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# taz.de -- Oliver Kalkofe über Gegenwartsfernsehen: „Einfach einschalten w�…
> Vor 20 Jahren lief die erste Folge von „Kalkofes Mattscheibe“. Heute
> findet der TV-Satiriker die Dokusoaps der Privaten lieblos und beklagt
> den Hass vieler Zuschauer.
Bild: Oliver Kalkofe: „Freiwillig sehe ich nicht mehr linear fern.“
taz: Herr Kalkofe, sehnen Sie sich manchmal nach der schlechten alten Zeit
zurück, als Fernsehen noch wirklich unfreiwillig mies war?
Oliver Kalkofe: Ja, das tue ich tatsächlich. Damals hatte das Fernsehen
eine liebevolle Dämlichkeit. In den Neunzigern war es das Schlimmste, dass
es pro Woche sieben bis neun Volksmusikshows in der Primetime gab. Alle
Sender haben da mitgemacht. Aber es gab Regisseure und Drehbücher und
richtige Kameras und Licht- und Tontechniker. Was die Stars sich damals für
schöne Klamotten angezogen haben! Marianne und Michael sind nicht
hingefallen beim Sprechen, die hatten die Texte gelernt – und auch wenn die
Texte scheiße waren, war das zumindest korrektes Deutsch. Selbst Sendungen
wie „Glücksrad“ oder „Der Preis ist heiß“, die wir für die Unterkell…
des Schwachsinns hielten, würde man heute doch mit Kusshand zurücknehmen.
So schlimm hat sich das Fernsehen entwickelt.
Aber Sie mögen das Fernsehen schon noch? Es tut Ihnen weh, wenn Sie etwas
Liebloses sehen?
Klar, ich war ein richtiges Fernsehkind und hatte nicht viele Freunde –
außer dem Fernseher und dem Videorecorder. Ich habe Fernsehen geliebt und
liebe es immer noch. Denn es ist noch immer ein ganz tolles Medium, das
unendlich viele Möglichkeiten bietet. Wenn diese Möglichkeiten aber nicht
genutzt werden und ich als Zuschauer das Gefühl bekomme, dass ich nicht nur
ignoriert, sondern verachtet und für blöd gehalten werde, dann ärgert mich
das. Genau das ist bei mir in den Neunzigern passiert, als die Privaten in
ihren ersten Koller gerieten und alles ein bisschen bescheuerter wurde. Aus
diesem Impuls heraus entstand die „Mattscheibe“.
Was war denn das Liebloseste, das Sie in letzter Zeit gesehen haben?
Eigentlich all das, was die Privatsender schönfärberisch Scripted Reality
oder Scripted Dokusoap nennen: von der Straße geklaubte Laiendarsteller,
die irgendeinen Scheiß zusammenspielen, den vorher der Schimpanse des
Praktikanten mit Fingerfarben auf einem Bierdeckel niedergeschrieben hat.
Ein Beispiel?
Zwei extrem fette Frauen machen einen gemeinsamen Wellnesstag, und
natürlich bekommen sie eine Schokomassage – was machen dicke Leute auch
sonst? Und während die eine dicke Tante schwitzend mit Schokolade
eingeschmiert einschläft, steht die andere Superfette – natürlich auch
nackt und eingeschmiert – auf und leckt der anderen die Schokolade vom
Körper, was dann verständlicherweise zu Komplikationen führt. Solche Storys
haben keinen Sinn, keinen Verstand, keinen Anfang, kein Ende, keine Moral.
Das hat nichts mit Fernsehen zu tun. Es wird aber gemacht, weil es so
billig ist und man damit den Sendeplatz füllt.
Aber schadet das irgendwem?
Es entwickelt sich daraus eine Gesellschaft, die nur noch aus Häme und
ausgestreckten Zeigefingern besteht. Denn diese Sendungen haben nur den
Sinn, dass jeder sagen kann: Na gut, ich bin vielleicht scheiße, aber nicht
so scheiße wie die im Fernsehen – die sind noch scheißer.
