# taz.de -- Kalkofe und Walulis im Interview: „Fernsehen tut weh“ | |
> Oliver Kalkofe und Philipp Walulis gucken hin, wo andere wegzappen. Ein | |
> Gespräch übers Persiflieren eines zu seiner eigenen Karikatur verkommenen | |
> Mediums. | |
Bild: „Lullige Telenovelas oder Kaffeklatschmagazine“? Dann doch lieber Fu�… | |
taz: Herr Walulis, brauchten Sie den TÜV vom Grimme-Institut, um zu den | |
Öffentlich-Rechtlichen zu dürfen? | |
Philipp Walulis: Sagen wir mal so: Es kann nicht schaden. | |
Oliver Kalkofe: Ich sage: ja! | |
Walulis: Ich war ja auch schon vorher beim SWR, wo „Walulis sieht fern“ | |
jetzt auch beheimatet ist. Bisher musste ich den Grimme-Joker also nicht | |
ziehen, aber wenn es in Redaktionssitzungen zu Konfrontationen kommt, weiß | |
ich, dass ich auf einem Grimme-Preis sitze und ihn in ganz schlimmen | |
Notfällen rausholen kann. Aber ansonsten wird er mir weiterhin als | |
Weihnachtsbaumspitze dienen. | |
Kalkofe: Das Traurige ist doch, dass so ein Format wie „Walulis sieht | |
fern“, das von seiner Prägung her absolut öffentlich-rechtlich ist, | |
eigentlich im Hauptprogramm laufen müsste – und nicht beim Spartenkanal | |
EinsPlus. Genau wie die „Mattscheibe“, die auch ein öffentlich-rechtliches | |
Format ist, weil sie sich kritisch mit dem Fernsehen auseinandersetzt. Aber | |
da trauen die sich nicht ran. | |
Walulis: Das kann ich nur unterstützen. Und ich freue mich schon auf den | |
Tag, wenn dann „Kalkofe sieht Walulis“ statt Florian Silbereisen um 20.15 | |
Uhr gezeigt wird. | |
Ist nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk das falsche Ziel der Kritik? | |
Ein paar anständige Sendungen gibt es da doch. | |
Kalkofe: Na ja. Wir hacken zwar immer auf den Privaten rum, weil die | |
meisten doofen Sachen ja auch von denen kommen, also all die Sendungen, die | |
in Richtung Menschenverachtung gehen. Aber die Öffentlich-Rechtlichen haben | |
trotzdem keinen Grund, überheblich die Fresse aufzureißen, denn während die | |
Privaten ihren ganzen Scripted-Reality-Müll machen, zeigen die | |
Öffentlich-Rechtlichen auf ihren Hauptsendern auch nur lullige Telenovelas | |
oder irgendwelche Kaffeeklatsch- und Boulevardmagazine. Sie setzen keine | |
klügere Alternative dagegen! | |
Walulis: Genau das ist doch das Dilemma der Öffentlich-Rechtlichen. Also | |
ich möchte da kein Programmchef sein. Zeigt man Banalitäten, schimpfen die | |
Leute. Zeigt man intelligente Sachen, kommen wieder welche und meckern über | |
die Quote. | |
Kalkofe: Diese Quote ist das Grundübel. Sie ist ein Schätzwert und nicht | |
mehr! Die Quote ist nur so wichtig geworden, weil die Privaten irgendeine | |
Währung brauchten. Gerade die Öffentlich-Rechtlichen dürften sich nach so | |
einem Schätzwert nicht richten! Es gibt für sie keine Entschuldigung, die | |
haben ein riesiges Programmfeld, sie bekommen unser Geld, es wäre ihre | |
Pflicht, uns immer wieder zu überraschen, aber sie befinden sich in einem | |
kreativen Koma. Die einzigen Innovationen im deutschen Fernsehen der | |
vergangenen 30 Jahre kamen von den Privaten. | |
Haben ARD und ZDF keinen Mut oder keine Ideen? | |
Kalkofe: Die haben noch weniger Mut als Ideen. Wenn Redakteure zum | |
öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommen, sind die ja nicht doof. Aber | |
irgendwann merken sie, dass sie bei allem, was sie entwickeln und was | |
vielleicht auch noch Spaß bringt, gleich auf die Mütze kriegen: Und dann | |
bekommen die Ärger von zu Hause, weil sie ihren Job verlieren. Also halten | |
