringen soll. Ein
paar Kilometer, bevor wir die erreichen, muss der Fahrer an einem
Kontrollpunkt anhalten. Russland hat vor Olympia eine Sicherheitszone
entlang der Grenze eingerichtet, um die Spiele vor terroristischen
Anschlägen zu schützen. Wir müssen unsere Pässe zeigen. „Gagra?“, fragt…
Milizionär. „Was haben Sie denn in Gagra gemacht?“ Er schüttelt den Kopf,
als wir sagen, dass wir nur ein wenig am Strand spazieren gegangen sind.
„Und hat es Ihnen gefallen?“ Wir nicken. Der Milizionär muss grinsen und
lässt uns passieren. Wir sind zurück aus dem Nirgendwo.
19 Feb 2014
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
Markus Völker
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