Wie viel von diesem Kram schauen Sie sich denn eigentlich noch an?
Freiwillig sehe ich nicht mehr linear fern. Einfach so mal einzuschalten,
das wäre todesmutig. Ich mache das nur noch, wenn es Arbeit gibt. Vor jedem
Dreh schaue ich mehrere Tage den vorsortierten gebündelten Wahnsinn. Das
sind dann aber auch gerne mal acht bis zehn Stunden pro Tag. Am dritten Tag
verzweifle ich dann, weil ich das nicht mehr sehen will.
Und was macht das aus Ihrer Liebe zum Fernsehen?
Ich habe früher ferngesehen, weil das eine Welt war, zu der ich mich
hingeträumt habe. Ich dachte, dass es cool wäre, auf der Ponderosa zu
wohnen oder auf der „Enterprise“ zu arbeiten. Wenn man den Dreck von heute
sieht – von solch einer Welt träumt man nicht, davor flieht man.
Es träumen sich aber doch noch genug Menschen ins Fernsehen. Es ist ja
nicht so, dass Castingshows oder Scripted-Reality-Formate Probleme hätten,
TeilnehmerInnen zu finden.
Das stimmt und ist eine ganz absurde Entwicklung. Das Fernsehen hat uns in
den vergangenen zehn bis 15 Jahren beigebracht, dass es ein toller Job sei,
prominent zu sein: Man würde bewundert, auf der Straße mit Geld beworfen,
und dafür müsse man nichts können – außer sich vielleicht mal auslachen zu
lassen. Junge Mädchen sehen „Germany’s Next Topmodel“, wo man eigentlich
nur lernt, wie man ohne Widerworte Befehle befolgt und dabei noch
begehrenswert aussieht. Also Bundeswehr gemischt mit Puff. Und dann denken
die: Das kann ich auch, ich werde später berühmt. Was sie dabei nicht
bedenken, ist, dass sie so sein wollen wie die Promis, über die sie sonst
immer nur lachen. Das ist bizarr.
Aber woher kommt das? Wenn dem Sportmoderator Jochen Breyer eine zu
flapsige Frage herausrutscht, wird der Hass über ihn ausgekübelt. Das zeigt
doch, wie sehr die Menschen, die vor den Kameras stehen, verachtet werden.
Ich glaube, dass viele Leute, die sich an solchen Shitstorms beteiligen,
einfach frustriert sind. Man merkt, welch unterdrückte Wut in vielen
Menschen steckt. Das finde ich widerwärtig. Jeder, der ein bestimmtes Level
an Berühmtheit erreicht hat – egal ob Til Schweiger, Markus Lanz oder Joko
und Klaas – wird regelmäßig mit Hass überschüttet. Und ich meine wirklich…
Hass, nicht Kritik. Denn man kann die Personen ja ruhig privat scheiße
finden, das ist legitim und häufig sogar gerechtfertigt.
Hinterfragen Sie sich bei dem Thema „Hass auskübeln“ auch selbst?
Ja. Immer. Und ich hoffe, dass es mir gelingt, nicht blind vor Wut Hass zu
säen, sondern immer auch mit einer gewissen Ironie und einer Haltung
dahinter. Ich mache nie Menschen persönlich fertig. Und schon gar nicht
privat. Ich kritisiere sie nur in ihrer Position vor der Kamera – und auf
Grundlage dessen, was sie uns dort präsentieren. Außerdem weiß ich
mittlerweile ja auch, wie Fernsehen funktioniert und dass der eine oder die
andere gar keine Schuld daran hat, dass die Sendung so mies ist. Früher
habe ich einfach aus der Zuschauerperspektive abgelästert. Das geht heute
nicht mehr einfach so.
Wie entlarven Sie denn in einer Persiflage das System hinter den Bildern?