sie lieber die Fresse. | |
Wie sieht es denn aus mit den Ideen und dem Mut, Herr Walulis? Sie haben | |
Ihr Format zuerst bestimmt auch den Öffentlich-Rechtlichen angeboten? | |
Walulis: Ja, aber das war ein anderer öffentlich-rechtlicher Sender. Nicht | |
die ARD. Von diesem anderen Sender bekomme ich übrigens noch eine Pilot-DVD | |
zurück. | |
Kalkofe: Oh, das wird dauern. Das muss erst mal durch die Gremien. | |
Also, das ZDF wollte Sie nicht, aber Tele5 kaufte Ihre Sendung. | |
Walulis: Ja, das Ganze ist ja mit dem Aus- und Fortbildungskanal in München | |
entstanden, an dem Tele5 beteiligt ist. So ist der Kontakt zustande | |
gekommen. Das war das kürzeste Gespräch mit einem Geschäftsführer, das ich | |
je hatte: 13 Minuten haben wir uns den Piloten angeschaut, eine Minute lang | |
hat er Vorschläge gemacht, was wir ändern müssten, und dann durfte ich mir | |
einen Sendeplatz aussuchen. | |
Kalkofe: Ähnlich lief es bei mir auch. Tele5 ist einer der wenigen Sender, | |
wo zurzeit nach Spaß und Intuition Programm gemacht wird. | |
Walulis: Das ist halt ein Inhaber-geführter Fernsehsender, wo der Kloiber | |
[Herbert Kloiber, Tele5-Besitzer, d. Red.] sagt: „Macht mal was Lustiges“ �… | |
Kalkofe: … und wenn die Idee gut ist, dann traut man sich das und probiert | |
es aus. Das hab ich zuletzt Mitte der 90er bei Premiere erlebt. Aber es | |
geht eigentlich nicht anders. Nur so entsteht Neues, abseits von weiteren | |
Model-Such-Formaten. Du brauchst schon einen Verrückten, der sich was | |
traut. | |
Und der das nötige Geld hat. | |
Kalkofe: Ja, auch. Qualität kostet auf Dauer Geld. Das ist auch so ein | |
Problem des deutschen Fernsehens: Denn die meisten Sender werden nicht von | |
Programmmachern oder Redakteuren, sondern von Controllern regiert, die nur | |
kurzfristig denken. Die ganzen Scripted-Reality-Formate entstehen nur | |
deswegen, weil die kurzfristig gesehen sehr, sehr profitabel sind. | |
Also führt fehlendes Geld zu Scripted-Reality-Formaten? | |
Kalkofe: Ja. Die Privatsender sind nur noch bilanzorientiert. Die müssen | |
eine bestimmte Dividende bringen. Also lassen die alles so günstig | |
produzieren, dass die Shows selbst bei geringer Werbeauslastung und | |
geringem Marktanteil profitabel sind. So ein Scripted-Reality-Kram ist so | |
billig, weil niemand mehr beteiligt ist, der Geld bekommt: keine Autoren, | |
keine Schauspieler, kein Kostüm, keine Maske, keine richtige Kamera. Den | |
Laiendarstellern drückst du ’nen Fuffi oder, wenn sie richtig gut waren, | |
100 Euro in die Hand. So machst du erst mal immer ein Plus. Dass damit | |
langfristig der Sender kaputt gemacht wird, weil der keine Namen, keine | |
Gesichter und kein eigenes Profil mehr hat – was soll’s? Soll sich der | |
nächste Geschäftsführer drum kümmern! So wird heute Fernsehen gemacht. | |
Aber wie persiflieren Sie denn noch etwas, das doch kaum noch als ernst | |
gemeintes Fernsehen durchgehen kann? | |
Kalkofe: Das ist tatsächlich schwierig. Ich sehe mich bei den neuen Folgen | |
vor einem Problem, das ich vorher nicht kannte: Bei den | |
Scripted-Reality-Sendungen werden Menschen vorgeführt – und zwar böswillig. | |
Und ich will die ja nicht noch einmal vorführen. Ich möchte die wirklich | |
Schuldigen demaskieren. Aber die verstecken sich hinter Off-Kommentaren. | |
Ich brüte momentan sehr über den Texten für die neue „Mattscheibe“-Staff… | |
um klarzumachen, wer der Schuldige ist und wer das Opfer. Denn die, die | |
solchen Scripted-Reality-Müll verantworten, verkaufen das als ernste | |
