# taz.de -- Pestizide in der Landwirtschaft: Todeszone Raps | |
> Immer mehr Tierarten verschwanden aus Sybilla Keitels Garten. Eine | |
> Gewässerprobe zeigte: Glyphososat. Seither kämpft sie für eine | |
> „pestizidfreie Uckermark“. | |
Bild: Spritzmaschine im Einsatz: Bäuerliche Kleinbetriebe, die ihr Land noch t… | |
UCKERMARK taz | Der Garten von Sybilla Keitel ist eine Idylle: Die Wiese | |
steht in sattem Grün, ein Wäldchen umfasst das Anwesen im Nordosten | |
Brandenburgs. Keine Abgase, kein Lärm – ein Traum für jeden Großstädter. | |
Doch obwohl Frühling ist, sind fast keine Tiere zu sehen. Hier und da | |
zwitschert im Wäldchen ein Vogel. Aber Bienen, Libellen, Regenwürmer, | |
Schmetterlinge, Fasane und Feldhamster bis hin zu Kleinstlebewesen – alle | |
systematisch „ausgerottet“, sagt Sybilla Keitel. Ein dramatisches | |
Artensterben sei dies. Schnell wird die Ruhe in ihrem Garten gespenstisch. | |
Sybilla Keitel führt das Artensterben in ihrem Garten auf den Einsatz von | |
Pestiziden in der Landwirtschaft zurück. Das Grundstück grenzt direkt an | |
Mais- und Getreidefelder. Davon gibt es hier in der Uckermark viele. Jetzt | |
im Frühjahr beginne wieder die Saison, sagt Keitel, in der die Landwirte | |
ihren „Giftcocktail“ gegen das Unkraut auf den Feldern versprühten, damit | |
sie anschließend aussäen könnten. Über der Landschaft der Mark Brandenburg | |
wird dann ein paar Tage ein unsichtbarer Pestizidnebel hängen. Keitel | |
bekommt deshalb regelmäßig Kopfschmerzen und Augenbrennen. | |
Die Künstlerin, ursprünglich aus Bremerhaven, lebt und arbeitet seit Jahren | |
in Berlin. Mit ihrem Mann Gert Müller, Prorektor der Musikhochschule Hanns | |
Eisler, kaufte sie vor über 20 Jahren im Boitzenburger Land ein Haus im | |
Grünen. Damals sei die Uckermark noch eine Naturidylle gewesen, sagen | |
beide. Rund um ihr Grundstück habe es Fasanen und Rebhühner gegeben, auch | |
zahlreiche Amphibien. Und erst die Schmetterlinge: Admiral, Brauner Bär, | |
Trauermantel – „wir konnten uns vor Schmetterlingen kaum retten“. Keitel | |
kramt, als müsse sie dies beweisen, ein Bild hervor, auf dem in bunten | |
Farben verschiedene Schmetterlinge flattern. Ihre Töchter malten das Bild, | |
als sie noch klein waren. | |
Das ist lange her. Heute flögen in ihrem Garten allenfalls ein paar | |
Kohlweißlinge vorbei, sagt Keitel. „Ab und zu sehen wir einen Frosch und | |
freuen uns.“ Dabei liegt ihr Haus mitten in einem Naturschutzgebiet. Aber | |
eben auch zwischen den Äckern der intensiven Landwirtschaft. Gerade in | |
Brandenburg dominieren wenige große Agrarbetriebe mit Tausenden Hektar | |
Land. Bäuerliche Kleinbetriebe, die ihr Land noch traditionell pflügen, | |
anstatt flächendeckend Gift gegen das Unkraut zu spritzen, gibt es nur | |
wenige. | |
## Handeln auf eigene Faust | |
Das Artensterben beobachteten Keitel und Müller einige Jahre lang, dann | |
beschloss das Paar, etwas zu unternehmen. Einem Tümpel im benachbarten | |
Maisfeld entnahmen sie Wasserproben und schickten sie an ein Chemielabor in | |
Berlin-Adlershof. Das Ergebnis: In dem Gewässer, wo früher die Frösche | |
quakten, fanden sich Rückstände von einem Dutzend Pestizide: darunter | |
Metolachlor, Terbuthylazin, Simazin und Glyphosat. Fast alle gefundenen | |
Gifte hätten den Grenzwert der Grundwasserrichtlinie extrem überschritten – | |
allein Glyphosat um 220 Prozent, berichtet Müller und zeigt auf die | |
Laboranalyse. Nach dem Giftfund im Tümpel gründeten Keitel und Müller die | |
Bürgerinitiative Pestizidfreie Uckermark. Die kämpft für ein Verbot von | |
Glyphosat und anderen Pestiziden – bislang ohne Erfolg. | |
Glyphosat ist eines der weltweit meistverwendeten Unkrautvernichtungsmittel | |
