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# taz.de -- Offene Beziehungen und Geheimnisse: Jenseits der Monogamie
> Johanna will alles wissen, Eva nichts. Christopher und Sarah haben keine
> Geheimnisse. Ein Porträt zweier offener Beziehungen.
Bild: Liebe ist für viele da.
Sarah sitzt am Küchentisch und erzählt, dass sie beim Sex nicht schön
aussieht. Zumindest nicht so, wie es im Fernsehen gezeigt wird. Sie lächelt
und versinkt in Christophers Blick. Christopher Gottwald (41) lebt in
seiner Berliner Wohnung allein, in seinem Herzen ist hingegen Platz für
viele. Sarah Bouars (31) und er führen eine Beziehung. Daneben gab es von
Beginn an andere Frauen, andere Männer – aber keine Geheimnisse.
Mit dem Partner über alles zu sprechen, auch über die Nacht bei jemand
anderem, sei „schon heftig, aber reinigend“, sagt Sarah. „Das ist unsere
Realität, warum sollen wir nicht darüber sprechen?“, so Christopher. Er hat
viel zu sagen. Auch öffentlich – als Lobbyist für alternative
Beziehungsmodelle: Er ist Pressesprecher des Polyamoren Netzwerks, hält
Vorträge und Workshops.
Geheimnisse habe er kaum. Das war nicht immer so: Als Christopher sich vor
12 Jahren für Polyamorie („viele Lieben“) entschieden hat, drückte er sich
erst mit Halbwahrheiten durch Beziehungsgespräche. Das habe sich nicht gut
angefühlt. „Es bleibt was zurück“, wirft Sarah ein. Die beiden gehen im
Gespräch aufeinander ein – mit Sätzen, die klingen wie aus einem
pädagogisch-spirituellen Ratgeber.
Als Christopher zur Arbeit fährt, mixt er für sich und Sarah einen Smoothie
aus Salat und Kiwi. Auch in ihrem Beziehungsrezept sind sie sich einig:
„Lieber zu viel als zu wenig reden – alle sollen von allen wissen.“
## Eifersucht und Regeln
„Das wäre der Idealzustand“, sagt auch die 25-jährige Johanna* aus Wien,
„aber ich glaube nicht, dass meine Freundin mir wirklich immer alles sagt“.
Johanna und die gleichaltrige Eva* sind seit vier Jahren zusammen. Vor
einem halben Jahr haben sie sich entschlossen, ihre Beziehung zu öffnen.
Ihre Regeln: Eva soll alles erzählen, Johanna nichts. Denn Johanna will
alles hören, Eva nichts. Wenn sie trotzdem nachfragt, steht Johanna ihr
zwar Rede und Antwort, wird dann von Eva aber wieder unterbrochen: „Erzähl
nicht weiter, eigentlich will ich es nicht wissen.“ Eva sei eifersüchtig,
wolle aber Johanne nichts verbieten.
Leicht ist es nicht – war es noch nie: So hielt sich Eva nicht an die
Regeln und verheimlichte ihrer Freundin eine Liebschaft. Sie schämte sich
dafür, dass sie sich in die zweite Frau verliebt hatte. Eine
Abwärtsspirale: das Verlieben entgegen den eigenen Erwartungen. Scham.
Geheimhaltung. Verstoß gegen die gemeinsame Abmachung. Johanna ist bereit,
eine dritte Person in die Beziehung aufzunehmen, aber Evas Verhalten
empfindet sie als Vertrauensbruch. Trotzdem wollen sie verhindern, dass
ihre Beziehung daran zerbricht, wollen sie zusammenbleiben und versuchen,
ehrlicher miteinander zu sein. Die dritte Person sieht Eva nicht mehr –
„sagt sie“, so Johanna. „Kann man jetzt glauben oder nicht.“
## Werkzeug oder Lebensmittelpunkt
Schützen Geheimnisse davor, uns in Beziehungen gegenseitig zu verletzen?
Oder ist gnadenlose Offenheit der einzige Weg zu Intimität? Christopher und
Sarah wählen die Polyamorie aus voller Überzeugung und tragen ihr
Beziehungsmodell in Beruf und soziales Umfeld. Muss die Beziehung zum
Lebensmittelpunkt werden?
Eva und Johanna betrachten die Öffnung ihrer Beziehung als „Werkzeug“. Aus
Selbsterhaltungstrieb als Paar wollen sie verhindern, dass ihre Beziehung
daran zerbricht, wenn sie sich zu anderen hingezogen fühlen.
Eine offene Beziehung ist ein Experiment, wie jede monogame Partnerschaft
auch. Bei den Berufspolyamoristen klappt es, Eva und Johanna sind auf dem
Weg zu scheitern. Der Preis bei beiden Paaren: viel Energie und Zeit. Man
muss sich nicht an die normativen Gesetze halten und kann Grenzen neu
definieren. Und irgendwo zwischen den Gesetzesbrechern und den
Grenzwächtern lauert das Geheimnis der Liebe.
* Namen geändert
16 Mar 2014
## AUTOREN
Ariana Emminghaus
## TAGS
Polyamorie
Beziehung
Liebe
Polyamorie
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Sexualität
Schriftsteller
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Luft und Liebe
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