Das macht die Arbeit komplizierter. Wenn es um Scripted Reality geht, kann
ich mich nicht nur über die Doofen vor der Kamera lustig machen, sondern
muss es mit Kritik am Produktionssystem verbinden, indem ich die Geschichte
weiterspinne und die Darsteller über die Story hinaus weiterreferieren
lasse.
Ist das Ende von „Wetten, dass ..?“ aber nicht ein Beleg dafür, dass sich
der Zuschauer eben doch nicht mehr alles vorsetzen lässt?
Nein, das Ende der Show ist nur ein Armutszeugnis für das ZDF. Mit dem Aus
von „Wetten, dass ..?“ hätten sie gleich die Einstellung des ZDF verkünden
können. Der Termin wird hoffentlich noch bekannt gegeben. Wenn ein Sender,
der jedes Jahr 1,8 Milliarden Euro von uns kriegt, nicht fähig ist, die
erfolgreichste Show der Welt den nun so viel gescholtenen Sehgewohnheiten
anzupassen, hat er keine Daseinsberechtigung.
Aber das ZDF ist doch beliebt. Die Mainzer haben im dritten Jahr in Folge
die Quotenmarktführerschaft inne.
Was Beschiss ist. Die holen sich ihre Quoten schließlich mit riesigen
Sportereignissen und Events und großen Shows. Außerdem behaupten sie,
Fernsehen für alle zu machen. Das ZDF-Publikum ist im Durchschnitt aber
älter als 60. Es gibt die „heute-show“, die von Beginn an eine gewisse
Unabhängigkeit hatte, aber ansonsten wird im Hauptprogramm nichts, aber
auch gar nichts Neues ausprobiert. Das macht man lieber heimlich bei
ZDFneo. Da guckt es ja zum Glück keiner.
Fassen wir zusammen. Scripted Reality: Mist. Das ZDF: auch Mist. Wen
verachten Sie nun eigentlich mehr, die Öffentlich-Rechtlichen, weil die aus
ihren Möglichkeiten wenig rausholen, oder die Privaten, weil es nur ums
Kostendrücken geht?
Auf den ersten Blick ist es das Privatfernsehen, weil vieles dort
inzwischen einfach boshaft, menschenverachtend und zynisch ist. Bei ARD und
ZDF ist es schlimmstenfalls doof, schnarchig und peinlich, aber nicht
böswillig. Allerdings bekommen die auch von uns Geld und werden ihrer
Aufgabe keineswegs gerecht, was man als Zuschauer nicht akzeptieren darf.
Würden Sie heute wieder ins Fernsehen gehen? Ihr Format, mit dem Sie 1994
bei Premiere starteten, wäre heute vor der Ausstrahlung durch zehn Hände
gegangen und zielgruppenkompatibel gemacht worden.
Das stimmt. Mit neuen Ideen kommt man heute nicht mehr rein. Ich habe so
viele Formate und Serien an Sender herangetragen. Ein bis vier Jahre redet
und schreibt und entwickelt man – ohne etwas dafür zu bekommen –, und dann
wird es abgesagt. Chancen bekommt man im öffentlich-rechtlichen Bereich
höchstens auf kleinen Spartensendern wie ZDFneo.
Und bei den Privaten?
Da fällt mir nur Tele 5 ein.
Das mussten Sie jetzt sagen.
Nein, das ist wirklich der einzige Sender, der sich noch diesen alten Geist
bewahrt hat, etwas einfach mal auszuprobieren. Ich habe hier in den
vergangen zwei Jahren genauso viel gearbeitet wie zuvor, aber ich hab
zehnmal so viel umsetzen dürfen, was dann auch wirklich gesendet wurde: die
„Mattscheibe“, die „Nichtgedanken“, die „Schlechtesten Filme aller Ze…
Alles großartige Schnapsideen, die man aber niemals bei anderen Sendern
durchbekommen hätte.
14 Apr 2014
## AUTOREN
Jürn Kruse
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Schwerpunkt Erster Weltkrieg
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