| # taz.de -- Kommentar TV-Duell Europawahl: Bürokratenfernsehen für die Massen | |
| > Ein paar Phrasen, ein bisschen Konfrontation: Ob das reicht, Europas | |
| > Massen an die Wahlurnen zu bringen? Zweifel sind erlaubt. | |
| Bild: Der ehrgeizigste aller Ehrgeizlinge hat eine seltsame Körpersprache. | |
| Es war das TV-Event dieser Woche. In fast ganz Europa und angeblich sogar | |
| in Kanada haben sich Menschen vor den Bildschirmen versammelt, um die von | |
| der Eurovision veranstaltete TV-Debatte der Spitzenkandidaten der großen | |
| europäischen Parteienbündnisse zu verfolgen. In Deutschland wurde im | |
| Informationskanal Phoenix viel Sendeplatz freigeschaufelt, um dem kleinen | |
| Sender endlich mal zu einer richtig guten Quote verhelfen und der | |
| italienischen Starmoderatorin Monica Maggioni neue Fans zuführen zu können. | |
| Es war der Konservative, der das Wort Solidarität als erster bemühte, es | |
| war ein Liberaler, der als erster den Klimawandel als Problem benannt hat. | |
| Es war der Sozialdemokrat, für den Bürgerinnen und Bürger vor allem | |
| Steuerzahler sind und es war eine Grüne die die Menschen zu Leuten macht | |
| und das Wort vom europäischen Traum so bemühen musste . Und da war dieser | |
| Linke aus Griechenland, der sein Land in einer wahren Tragödie sieht und | |
| für den Europa, so wie es derzeit funktioniert, alles andere als ein Traum | |
| ist. | |
| Klar, alle hatten sie ein gutes Wort für die Arbeitslosen übrig – vor allem | |
| für die jungen Arbeitslosen. Und – wen wunderts – es war die grüne | |
| Kandidatin Franziska Maria Keller, die vor fünf Jahren als 27-jährige Frau | |
| zum ersten Mal für die Grünen ins Europaparlament eingezogen und seitdem so | |
| etwas wie ein ewiges Talent ist, die Zukunft in der Ökowirtschaft sieht. | |
| Wenn die nur irgendwie entstehen würden, dann werde schon alles gut. | |
| Und es war der Konservative Jean-Claude Juncker („Ich mag Griechenland“), | |
| ein Arbeiterkind aus Luxemburg, der lange Jahre Ministerpräsident in seinem | |
| Heimatland war, was er nicht mehr sein durfte, nachdem er über irgendeinen | |
| Geheimdienstskandal gestürzt ist, für den sich heute – warum eigentlich? – | |
| kein Mensch mehr interessiert, es war der Konservative, der glaubt, dass in | |
| der Digitalwirtschaft 3 Millionen Arbeitsplätz geschaffen werden können, | |
| wenn nur die Staatshaushalte gesund sind. | |
| ## Lieber ein Bad in der Menge | |
| Dann es war Alexis Tsipras, Chef der Europäischen Linken, dessen Sache eher | |
| das Bad in der Menge ist als ein Auftritt, bei dem er von den Technikern | |
| einer Fernsehanstalt hinter ein Rednerpult geschraubt wird. Der | |
| eingefleischte Anti-Merkelist könnte mit seiner Partei Syriza stärkste | |
| politische Kraft in Griechenland werden und er verfluchte die Ideen seiner | |
| Kontrahenten als alt. Sie seien es doch gewesen, die Südeuropa in die | |
| Katastrophe geführt haben. Was in Griechenland geschehen sei, bezeichnete | |
| er als soziale Tragödie. Er startet mit einem Aufruf in die Debatte: | |
| Schluss mit dem Fingerzeigen auf die Länder Südeuropas. | |
| Und während Martin Schulz, der europäische Supersozialdemokrat deutschen | |
| Blutes und bekennende Anti-Berlusconi, der zwar keinen Fußballklub besitzt, | |
| aber immerhin beinahe Profi geworden wäre, das Heil im Kampf gegen | |
| Steuerhinterzieher und irgendwie auch im Öko- und IT-Markt sucht, ist es | |
| Guy Verhofstadt, der das Schuldenmachen als die Wurzel allen Übels | |
| bezeichnet. Der Mann ist gewiss ein politisches Talent. Er war neun satte | |
