| # taz.de -- Studie über Geschichte der Sexualität: Gruppensex stärkt den Gem… | |
| > Monogamie? Ist nicht normal. Zwei Psychologen untersuchen die | |
| > prähistorischen Wurzeln der Sexualität und entdecken Überraschendes. | |
| Bild: Bonobos in der Stuttgarter Wilhelma | |
| Sie ist der angebliche Kern westlicher Gesellschaften und gilt als | |
| anthropologische Konstante: die monogame Paarbeziehung. In Anbetracht der | |
| Tatsache jedoch, dass dieses Konzept nur unter Auferlegung zahlreicher | |
| Einschränkungen und Sublimierungsstrategien funktionieren kann, dürften | |
| wohl viele Menschen schon einmal angezweifelt haben, dass die monogame | |
| Paarbeziehung tatsächlich „von der Natur vorgesehen“ ist, wie zahlreiche | |
| Theorien glauben lassen. | |
| Die beiden Psychologen Christopher Ryan und Cacilda Jethá untersuchen in | |
| „Sex – Die wahre Geschichte“ die prähistorischen Wurzeln menschlicher | |
| Sexualität und stellen damit nicht nur gängige Vorstellungen bezüglich der | |
| menschlichen Veranlagung zur Monogamie infrage. | |
| Das Buch beginnt mit einigen Feststellungen: Es existiert keine einzige | |
| monogame und zugleich in Gruppen lebende Primatenart. Unsere nächsten | |
| Verwandten, die Schimpansen und die Bonobos, leben seit jeher polygam. Der | |
| Schimpanse hat als dominierendes Erklärungsmodell für eine aggressive | |
| menschliche Natur im Sinne des Hobbes’schen Menschenbildes ausgedient; die | |
| in egalitären Gemeinschaften lebenden Bonobos müssen bei der Analyse | |
| menschlichen Verhaltens ebenso berücksichtigt werden. | |
| Bonobos, denen in dem Buch ganze Kapitel gewidmet werden, legen ein | |
| Sexualverhalten an den Tag, das, völlig losgelöst vom Zwecke der | |
| Fortpflanzung, vielmehr dem Gruppenzusammenhalt, der Konfliktvermeidung | |
| oder schlichtweg der Entspannung zu dienen scheint. | |
| Da bei den Bonobos alle Gruppenmitglieder untereinander auch in sexuellem | |
| Kontakt stehen, kümmern sie sich gemeinschaftlich um den Nachwuchs, was | |
| wiederum eine bessere Fortpflanzungsquote zur Folge hat und ihnen somit | |
| evolutionäre Vorteile verschafft. Bonobos setzen also auf Gemeinsinn und | |
| Kooperation. Es gibt zahlreiche Studien über gegenwärtig lebende | |
| Naturvölker, deren Zusammenleben ganz ähnliche Merkmale aufweist. Egoismus, | |
| Besitzansprüche oder auch „sexueller Geiz“ werden streng sanktioniert: | |
| Schließlich stellen solche Verhaltensweisen eine existenzielle Bedrohung | |
| für die gesamte Gruppe dar. | |
| ## Destruktives Verhalten | |
| Kleine Gemeinschaften kontrollieren sich also selbst – problematisch wird | |
| es Ryan und Jethá zufolge erst dann, wenn die Gruppengröße die | |
| Gedächtnisleistung der Mitglieder überfordert. Seit dem Beginn der | |
| Landwirtschaft und der damit einhergehenden Bevölkerungsexplosion sei | |
| dieser Fall ganz klar gegeben. In der Anonymität unüberschaubarer | |
| Gemeinschaften sehen die Autoren Erklärungen für egoistisches, aggressives | |
| und letztlich destruktives Verhalten. | |
| Mit dem Aufkommen der Landwirtschaft hätten sich auch die Formen des | |
| Zusammenlebens verändert. Eigener Besitz und die Notwendigkeit zur | |
| Sicherung des Erbes hätten monogame Paarbeziehungen als notwendig | |
| erscheinen lassen: Männer seien zu Eigentümern weiblicher | |
| Reproduktionskapazitäten geworden. | |
| Ryan und Jethá verweisen auf eine weitere Tatsache, die in ganz | |
| unmittelbarer Form eine „naturgegebene“ Veranlagung zur Monogamie infrage | |
| stellt: die Beschaffenheit menschlicher Geschlechtsorgane. Menschen haben | |
| den unter allen Primatenarten längsten und dicksten Penis und | |
| verhältnismäßig große Hoden. Zusammen mit einem (weitestgehend) verborgenen | |
| Eisprung und zahlreichen, im Körperinnern der Frau existierenden | |
| Abwehrmechanismen sei dies ein eindeutiges Indiz für Spermienkonkurrenz – | |
| die wiederum nur dann sinnvoll sein könne, wenn viele verschiedene Männer | |
| und Frauen miteinander Geschlechtsverkehr haben. Ziel der | |
| Spermienkonkurrenz ist es also, dass sich die „guten“, physiologisch | |
| passenden Gene fortpflanzen. Ein monogames Zusammenleben hingegen würde all | |
| diese existierenden Mechanismen komplett überflüssig machen. | |
| ## Rechnung ohne Eifersucht | |
| Männer würden sich auch heute noch „auf der permanenten Suche nach einem | |
| beständigen Strom unterschiedlicher Frauen“ befinden, wohingegen Frauen | |
| eher auf die Qualität sexueller Kontakte aus seien. In monogamen | |
| Liebesbeziehungen würden sich die PartnerInnen gegenseitig ihre | |
| Seitensprünge verheimlichen und/oder sich belügen. Würden sie sich diese | |
| jedoch gegenseitig zugestehen, dann könnte hier eine Chance für die | |
| Beziehung bestehen, langfristig erhalten zu bleiben, zu wachsen und sich zu | |
| festigen. | |
| Das Autorenehepaar präsentiert hier eine wegweisende Perspektive, die | |
| zunächst einmal durchaus realisierbar erscheint. Doch haben sie die | |
| Rechnung ohne die Eifersucht gemacht, die sich zwar auch auf vielfältige | |
| Art und Weise umleiten lässt, die letztlich aber mit ebenso großer Gewalt | |
| auftreten kann wie das erwähnte, von den Autoren als „männlich“ | |
| konstatierte Streben nach sexueller Abwechslung. | |
| Evolution, so die Feststellung am Ende des Buches, bedeutet keinesfalls | |
| immer auch eine Verbesserung, es gibt lediglich Anpassungen an sich stetig | |
| verändernde Lebensbedingungen. In diesem Sinne sehen die Autoren auch den | |
| Fortschrittsglauben als überholt an. Vielleicht ist es ja der Jäger und | |
| Sammler als Repräsentant des „unwirtschaftlichen Menschen“, der uns | |
| gegenwärtig wieder als Vorbild dienen kann. | |
| 23 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Annika Glunz | |
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