Sendung. Ohne Augenzwinkern. Und wir dürfen nie vergessen, dass viele | |
Zuschauer das auch ernst aufnehmen. Eine Sendung wie „Walulis“ leistet da | |
eine tolle Aufklärungsarbeit. | |
Fühlen Sie auch einen missionarischen Auftrag, Herr Walulis? | |
Walulis: Jein. Generell kann es nicht schaden, die Leute aufklären zu | |
wollen. Aber ich glaube, dass es schiefgeht, wenn man da mit erhobenem | |
Zeigefinger rangeht. Man muss also einen Weg finden, wie man den Leuten | |
seine missionarische Botschaft unterschwellig unterjubelt. Das war die | |
Überlegung, die zu „Walulis sieht fern“ geführt hat. | |
Tut denn bei dem ganzen Müll das Sichten der Sendungen für Ihre Shows weh? | |
Kalkofe: Ja. | |
Walulis: Auf jeden Fall. Wir hatten uns für eine Woche in ein Hotel | |
eingeschlossen und uns alles angeschaut. Ich hätte es nicht für möglich | |
gehalten, aber es entstehen wirklich körperliche Schmerzen, wenn man zu | |
viel Scripted-Reality oder Gerichtsshows anschaut. Teammitglieder wurden | |
von Barbara Salesch in den Traum verfolgt. | |
Hilft Schnaps? | |
Walulis: Nee, hilft nicht. | |
Kalkofe: Wir müssen aus dem gesehenen Müll ja etwas machen. Sich zu | |
benebeln bringt nichts, du musst den Schmerz richtig spüren. An den ersten | |
beiden Tagen geht das noch, da finde ich vieles sogar noch lustig, aber ab | |
dem dritten gleitet man Richtung Depression. | |
Walulis: Das stimmt. Wenn man mit dem Sichten beginnt, ist es ist so, als | |
würde man einen Raum betreten und sehen: Oh, da hat jemand hingeschissen. | |
Hihi. Und dann fällt der Lichtschein immer weiter, und man sieht: Oh mein | |
Gott, ich bin in einem Raum voller Scheiße. | |
Kalkofe: Du stehst mitten in der Kläranlage. | |
Was war das Schlimmste? | |
Kalkofe: Eine Szene, in der eine dicke Frau spielen muss, dass sie | |
fresssüchtig und gleichzeitig geizig ist. Sie sieht, wie Essen | |
weggeschmissen wird, und krabbelt mithilfe ihrer dicken Tante in den | |
Müllcontainer. Dann sitzt sie in diesem Container, stopft sich die Torte | |
mit den Händen in den Mund und nimmt die abgelaufenen Sachen mit nach | |
Hause. | |
Walulis: Das sind die Klassiker. Oder auch die käsesüchtige Frau oder die | |
Doppelfolge „Zu fett für den Führerschein“. Wo es mir aber auch immer üb… | |
aufstößt, ist, wenn zwei Genres, die nichts miteinander zu tun haben, | |
verbunden werden, wie beispielsweise Astro TV und Shopping. Wenn dann | |
jemand da sitzt und den „Diamond of Eternity“ verkauft, einen Glasstein für | |
100 Euro, der die bösen Geister vertreiben soll, dann setzt es bei einem | |
aus. Wir haben den daraufhin bestellt und ausprobiert. | |
Und? | |
Walulis: Bei mir hat er nicht funktioniert. Wir haben versucht, Jürgen | |
Milski von Sport1 damit zu vertreiben. Wir haben den Stein dann innerhalb | |
des Rückgaberechts zurückgeschickt. Wir können es dem Gebührenzahler ja | |
nicht zumuten, 100 Euro für so einen dummen Stein auszugeben. | |
1 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Jürn Kruse | |
## TAGS | |
Privatfernsehen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Oliver Kalkofe über Gegenwartsfernsehen: „Einfach einschalten wäre todesmut… | |
Vor 20 Jahren lief die erste Folge von „Kalkofes Mattscheibe“. Heute findet | |
der TV-Satiriker die Dokusoaps der Privaten lieblos und beklagt den Hass | |
vieler Zuschauer. | |
Kolumne Fernsehen: Alles bleibt gut | |
Otto von Bismarck ist immer Vorbild und Otto ist immer lustig. Das hat das | |
deutsche Fernsehen erkannt. Fehlt nur noch Kati Witt. |