| # taz.de -- Ex-Oberst der Sowjetarmee über Ukraine: „Es wird noch mehr Blut … | |
| > Nachts ziehen Banditen marodierend durch Odessa, überfallen Bürger, | |
| > schlagen sie zusammen und rauben sie aus, sagt Wladimir Lisjanoj. | |
| Bild: Pro-ukrainische Demonstranten in Odessa. | |
| taz: Herr Lisjanoj, wie ist derzeit die Lage bei Ihnen in Odessa? | |
| Wladimir Lisjanoj: Schrecklich. Abends geht kaum noch jemand auf die | |
| Straße, wenn er nicht unbedingt muss, denn es gab schon mehrere Fälle, wo | |
| Leute überfallen, zusammengeschlagen und ausgeraubt worden sind. Wegen der | |
| jüngsten Ereignisse sind viele Banditen in die Stadt gekommen, die nachts | |
| marodierend durch die Straßen ziehen. | |
| Wie bewerten Sie die Vorfälle der vergangenen Tage? | |
| Für Odessa ist das einerseits erniedrigend und demütigend. Aber | |
| andererseits sind die Menschen auch dazu gebracht worden. Ich gehe davon | |
| aus, dass es eine dritte Kraft gibt, die an den Konflikten im Donbas und in | |
| Odessa interessiert ist. Allerdings würde es hier auch nicht so viele | |
| russische Söldner geben, wenn das nicht auf die Zustimmung der Massen | |
| stoßen würde. Die Staatsmacht hat alles getan, um den Eindruck entstehen zu | |
| lassen, dass sie auf der einen Seite steht – und das Volk auf der anderen. | |
| Ja, wir wollen, dass Russisch zweite Amtssprache wird. Das ist besonders | |
| für ältere Menschen von Bedeutung. | |
| Wollen die Älteren in Odessa nicht Ukrainisch lernen? | |
| Nehmen Sie mich: Ich bin in einem Dorf in Russland geboren, habe die | |
| Militärhochschule abgeschlossen und zu Sowjetzeiten gedient, zunächst in | |
| Weißrussland, dann im Fernen Osten und dann 22 Jahre in Lemberg. Da gab es | |
| übrigens großartige Menschen. Natürlich kann ich mich im normalen | |
| Alltagsleben auf Ukrainisch unterhalten, doch wäre es mir als jungem | |
| Menschen nie in den Kopf gekommen, medizinische Fachausdrücke auf Rezepten | |
| in dieser Sprache zu lernen. Viele Leute, vor allem Militärangehörige, sind | |
| wie ich erst nach ihrer Pensionierung in die Ukraine gezogen. | |
| In Odessa war es lange Zeit friedlich. Das ist eine Stadt mit vielen | |
| Nationalitäten. Was war der Auslöser für diese bewaffneten | |
| Auseinandersetzungen? | |
| Kiew ist eine Metropole. Odessa, wie der gesamte Osten, sie sind ein Echo | |
| dessen, was sich in der Hauptstadt auf dem Maidan abgespielt hat. Nur | |
| passiert das bei uns auf eine furchtbare Art und Weise, mit einer | |
| besonderen Härte und Grausamkeit. Die Menschen verstehen, dass sie mit | |
| ihren Problemen alleingelassen werden. Die Macht regagiert auf das, was bei | |
| uns passiert, allenfalls im Fernsehen, reale Aktionen fehlen. Ich wäre | |
| nicht überrascht, wenn es den Menschen schon bald egal wäre, welche Flagge | |
| über dem Stadtparlament weht und welche Farbe sie hat. Die Hauptsache ist, | |
| dass wieder Ordnung herrscht. Jetzt herrscht Anarchie, die Macht liegt am | |
| Boden. Das ist demütigend für das Land. Ich denke nicht, dass Russlands | |
| Präsident Wladimir Putin Odessa braucht. Was soll er mit zwei Millionen | |
| hungrigen Mündern zusätzlich? Andererseits, wenn dir etwas in den Schoß | |
| fällt, warum sollst du es nicht nehmen? | |
| Was glauben Sie, womit wird das alles enden, und wie lange wird das noch | |
| dauern? | |
| Ich will wirklich kein Skeptiker sein, aber mir scheint, dass das noch | |
| lange dauern wird. Und es wird noch mehr Blut fließen. Mich beunruhigt noch | |
| eine weitere Sache: Ich bin gläubig und kann die Augen nicht davor | |
| verschließen, dass es jetzt Versuche gibt, das Land nicht nur territorial | |
| zu spalten, sondern auch religiös. Die Konfessionen verstärken ihre | |
| Aktivitäten in unterschiedlichen Regionen des Landes. Damit jedoch droht in | |
| naher Zukunft auch eine Zerstörung der kulturellen Beziehungen. Das ist für | |
| unser Land sehr schlecht. | |
| Übersetzung aus dem Russischen von Barbara Oertel | |
| 7 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Andrej Nesterko | |
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