und seit Jahrzehnten im Einsatz. Als „Totalherbizid“ tötet es sämtliche | |
Pflanzen ab, mit denen es in Berührung kommt. Landwirte schätzten die | |
„einfache und kosteneffektive Art der Unkrautbeseitigung“, heißt es bei der | |
Arbeitsgemeinschaft Glyphosat, einem Lobbyverbund von Unternehmen der | |
„Pflanzenschutz“-Industrie. Kritiker sagen, das Mittel sei krebserregend | |
und schädige das Erbgut. Weil Glyphosat auch als Reifebeschleuniger von | |
Getreide eingesetzt wird, finden sich mittlerweile Rückstände in Mehl und | |
Backwaren. Sikkation heißt diese Praxis der Turboreife, von der sogar der | |
Bauernverband abrät. Große Teile der Bevölkerung sollen deswegen bereits | |
Glyphosatrückstände im Körper haben. Die gesundheitlichen Langzeitfolgen | |
sind ungewiss. | |
Derzeit prüft die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa), ob | |
Glyphosat weiter in der Landwirtschaft eingesetzt werden darf. Deutschland | |
als berichterstattender Mitgliedsstaat hat die weitere Zulassung beantragt. | |
Grundlage ist ein positiver Bericht des Bundesinstituts für Risikobewertung | |
(BfR). Über 900 neue Studien seien geprüft und ausgewertet worden, erklärt | |
das BfR. Die Analyse ergebe „keine Hinweise“ auf eine krebserzeugende oder | |
erbgutschädigende Wirkung durch Glyphosat bei Versuchstieren. | |
Lobbyismusexperten kritisieren die teils engen Kontakte des BfR zur | |
Industrie. | |
## „Dut ist echt ein Hammer“ | |
August Ness hat gewissermaßen seine eigenen Versuchstiere: rund eine | |
Million Bienen. Denen setzen die Pestizide offensichtlich heftig zu. Ness | |
ist seit über 30 Jahren Imker im Boitzenburger Land, sein Haus liegt nicht | |
weit vom Grundstück der Keitels. Früher hätten seine Bienen in der Umgebung | |
reichlich Nektar gefunden, sagt Ness, die Getreidefelder seien blau vor | |
Kornblumen gewesen. Doch durch den Pestizideinsatz seien die Felder zur | |
Todeszone für seine Tiere geworden. | |
Ganz schlimm sei es im vergangenen Jahr beim Raps gewesen, erzählt Ness. | |
Bienen fliegen gerne in die blühenden Rapsfelder, um sich dort Nektar zu | |
holen. Die Tiere sind dann ganz gelb von den Pollen, wenn sie zurückkommen. | |
Doch 2013 muss der örtliche Landwirt eine Menge Unkrautgift im Rapsfeld | |
gespritzt haben. „Es kam nicht eine Biene von dort zurück“, sagt Ness. Der | |
Imker kann deshalb keinen Rapshonig mehr anbieten. „Dit ist echt ein | |
Hammer, wa?“, sagt Ness in brandenburgischem Dialekt. Seinen richtigen | |
Namen will er nicht nennen. Es ist das erste Mal, dass der Imker an die | |
Öffentlichkeit geht – er will reden, das merkt man ihm an. Aber er fürchtet | |
auch, seine Kundschaft zu verlieren. Die meisten Menschen im Ort, darunter | |
viele Exilberliner, wollen ihre Ruhe haben und gehen Konflikten aus dem | |
Weg. | |
Nach dem Rapsdesaster hat Ness im Garten jetzt große Regentonnen | |
aufgestellt. Aus den verseuchten Gewässern ringsum sollen seine Bienen | |
nicht mehr trinken, meint der Imker. | |
## Der Landwirt verweist auf den Gesetzgeber | |
Einer der örtlichen Landwirte heißt Stefan Fürstenau und sitzt gerade im | |
Blaumann in seinem Büro. Im Regal stehen ein Traktor und ein Mähdrescher im | |
Spielzeugformat. Auf dem Schreibtisch liegen Unterlagen, darunter die | |
„Preisliste Pflanzenschutzmittel Frühjahr 2014“. Fürstenau wirkt nicht | |
erfreut über die wachsenden Zweifel am Pestizideinsatz seines Berufsstands. | |
Aber er scheint auch keinen wirklichen Grund zu sehen, etwas zu ändern. | |
Über 1.000 Hektar Ackerland bewirtschaftet sein Betrieb. Dass man jetzt zur | |
Saison mit den Spritzen losgehe und alles totmache – diese Kritik sei doch | |
