# taz.de -- Debatte Sprache und die Ukraine-Krise: So klingt der Krieg | |
> Invasion, Annexion oder Separation – die Begriffe fliegen durcheinander, | |
> als ob alles auf dasselbe hinausliefe: den bewaffneten Kampf. | |
Bild: Was wir assoziieren: Panzerkonfrontation im geteilten Berlin im Jahr 1961 | |
„Krieg in Europa? Der ukrainische Flächenbrand“, fragt der Spiegel, und f�… | |
Springers Bild hat der Krieg schon begonnen: „Wollten uns die Russen-Bomber | |
angreifen?“ Alte Kalte Krieger warnen vor „Putins braunen Lehrmeistern“ | |
([1][NZZ] [2][23. 4. 2013]). Die Schlagzeilen vermitteln den Eindruck, die | |
Vorkriegszeit ginge gerade zu Ende. Auch die aktuelle Beschwörung von | |
„1914“ ist fast überall präsent. | |
Hinzu kommt ein angesichts der brisanten Lage doch sehr lax gehandhabtes | |
Vokabular. Da geht es zu und her, als ob alles ungefähr dasselbe sei und | |
alles etwa auf dasselbe hinauslaufe – nämlich auf „Invasion“, „Aggress… | |
„Eskalation“, „Annexion“, „Separation“, „Selbstbestimmung“, „… | |
„Krieg“ und „Bürgerkrieg“. Und wie immer, wenn sich die öffentliche M… | |
um Krieg und Frieden dreht, gehören auch platte Propaganda und | |
„real“politische Lebkuchenverse in der Preislage von „wenn du Frieden | |
willst, bereite den Krieg vor“ zum argumentativen Schlag- und Beiwerk. | |
Es wird bald Doktorarbeiten geben zu der Frage, wie der Konflikt entstanden | |
ist und wer ihn befeuert hat. Schon jetzt steht aber fest, dass der 25. 11. | |
2013 den Wendepunkt bildet – also als die EU der Ukraine in Wilna ein | |
Freihandelsabkommen anbot. Die EU hat weltweit rund drei Dutzend solcher | |
Abkommen abgeschlossen. Aber das Angebot an die Ukraine war insofern | |
problematisch, als es ein Ultimatum an die legitime Regierung der Ukraine | |
enthielt: Entweder ihr entscheidet euch für ein Freihandelsabkommen mit der | |
EU oder für eine Zollunion mit Putin und seiner Eurasischen Union. | |
Völkerrechtlich kann ein Staat Freihandelsabkommen mit vielen Staaten | |
abschließen und mehreren Freihandelszonen angehören. Mit einer Zollunion | |
jedoch begibt sich ein Staat in ein Bündnis und tritt die Herrschaft über | |
die Handelspolitik an dieses Bündnis ab, verzichtet also auf Teile seiner | |
Souveränität. Diesen Weg gehen die EU-Staaten seit Jahrzehnten, denn sie | |
bilden eine Zollunion, deren Zentrum in Brüssel liegt. | |
Mit dem Ultimatum an die Ukraine entschied sich Brüssel ob beabsichtigt | |
oder aus Ignoranz für die besondere Situation der Ukraine für einen | |
Kollisionskurs gegen Putin und verbaute ihm den Weg zur Bildung einer | |
eigenen Zollunion in Eurasien. Sie verzichtete aus unbekannten Gründen, | |
aber auf jeden Fall fahrlässig auf Gleichberechtigung und Gleichbehandlung | |
Russlands in einem dreiseitigen Vertrag zwischen EU, Russland und der | |
Ukraine. Putin regte nach Pressemitteilungen einen solchen Vertrag an, ohne | |
Erfolg. War dieser nicht ernst gemeint oder wollte man testen, ob man mit | |
Putin Schlitten fahren kann, die Ukraine zum stillen Nato-Mitglied kürend? | |
## Kein Recht auf Sezession | |
Putin reagierte und antwortete mit seinem „Spiel“ um die Krim. Das | |
Völkerrecht kennt kein Recht einer Volksgruppe auf Sezession und verbietet | |
es damit de facto, wenn auch nicht explizit. Dieses faktische | |
Sezessionsverbot steht in einem unaufhebbaren Spannungsverhältnis zum | |
Selbstbestimmungsrecht, dessen Achillesferse der Umstand bildet, dass kein | |
Mensch zu sagen vermag, wem und mit welchen Mitteln dieses | |
