| # taz.de -- Energiewende, philosophisch betrachtet: Milan gegen Windrad | |
| > Ein schneller Umbau zu Erneuerbaren Energien oder doch lieber Naturschutz | |
| > – welche Entscheidung ist moralisch richtig? | |
| Bild: Verliert leider bei der ethischen Abwägung: Roter Milan | |
| Die Energiewende sorgt für Konflikte zwischen Natur- und Klimaschutz. | |
| Dieselben Menschen, die einst friedlich auf der Anti-AKW-Demo nebeneinander | |
| hergingen, bekriegen sich nun in Bürgerbewegungen für oder gegen Windräder, | |
| für oder gegen Pumpspeicherkraftwerke, für oder gegen Strommasten. | |
| Soll man die besten Standorte für Windkraft ungenutzt lassen, weil dort zum | |
| Beispiel rote Milane nisten? Der Hegauer Vulkan Hohenstoffeln wäre aufgrund | |
| des starken Windes der beste Platz im Landkreis Konstanz. Doch seit 1941 | |
| ist der markante Doppelgipfel Naturschutzgebiet und somit erübrigt sich | |
| jede Diskussion. Welche Entscheidung ist nicht nur politisch machbar, | |
| sondern moralisch richtig? | |
| Diese Frage als erstes zu stellen, sollte doch eigentlich das richtige | |
| Verfahren sein, denn einfach nur eine durchsetzbare Lösung zu suchen, das | |
| ist Politik ohne Visionen und Ideale, ist eine legitimitätsfreie | |
| Machtinszenierung. Was sagt also die philosophische Ethik dazu? Es gibt | |
| vier Positionen, die sich hier zu Wort melden. | |
| ## Was der Utilitarismus rät | |
| Jeremy Bentham meinte, eine Handlung sei moralisch, wenn sie so viel Glück | |
| auf der Welt schaffe wie möglich (Utilitarismus). Es zählt das Glück aller, | |
| auch der Tiere. Hier fällt die Rechnung einfach aus: Der Klimawandel ist | |
| die größte Bedrohung für menschliches Glück, die wir derzeit kennen. Zudem | |
| ist er auch die größte Bedrohung tierischen Glücks, denn es gibt keine | |
| größere Gefährdung der Artenvielfalt und des Lebens einzelner Tiere aus | |
| sensiblen Arten als den Klimawandel. Das wiegt zu Ungunsten der Milane. | |
| Tragen aber Windräder in Deutschland überhaupt effektiv zum Klimaschutz | |
| bei? Deutschland emittiert nur wenige Prozent des weltweiten CO2. Aber: | |
| Wenn wir in Deutschland die technisch besten erneuerbaren Energien | |
| wettbewerbsfähig machen, können wir sie exportieren. Schwellenländer wie | |
| China und Indien können es dann vermeiden, den Umweg zur Industrialisierung | |
| über zu viele Kohlekraftwerke zu gehen und das bringt handfeste | |
| Emissionssenkungen. | |
| Wettbewerbsfähig werden erneuerbare Energien nur durch Massenproduktion, | |
| das haben die „Skaleneffekte“, d.h. die enorme Verbesserung und | |
| Verbilligung dieser Techniken in der Vergangenheit gezeigt. Daher: Wir | |
| brauchen möglichst viele Windmühlen in Deutschland. Also: Gemäß dem | |
| Utilitarismus bringt Klimaschutz einen enormen Glückszuwachs und die Milane | |
| müssen weichen. | |
| ## Kant hat kein Herz für Tiere | |
| Aber Immanuel Kant lehnte den Utilitarismus radikal ab. Gibt es bei ihm | |
| mehr Hoffnung für Milane? Handlungen, deren Grundsätze sich nicht | |
| widerspruchsfrei zum allgemeinen Handlungsgesetz machen lassen | |
| (kategorischer Imperativ), sind falsch, egal wie viel Glück sie in die Welt | |
