| # taz.de -- Debatte Russisch-ukrainischer Konflikt: Krim oder Frieden? | |
| > Europa bemüht sich um Frieden in der Ukraine. Sollten Grenzveränderungen | |
| > Teil der diplomatischen Verhandlungen sein – oder nicht? | |
| Bild: Die Krim aus der Sicht der Nasa. Die Nato hat eine andere Perspektive. | |
| Ja zum Kompromiss | |
| Die faktische Besetzung der Krim durch russische Kräfte ist ein Affront. | |
| Ein Affront, den weder die neu gebildete Regierung in der Ukraine noch die | |
| EU oder die USA hinnehmen können. Daher sind alle angedrohten und geplanten | |
| Sanktionen mehr als angebracht, um Wladimir Putin in die Schranken zu | |
| weisen. | |
| So weit, so gut – aber eine Frage bleibt: Was, wenn sich der russische | |
| Präsident von diplomatischem und wirtschaftlichem Druck schlichtweg nicht | |
| beeindrucken lässt? Soll der Westen klein beigeben? Oder soll er – unter | |
| welchem Mandat auch immer – militärisch eingreifen? Ersteres ist nicht | |
| akzeptabel. Letzteres reiner Wahnsinn. | |
| Um von dem Pulverfass, auf dem die Welt gerade sitzt, herunterzukommen, | |
| bleibt ein dritter Weg: mühsame Verhandlungen, die zu einer Lösung führen | |
| müssen, die eigentlich niemand will, mit der aber alle Beteiligten | |
| irgendwie leben können. Auch Putin. Dafür müssen alle Möglichkeiten | |
| ergebnisoffen auf den Tisch. Und dazu gehört auch eine Veränderung der | |
| Grenzen der Ukraine, etwa durch eine Abspaltung und/oder die Unabhängigkeit | |
| der Halbinsel Krim. | |
| Dieser Preis ist hoch. Und eine Neufassung von Staatsgrenzen kann | |
| dramatische Folgen haben, wie etwa in Jugoslawien. Dennoch waren | |
| Grenzverläufe nie sakrosant. Solange sie politisch opportun schienen, hat | |
| der Westen Grenzverschiebungen nicht nur akzeptiert – sondern auch | |
| unterstützt. Etwa bei der Abspaltung von Lettland, Litauen und Estland von | |
| der Sowjetunion. Oder, wir erinnern uns, der deutschen Einheit. | |
| Natürlich kann man die Krim Putin jetzt nicht einfach zum Fraß vorwerfen. | |
| Am Ende könnte die Ukraine aber ein Stück kleiner sein. Und Putin wieder | |
| ein Stück mächtiger. Aber wenn das der Preis ist, der gezahlt werden muss, | |
| um eine weitere Eskalation, einen Krieg zu verhindern, dann ist er nicht zu | |
| hoch. Eine Volksabstimmung über die Zukunft der Halbinsel, bei der sich | |
| alle Beteiligten vorab verpflichten, unabhängig vom Ausgang die | |
| Minderheitenrechte zu respektieren, könnte genau der Kompromiss sein, den | |
| am Ende alle Beteiligten irgendwie akzeptieren würden. GEREON ASMUTH | |
| *** | |
| Nein zur Aggression | |
| Die gegenwärtige Konfrontation zwischen der Ukraine und Russland ist kein | |
| zwischenstaatlicher Konflikt. Russische Truppen stehen auf der Krim nicht, | |
| um der Ukraine Territorium streitig zu machen – sondern weil sie mit dem | |
| Umsturz in Kiew nicht einverstanden sind. Deswegen wäre eine Übertragung | |
| der Krim an Russland keine Lösung. | |
| Die Ukraine ist weder die Sowjetunion noch Jugoslawien noch die | |
| Tschechoslowakei – Bundesstaaten, die in ihre bestehenden Teilrepubliken | |
| zerlegt werden konnten. Die Krim ist auch weder Kosovo noch Südsudan – | |
| Länder, die unabhängig wurden, nachdem dort Befreiungsbewegungen jahrelang | |
| gegen Zentralregierungen gekämpft hatten. | |
| Was Russland mit der Ukraine anrichtet, gründet auf der imperialen Doktrin, | |
| dass die Grenzen der Souveränität ehemaliger Sowjetrepubliken nicht von | |
| diesen selbst definiert werden, sondern von Moskau. Dies zu akzeptieren und | |
| damit Aggression zu belohnen schafft keinen Frieden, sondern Dauerkonflikt, | |
| wie bereits das Beispiel Georgien zeigt. | |
| Die größten Massenmorde des 20. Jahrhunderts in Europa erfolgten immer | |
| dann, wenn Gewaltherrscher anstrebten, ethnisch homogene Bevölkerungen zu | |
| schaffen. Neue Staatsgrenzen zu ziehen, um Volksgruppen voneinander zu | |
| trennen, löst keine Konflikte. Es legitimiert ethnische Säuberungen | |
| innerhalb dieser Grenzen. Das hat in Europa Abermillionen Menschen das | |
| Leben gekostet und unermessliches menschliches Leid produziert, zuletzt bei | |
| der Zerschlagung des multiethnischen Bosnien-Herzegowina vor zwanzig | |
| Jahren. Eine europäische Diplomatie, die solche Schritte empfiehlt, macht | |
| sich selbst überflüssig. | |
| Der richtige Weg für Europa besteht darin, die neuen Machthaber der Ukraine | |
| zu unterstützen – aber diese Unterstützung an Bedingungen zu koppeln. Und | |
| Russland muss vor die Wahl gestellt werden, seine illegale | |
| Besatzungspolitik zu beenden oder auf die Integration seiner Oligarchie in | |
| die europäische Wirtschaft zu verzichten. Auf der Krim nachzugeben hieße, | |
| ganz Osteuropa erneut dem Recht des Stärkeren zu überlassen. DOMINIC | |
| JOHNSON | |
| 6 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Gereon Asmuth | |
| Dominic Johnson | |
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