Selbstbestimmungsrecht zusteht. Praktikabel wäre ein solches Recht nur, | |
wenn Völker sprachlich, ethnisch, kulturell, religiöse Einheiten wären. Das | |
ist nirgends der Fall. | |
Völker sind, entgegen den Träumen von Nationalisten aller Couleur, keine | |
homogenen Gebilde. Deshalb könnte ein rigoroses Selbstbestimmungsrecht | |
jeden Staat jederzeit in seine sprachlichen, ethnischen, kulturellen, | |
religiösen Bestandteile zerlegen. Weil Staaten „kein Club von | |
Selbstmördern“ sind – so der Hamburger Rechtsphilosoph Reinhard Merkel –, | |
lassen sie das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung | |
und der Verweigerung eines dafür notwendigen Rechts auf Abspaltung, also | |
ein faktisches Sezessionsverbot, bestehen. Denn dieses sichert Staaten das | |
Überleben und ihre territoriale Integrität. | |
Was das Völkerrecht verbietet, ist die militärische Intervention eines | |
Staates in einen anderen Staat und die Sanktionierung dieses Schrittes | |
durch eine förmliche Annexion. Was Putin auf der Krim betrieb, war weder | |
eine militärische Intervention noch eine Annexion, sondern allenfalls eine | |
rechtlich schwierig zu beurteilende Einmischung, als er zu einem Referendum | |
aufrief, mit dem die Russen auf der Krim ihr Recht auf Selbstbestimmung | |
wahrnehmen sollten. | |
## Und jetzt zum Völkerrecht … | |
Ob und wie weit eine solche Einmischung den Tatbestand einer | |
völkerrechtlich verbotenen zwischenstaatlichen Intervention erfüllt, ist | |
seit der Erfindung des „nationalen Selbstbestimmungsrechts“ Ende des Ersten | |
Weltkriegs rechtlich und politisch eine umstrittene Ermessensfrage. Wenn | |
man Putins Einmischung als völkerrechtswidrig qualifiziert, stellt sich die | |
Frage, worum es denn ging, als der damalige Außenminister Westerwelle am 5. | |
10. 2013 in Kiew zumindest die Sezessionswilligen unter den Westukrainern | |
umarmte und ihnen versicherte: „Wir sind nicht für eine Partei, sondern für | |
die europäischen Werte.“ | |
Und worum ging es, als Gernot Erler (SPD) die Installierung „einer nicht | |
gewählten, illegitimen Regierung“ (Stephen F. Cohen) und den Empfang von | |
deren Ministerpräsident in Berlin und Washington als „Regimewechsel von | |
unten“ (27. 3. 2014) verklärte? Dieser De-facto-Anerkennung des Putschs in | |
Kiew entspricht die ebenso vorschnelle völkerrechtliche Anerkennung der | |
Sezession der Krim durch Moskau. Moskau und Berlin eskalierten jeweils. | |
Das Völkerrecht kennt ein zwischenstaatliches Gewaltverbot, das das Recht | |
zum Krieg (ius ad bellum) den Einzelstaaten entzieht und dem | |
UN-Sicherheitsrat reserviert. Wenn man dieses Gewaltverbot als | |
Invasionsverbot versteht, hat sich Putin daran gehalten, denn eine | |
militärische Invasion Russlands gab es bislang nicht, wohl aber eine | |
Infiltration von militärisch ausgerüsteten, wenn auch abenteuerlich | |
kostümierten Kämpfern russischer Herkunft. Solche Scharmützel berechtigen | |
einen so angegriffenen Staat oder die Staatengemeinschaft zu | |
situationsadäquaten, also verhältnismäßigen Sanktionen. Mehr ist | |
völkerrechtlich nicht drin – entgegen allen Stammtischparolen, die die | |
Aufrüstung auf westlicher Seite fordern. | |
6 May 2014 | |
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[1] http://www.nzz.ch/aktuell/international/reportagen-und-analysen/putins-brau… | |
[2] http://www.nzz.ch/aktuell/international/reportagen-und-analysen/putins-brau… | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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