„sehr pauschal“, sagt er. Als Landwirt habe man viele Auflagen zu erfüllen. | |
Zudem würden die Mittel der Pflanzenschutzhersteller regelmäßig auf ihre | |
Umweltverträglichkeit kontrolliert. Und maßgeblich für die Landwirte sei | |
der Gesetzgeber, sagt Fürstenau. „An irgendetwas müssen wir uns halten.“ | |
Richtig überzeugt wirkt er nicht. | |
Sybilla Keitel nennt dieses Verhalten „systemimmanente | |
Verantwortungslosigkeit“ und bezieht sich dabei auf den Soziologen Harald | |
Welzer. Keitel hat schon viele Briefe an Umweltbehörden, Ministerien und | |
Landwirtschaftsämter geschrieben und von dem dramatischen Artenschwund | |
berichtet, den sie seit Jahren beobachtet. Die Antwort sei immer die | |
gleiche, sagt sie, nämlich eine Abwälzung der Zuständigkeit auf andere: Der | |
Bauer sagt, er macht nur das, was auch erlaubt ist und was auf der Packung | |
steht. Das Landesamt für Landwirtschaft beruft sich darauf, dass die Mittel | |
gesetzlich zugelassen sind. Und das Umweltministerium verweist auf die | |
EU-Gesetzgebung. Und dass die wissenschaftlichen Beweise fehlten. | |
Dabei hat Glyphosat bei Hühner- und Froschembryonen in Studien | |
Missbildungen ausgelöst. Das Mittel schädige auch menschliche Zellen und | |
führe zu deren raschem Absterben, warnt der Naturschutzbund Deutschland | |
(Nabu). Pestizide seien giftiger für menschliche Zellen als deklariert, | |
konstatieren aktuelle Forschungsergebnisse aus Frankreich. „Poisoning our | |
Future: Children and Pesticides“ heißt die Studie einer Wissenschaftlerin | |
aus Neuseeland. | |
## Bundesrat äußert Bedenken | |
Ein Leipziger Forscherteam fand Glyphosatrückstände im Urin von Nutztieren | |
und Menschen – auch von solchen, die im Alltag nicht direkt mit Glyphosat | |
in Kontakt gekommen waren. Es ist ein Hinweis darauf, dass das Gift in der | |
Nahrungskette angekommen ist. | |
Zuletzt forderte deshalb der Bundesrat, den Einsatz von Glyphosat zumindest | |
einzuschränken und die Nutzung des Mittels als Erntebeschleuniger | |
(Sikkation) zu verbieten. Doch auf der Agrarministerkonferenz in Cottbus im | |
April wurde erst einmal alles beim Alten belassen. Kritiker sollten doch | |
„die Kirche im Dorf lassen und der Wissenschaft vertrauen“, empfiehlt | |
Brandenburgs Landesbauernverband und betont: „Pflanzenschutzmittel sind | |
wichtig für uns.“ Dank ihres Einsatzes seien die Erträge in der | |
Landwirtschaft erheblich gestiegen. | |
In die Uckermark kommen auch viele Touristen, die Region hat sich zu einem | |
beliebten Urlaubsziel entwickelt. Doch glaubt man Sybilla Keitel, ist das | |
Erholungsversprechen nur Illusion. Schon immer seien die Leute aufs Land | |
gezogen, um der schlechten Luft in der Stadt zu entgehen. Aber das Land | |
heute sei nur noch Industriefläche, auf der Gift verspritzt werde. Als | |
Künstlerin versucht Keitel auch mit selbstentworfenen Postern, Postkarten | |
und Performances auf das Artensterben in Deutschland aufmerksam zu machen. | |
Eine Karte zeigt Carl Spitzwegs „Sonntagsspaziergang“. Bei Keitel trägt die | |
Gesellschaft beim Wandern durch die Natur allerdings Gasmasken. | |
„Hier wird ein ganzes Ökosystem vernichtet, an dessen Ende der Mensch | |
steht“, sagt sie. Das größte Problem sei aber, dass die Tiere stumm und | |
unsichtbar ausgerottet würden – anders als etwa bei der Explosion der | |
Ölplattform „Deepwater Horizon“, wo Millionen Menschen am Fernsehbildschirm | |
die Bilder sterbender Pelikane ansehen mussten. In der Uckermark vollziehe | |
sich das Tiersterben dagegen schleichend, sagt Keitel, ohne medienwirksame | |
Schockbilder. „Das ist die Tragödie.“ | |
17 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Haiko Prengel | |
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