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# taz.de -- Der Fortsetzungsroman: Kapitel 27: Mit dem Zug in die Datsche
> Der Plan geht auf: Ende März 1945 kommt Großvater tatsächlich in Berlin
> an. Und versteckt sich in einer Sommerlaube.
Bild: Der Zug kam, und alles geht gut.
Eine halbe Wand war alles, was noch stand vom Jenaer Postamt nach dem
Luftangriff in der Nacht von Freitag auf Samstag, den 17. März 1945.
Das klingt wie ein Gedicht.
Eine halbe Wand
War alles
Was noch stand
Vom Jenaer
Postamt …
Und an dieser Wand hing ein Zettel, handgeschrieben, auf dem war zu lesen:
„Einige postlagernde Sendungen konnten gerettet werden und sind da und da
abzuholen.“ So hat Mütterchen das immer erzählt. „Da und da.“ Wortwört…
Sandy ging hin zu der Stelle und tatsächlich: Der Brief war da. Er hatte ja
gar nicht gewusst, was genau da per Post kommen sollte, nur dass es
postlagernd war und irgendwie wichtig. Er öffnete das Kuvert direkt an Ort
und Stelle, fand die Fahrkarte samt Reisegenehmigungen und ging direkt zum
Bahnhof. Er kehrte gar nicht noch mal ins Lager zurück, um irgendwelche
Sachen zu holen. Seinen Wehrpass trug er immer bei sich.
Nee, Moment.
„The very same night my husband left the barrack trought the window and
went to the station“, schreibt Mütterchen in ihrem Englisch-Aufsatz von
1982. Ach so. Na gut.
Jedenfalls war Fliegeralarm, als er am Bahnhof ankam. Er musste in den
Bahnhofsbunker. Dort hatte er richtig Angst. Wenn ihn nun jemand erkannte!
Seine Papiere eingehender kontrollierte. Mit Ardenne telefonierte. Aber die
Bahnhofsbeamten hatten selber genug mit ihrer Angst zu tun und ließen ihn
gewähren. Der Zug kam, mein Großvater stieg ein. Die Schaffner und
SS-Leute, die durch den Zug patroullierten, wollten alle Papiere sehen, die
echten und die gefälschten. Nichts wurde entdeckt.
In Berlin angekommen, ging er direkt zu der Wohnung von Hilde und Walter
Born. Das war so verabredet. Seine Eltern sollten von der ganzen Aktion
nichts wissen. Sie hätten sich doch nur noch mehr Sorgen gemacht.
Von dort kam er in die Sommerlaube der Borns. Eine Datsche irgendwo am
Stadtrand.
Der letzte Brief meines Großvaters ist vom Sonntag, den 26. März 1945, eine
Woche nach der Flucht. Die Ortsangabe ist unleserlich. „Ole“, oder so was
„Meine
Zum Sonntagmorgen aus dem Bett einen Kuss – bevor ich ein erstes Lesen
veranstalte, möchte ich doch erstmal sagen ’ich liebe Dich‘, nicht nur
deshalb, weil ich ja eigentlich noch nicht ausgeschlafen habe und nach
dieser ersten Lektüre weiterschlafen werde, ist dieses Aussprechen nicht
ganz einfach. Auch deshalb, weil ich noch gar nicht recht zur Besinnung
gekommen bin; weil die ersten Stunden seit Ewigkeiten, in denen ich alleine
sein konnte, ihre Fruchtbarkeit erst noch erweisen müssen; weil ein des
Schreibens fast Entwöhnter im Bett erst recht ungelenk ist (zumal wenn er
dauernd nach dem Ofen gucken muss – aber ER BRENNT, er brennt, gelobt seien
die Laren, die Götter des heimischen Herdes) – schwer ist dieses
Aussprechen vor allem deshalb, weil diese Liebe unter den jetzigen
Belastungen des realen Lebens in eine so tiefe Abhängigkeit und
Bedürftigkeit ausgeartet ist, oder sich dazu vertieft oder erhoben oder
erweitert oder verklärt hat (als was es zu deuten ist, ist ja gerade die
Frage), dass ich glaube, nie mehr aus dieser ’Unvollständigkeit‘ (das ist
wohl das nächste Wort) herauskommen zu können, mache diese Bedürftigkeit
fruchtbar, Juschka, ich bitte dich darum. Zwar ist durch die Realitäten das
Wachstum unserer Ehe in eine bestimmte, vielleicht so nicht ganz natürliche
Richtung gedrängt worden (denn schließlich soll ja doch der Mann wenigstens
etwas zur Nährung und Mehrung auch im Realen beitragen) – andererseits aber
macht die erstmalige Hoffnung auf längeres Beisammensein zum ersten Mal ein
kontinuierliches gemeinsames inneres Arbeiten möglich, und wir sehen
deutlicher, wo’s mit uns hingeht.
Aller Trivialpsychologie, die mit einer fertigen Einheit ’Mensch‘ arbeitet,
steht diese unsere jetzige Erfahrung entgegen – was ich jetzt erlebe, ist
die völlige Angewiesenheit auf Dich – zum Guten und zum Bösen. Vielleicht
bist du besorgt darüber, vielleicht bist du glücklich darüber (denn im
Grunde hast du Dir ja sicherlich so etwas immer gewünscht: in der Hingabe
herrschend oder im Herrschen voller Hingabe zu sein, unbedingt und ganz) –
im Augenblick ist’s wie eine Geburt, und hoffen wir, dass das Kind wachsen
darf, ungehindert von der realen Welt, und innerlich reif und weit wird.
Der Ofen brennt, das Radio macht Bumsmusik, Warmwasser gibt’s immer noch
nicht, ich mache mir noch eine Zigarette und träume vor mich hin – von der
mollich wieder so nahen – nur nahen, und nur in einem sehr versteckten
Winkel unseres Liebeslandes fernen Juschka,
von meiner Juschka,
Dein Sandy“
5 Jun 2014
## AUTOREN
Lea Streisand
## TAGS
Fortsetzungsgeschichte
Familienroman
Theater
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Fortsetzungsroman Der Lappen muss hoch
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