# taz.de -- Der Fortsetzungsroman: Kapitel 25: Vorbereitungen für die Flucht | |
> Woher soll Mütterchen die Papiere nehmen, um Sandy aus dem Arbeitslager | |
> zu holen? | |
Bild: So sah es 1945 am Brandenburger Tor aus: Touristen posieren vor einer Bil… | |
Ich habe einen Aufsatz gefunden, den Mütterchen Anfang der 80er als | |
Abschlussprüfung eines Englisch-Kurses an der Volkshochschule schrieb. Es | |
ist die Geschichte, „How I helped my husband to escape from a labor-camp of | |
the Nazis“, ihre beste Story, das Gelbe vom Ei. | |
„My husband was a half-jew“, schreibt Mütterchen. „That means his father | |
was a jew and his mother an Arjan. The pair had 2 children, who were | |
christened. The Nazis called such a marriage ’eine privilegierte | |
Mischehe‘.“ | |
Mütterchen lässt nichts aus. In knappen Sätzen erzählt sie von der | |
Zerstörung des Antiquariats in der Pogromnacht, Sandys Internierung bei der | |
OT in Jena und Roseries Zwangsarbeit bei Ardenne. Ihre eigene Flucht lässt | |
sie aus. Das ist eine andere Geschichte. | |
„Since February 1945 I lived in Berlin with my later parents-in-law and I | |
reflected that it would be better for my husband to escape from the camp. | |
From one side the American soldiers came on and from the other the | |
Sowjetons and nobody could know what the Nazis would do the last days | |
before the war ended.“ | |
Ich stelle mir vor, wie sie da sitzt in Charlottenburg im Zimmer ihres | |
Verlobten und seine Flucht plant. Wie sie Notizen macht, nachdenkt, laut | |
mit sich selbst redet, eine nach der anderen rauchend. „Nee, is ja | |
Quatsch“, sagt sie und streicht irgendwas durch, „wir brauchen ja die | |
Reisegenehmigung!“ Ärgerlich bläst sie den Zigarettenrauch aus. „Pffft“, | |
macht es. Genauso saß sie später in ihrem Sessel in der Plattenbauwohnung | |
am Tierpark und knobelte an einem Kleidungsstück rum, das nicht so | |
funktionierte, wie sie es haben wollte. Nur dass sie dann statt der Kippe | |
im Mund eine Brille auf der Nase hatte. | |
Anfang März 1945 scheint der Plan noch zu sein, dass Mütterchen nach Jena | |
fährt und Sandy abholt. Zumindest glaubt er das. Sogar von Fahrrädern ist | |
die Rede. Am 11. 3. schreibt er: | |
„Wennste Lust hast, bring beim Besuch unsere Fahrräder mit; dann könnten | |
wir eine Radtour unternehmen.“ Stellt euch das vor! Bei 5 Grad Celsius von | |
Jena nach Berlin mit dem Fahrrad. Das sind mehr als 250 Kilometer. | |
Unterernährt und entkräftet, wie die waren. | |
„Das wichtigste Ausweisdokument für jeden jungen Mann in dieser Zeit war | |
der Wehrpass“, schreibt Mütterchen auf Englisch. Das ist der Vorteil von | |
schlechten Übersetzungen. Das Original scheint durch. Den Wehrpass hatte | |
Sandy, das wussten Mütterchen und Roserie. Selbst Männer, die wie mein | |
Großvater als „wehrunwürdig“ galten, waren trotzdem Angehörige der Armee | |
und mussten jederzeit offiziell bescheinigen können, warum sie sich nicht | |
für Hitler totschießen ließen. | |
Um mit dem Zug fahren zu können, ohne sofort verhaftet zu werden, brauchte | |
Sandy aber noch weitere Dokumente. | |
„At this time every man had to have a permission by military sub-district | |
and by railway administration for using the train.“ Genau. | |
Reisegenehmigungen mussten von zwei Stellen abgestempelt sein, vom | |
zuständigen Wehrmachtsamt und von der Reichsbahnverwaltung. Zusätzlich zum | |
Wehrpass und zur Reisegenehmigung brauchte Sandy außerdem seinen | |
Arbeitsausweis von der Organisation Todt. An den kam er aber nicht ran, | |
weil der bei der Lagerverwaltung im Safe lag. „Therefore we had to make a | |
compensation“, schreibt Mütterchen. | |
Roserie brachte von Ardenne zwei Briefbögen mit Briefkopf und Firmenstempel | |
nach Hause. Hatte sie vom Schreibtisch der Sekretärin geklaut. | |
Auf einen schrieben sie mit Schreibmaschine: „The workmans passport of Mr | |
Streisand was lost by ’Feindeinwirkung‘ (That was the technical term at | |
this time) a new writing is moved by the labor exchange.“ Dass | |
Feindeinwirkung die offizielle Bezeichnung für Bombenschäden war, hat | |
Mütterchen vergessen zu schreiben. Auf Deutsch schrieb sie: „Der | |
Arbeitsausweis des Joachim Streisand wurde durch Feindeinwirkung zerstört. | |
Ein neuer ist beim Arbeitsministerium beantragt.“ Auf den zweiten Brief | |
tippte sie: „Herr Joachim Streisand reist nach Jena im Auftrag der Firma | |
Ardenne. Zweck der Reise: Transport eines kriegswichtigen Photoobjektivs.“ | |
Mit diesen beiden Papieren ging Mütterchen in der Rolle einer Sekretärin | |
von Manfred von Ardenne „to the military sub-district to get a stamp at the | |
paper“. Wo ging sie hin? Zum Wehrkreiskommando. „Military sub district | |
command“, meinte sie. Das letzte Wort hat sie vergessen | |
Mit Roserie war verabredet, dass Mütterchen mittags zwischen 11 und 12 in | |
die Kommandantur gehen sollte. „Da is bei Ardenne Mittagspause“, sagte | |
Roserie, „da putze ich die Büros und kann unauffällig in der Nähe des | |
Telefons von Ardennes Sekretärin bleiben. Wenn irgendwas sein sollte, | |
erreichste mich da. Aber nur zwischen 11 und 12!“ | |
22 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Lea Streisand | |
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