| bringen. Leider hatte Kant kein Herz für Tiere oder die Natur: Seine Ethik | |
| geht von Menschenwürde aus und Tiere muss man nur berücksichtigen, wenn | |
| indirekte Auswirkungen auf den Menschen bestehen. Auch nach Kant haben die | |
| Milane schlechte Karten, wenn der Klimaschutz dem Menschen mehr nutzt als | |
| die Milane. | |
| Thomas Hobbes und seine Vertragstheoretiker schließen sich dem ohne | |
| Abstriche an. | |
| ## Der Biozentrismus fliegt vom Platz | |
| Albert Schweizer vertritt: Alles Leben ist „heilig“ und schützenswert | |
| (Biozentrismus). Das klingt äußerst Milan-freundlich. Aber selbst Schweizer | |
| meint, dass das Lebensrecht „niederer“ Lebensformen manchmal dem von | |
| „höheren“ Lebensformen weichen muss. | |
| Nur meint er, dass wir uns bei jeder Tötung schuldig machen. Wenn Schweizer | |
| uns damit anhält, uns schuldig zu fühlen, wenn wir die Erreger der | |
| Schlafkrankheit töten, weil auch Bakterien leben, dann ist das allerdings | |
| skurril. Eine Ethik überfordert uns, wenn sie uns zwingt, jeden Schritt den | |
| wir tun, zu überdenken, weil er eine Ameise das Leben kosten könnte. Sie | |
| wird undurchsetzbar und damit sinnlos. Das besagt die alte Regel, dass | |
| „sollen können voraussetzt“. Also: Zum Leidwesen der Milane wird der | |
| Biozentrismus vom Platz gestellt. | |
| ## Ökozentrismus ist willkürlich | |
| Aldo Leopold hat einen „Ökozentrismus“ propagiert. Dieser spricht der Natur | |
| und je nach Spielart auch allen Lebewesen darin einen Eigenwert zu, weil | |
| sie natürlich sind. Aber leider sind die Gründe für diese Ethik denkbar | |
| schlecht. So berufen sich ihre Vertreter auf die Theologie (Natur als | |
| Mitgeschöpf) oder auf Erfahrungen der Einheit von Mensch und Natur in der | |
| Mystik. Aber Ethik muss gegenüber allen begründbar sein, nicht nur | |
| gegenüber Gläubigen oder Mystikern. Wenn man die Welt als einen | |
| Superorganismus auffasst, kann man eventuell verteidigen, dass Mensch und | |
| Natur beide gleichberechtigte Teile in diesem Weltganzen sind. | |
| Viele Ökozentriker behandeln „die Natur“ als ein Subjekt, dem Interessen | |
| und daher auch ethische Rechte zukommen. Aber „die Natur insgesamt“ | |
| besitzt, nach allem was wir wissen, keine der Eigenschaften von Subjekten, | |
| sie kann nichts empfinden, ist sich ihrer selbst nicht bewusst, kann nicht | |
| handeln oder rational überlegen. Etwas als Subjekt zu behandeln, das keine | |
| der Eigenschaften eines Subjekts hat, ist willkürlich. Die Position ist mit | |
| einem modernen wissenschaftlichen Weltbild kaum vereinbar. | |
| Fazit: In der philosophischen Ethik lässt sich gut dafür argumentieren, | |
| dass der Klimaschutz klare Priorität vor dem Naturschutz haben sollte. Auch | |
| wenn man sich nach Kräften bemühen muss, möglichst beides zu gewährleisten, | |
| denn Mensch und Tier profitieren vom Naturschutz, wenn auch nicht in | |
| gleicher Stärke wie vom Klimaschutz. Dieses Ergebnis sollte die Politik als | |
| Orientierungspunkt im Ringen der Interessen um eine Lösung im Auge | |
| behalten. | |
| 13 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernward Gesang | |
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