| Jahre Regierungschef in Belgien, einem Land, das – so berichtet es | |
| taz-Europakommissar Deniz Yücel – nicht einmal von seinen eigenen Bewohnern | |
| gemocht wird, sonst hätten sie nicht das Brüsseler Männeken Piss zu ihrem | |
| Wahrzeichen gemacht, einen kleinen Jungen, der auf sein Land pinkelt. Als | |
| Chef des liberalen Parteienbündnisses im Europäischen Parlament bemüht er | |
| sofort das Wort Scheideweg. An dem befindet sich seiner Meinung nach | |
| Europa. Soso. Immerhin war er derjenige, der am lautesten redete. Oder war | |
| es nur sein Dolmetscher, der so schrie? | |
| Schnell war klar, wer welche Rolle spielt an diesem Abend. Und schön war es | |
| zu beobachten, wie dieser Kandidatenkampf organisiert war. Auf jede Frage | |
| durfte jeder Teilnehmer eine Minute lang antworten, für die direkte Antwort | |
| auf eine Einlassung konnte eine Blaue Karte, ein Joker, gezogen werden. 30 | |
| Sekunden Redezeit hatten die KandidatInnen. Alles war schön geregelt und am | |
| Ende stand die Frage im Raum, ob diese gewiss EU-taugliche Durchgegeltheit | |
| dafür gesorgt hat, dass die Diskussion besonders gut funktioniert. Eine | |
| TV-Diskussion, so bürokratisch verwaltet wie die EU. Viel mehr als | |
| Schlagworte wurden da nicht ausgetauscht. Putin, Sanktionen, Diskussionen, | |
| Finanzströme, Faschisten, Energie, Brüderlichkeit, Abhängigkeit, Einhalt, | |
| Soft Power, Krieg, Diplomatie, Wahlen, Dialog. Themawechsel. Und beinahe | |
| wird mehr über Schottland und Katalonien geredet als über die Ukraine. Der | |
| Countdown auf der Sprechzeituhr hilft den Kandidaten, ihre Ratlosigkeit | |
| beim Thema Russland zu überspielen. Bürokratie kann durchaus hilfreich | |
| sein. | |
| Ratlosigkeit herrscht auch beim Thema Immigration. Keller, Juncker, Schulz | |
| und Verhofstadt fordern „legale Einwanderung“. Welch Einigkeit! Aber warum | |
| hat sich da in den vergangenen fünf Jahren so wenig getan, mag man sich da | |
| fragen. Oder sind sich die vier doch nicht so einig? Was aber ist mit der | |
| illegalen Einwanderung? Die ist natürlich bäh. „Wir brauchen Solidarität�… | |
| meinte Tsipras und steht damit ziemlich alleine da, obwohl es doch alle | |
| angeblich so gut meinen mit den Flüchtlingen. | |
| ## Alle auf den Griechen | |
| Immerhin waren die Fronten schnell geklärt. Alle auf den Griechen, hieß es! | |
| Tsipras musste sich sogar vorhalten lassen, dass seine Partei einmal eine | |
| Kredit aufgenommen hat. So einer, so Verhofstadt habe nicht das Recht, | |
| Banken zu kritisieren. Das Niveau, auf dem da bisweilen diskutiert wurde, | |
| darf getrost als elend bezeichnet werden. | |
| Keiner der Kandidaten, die das Amt des EU-Kommissionspräsidenten anstreben | |
| – der ehrgeizigste Ehrgeizling von allen war gewiss Schulz –, hatte eine | |
| Idee, wie man mehr Europäerinnen so für Europa begeistern kann, dass sie | |
| auch wählen gehen. Alle wollen alles gegen Korruption tun, eine – Keller – | |
| will etwas gegen Lobbyismus tun und einer – Juncker – will alle EU-Bürger | |
| zu Lobbyisten der Demokratie machen. Hört, Hört! | |
| Ob nach dieser Debatte am 25. Mai die Menschen zu den Urnen strömen werden? | |
| Aber vielleicht saßen ja gar nicht so viele Menschen vor den Bildschirmen? | |
| Auf welchem Kanal lief die Diskussion nochmal? Phoenix? Wie sagte | |
| Moderatorin Maggioni immer wieder? Die Zeit ist abgelaufen. Vielen Dank! | |
| 15 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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