# taz.de -- Ukrainische Diaspora in Kanada: Angst um das ferne Land | |
> Nirgends leben so viele Exil-Ukrainer wie in Kanada. Sie sehen sie sich | |
> als Hüter der Unabhängigkeit ihres Heimatlandes. Die ist nun in Gefahr. | |
Bild: Protest vor der russischen Botschaft in Ottawa | |
EDMONTON taz | Die Musik spielt auf und Murray Howell springt auf die | |
Bühne. Er dreht sich, schlägt einen Salto und das Publikum klatscht | |
rhythmisch mit. Freitag in der kanadischen Stadt Edmonton: Howell tanzt auf | |
der Bühne der Alberta-Universität einen Hopak – einen ukrainischen | |
Volkstanz. Er trägt ein Trachtenhemd, eine Plüschhose und rote | |
Lederstiefel. | |
„Auf der Bühne bin ich voller Emotion. Da kommt das ukrainische Herz meiner | |
Mutter durch“, lacht er. Der 31-Jährige ist Ukraino-Kanadier und tanzt im | |
Shumka-Ensemble, einer der erfolgreichsten ukrainischen Folkloregruppen in | |
Nordamerika. | |
Rund 1,2 Millionen Kanadier haben wie er ukrainische Wurzeln, es ist die | |
größte Diaspora außerhalb des Mutterlandes und Russlands – und sie wächst. | |
Jedes Jahr wandern zwischen 50.000 und 100.000 Ukrainer nach Kanada ein. | |
Viele beobachten mit großer Sorge, was derzeit in Europa passiert, und | |
unterstützen die neue, prowestliche Regierung in Kiew. „Ich bin in Kanada | |
geboren, aber tief in mir drinnen bin ich Ukrainer“, erklärt Howell. „Mich | |
bewegt sehr, was in der Heimat meiner Eltern passiert.“ | |
Ähnlich fühlt auch Roman Brytan. Der Journalist moderiert das | |
ukrainischsprachige Radioprogramm von Edmonton. Seine Großeltern waren nach | |
dem Krieg ausgewandert, seine Eltern haben ihn zweisprachig erzogen. Wenn | |
er redet, wechselt er oft vom Englischen ins Ukrainische und umgekehrt. In | |
seiner Sendung thematisiert Brytan auch die politische Lage. „Viele Zuhörer | |
sind besorgt, dass die Ukraine ihre Unabhängigkeit verlieren könnte.“ | |
Die ukrainischen Kanadier verstehen sich seit dem Ende der Sowjetunion als | |
Hüter der Eigenständigkeit ihres Mutterlands. Die Bande zwischen Kanada und | |
der Ukraine sind entsprechend eng: Kanada war das erste westliche Land, das | |
1991 die Unabhängigkeit der Ukraine anerkannte. Premierminister Stephen | |
Harper war der erste Regierungschef, der die neue ukrainische | |
Übergangsregierung besucht hat, und er gilt als einer der schärfsten | |
Kritiker der Annexionspolitik Russlands. | |
Das liegt auch an Paul Grod, dem Präsidenten des ukrainisch-kanadischen | |
Kongresses. Grod ist in Kanada ein einflussreicher Mann und begleitet | |
kanadische Politiker oft auf Reisen in die Heimat seiner Vorfahren. Von der | |
Regierung in Moskau wurde er wegen seines prowestlichen Engagements mit | |
einem Einreiseverbot belegt. Grod nennt Präsident Wladimir Putin einen | |
Diktator und die Annexion der Krim einen kriminellen Akt. | |
## Fast jeder Zweite hat ukrainische Wurzeln | |
Die Regierung in Ottawa hat auch auf sein Geheiß jegliche militärische | |
Kooperation mit Moskau abgebrochen, hat Wirtschaftssanktionen verhängt, als | |
erste den Ausschluss Russlands aus der G 8 gefordert und einigen russischen | |
Politikern und Diplomaten die Visa entzogen. | |
In Kanada ist das populär, auch in Vegreville, einer Gemeinde außerhalb von | |
Edmonton. Der Ort war im 19. und 20. Jahrhundert eines der Zentren der | |
ukrainischen Einwanderung. Fast jeder zweite Einwohner hat ukrainische | |
Wurzeln. Am Eingang des Dorfes haben die Bewohner die größte Pysanka der | |
Welt aufgebaut – ein riesiges bemaltes Osterei aus Metall. | |
Laryssa Toroshenko arbeitet in Vegreville in einem ukrainischen | |
Freilichtmuseum. Auf dem Gelände reihen sich Holzkirchen mit Zwiebeltürmen | |
und alte Bauernhäuser aneinander. Der Höhepunkt des Jahres ist der | |
„Ukrainian Day“ im August, wenn bis zu 10.000 Besucher zum Erntedankfest | |
anreisen. | |
Toroshenko war als eine von 2.000 Kanadiern bei den letzten Wahlen in der | |
Ukraine als offizielle Beobachterin mit dabei. Sie sorgt sich vor allem um | |
die Zivilgesellschaft und findet, dass es beiden Konfliktparteien an | |
Demokratieverständnis mangelt. „Man muss den Willen der Menschen achten“, | |
sagt sie. „Man kann nicht immer mit dem Kopf durch die Wand.“ | |
Ähnlich sieht das auch Father Cornell Zubritsky. Der 44-Jährige trägt einen | |
grauen Bart und eine Kette mit einem Holzkreuz. Zubritsky ist Priester der | |
ukrainisch-orthodoxen Kathedrale, einer von fünf solchen Gemeinden in | |
Edmonton. Etwa 600 Menschen gehören ihr an. | |
An einem Sonntag kurz vor Ostern haben sich in der Kathedrale 120 Menschen | |
versammelt. Der Raum ist voller Weihrauch, auf dem Altar stehen Ikonen. Die | |
Spannungen zwischen Russen und Ukrainern sind auch in der Gemeinde spürbar. | |
„Einige kanadische Ukrainer sprechen Russisch und fühlen sich stärker | |
Russland verbunden“, erklärt Zubritsky. „Das sorgt für Diskussionen mit | |
jenen Ukrainern, die nicht wollen, dass ihr altes Heimatland zum Anhängsel | |
eines russischen Empires wird.“ | |
Und wenn es in der Ukraine politisch doch zum Rückschritt kommt und die | |
Russen wieder das Ruder übernehmen? Das würde seine Gemeinde spalten, sagt | |
Zubritsky, und auch persönlich will er das nicht erleben. „Ich bin ein | |
kanadischer und ukrainischer Patriot. Das würde mir das Herz brechen.“ | |
9 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Jörg Michel | |
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