| # taz.de -- Populismus der Kanzlerin: Merkel missbraucht Migranten | |
| > Wie es gerade passt: Nach Integrationsgipfeln, netten Worten und Fotos | |
| > betont die Kanzlerin kurz vor der Europawahl, die EU sei „keine | |
| > Sozialunion“. | |
| Bild: Macht zum Schluss einen Sprung nach rechts: Kanzlerin Merkel | |
| BERLIN taz | Wirklich überraschend ist es nicht, was Angela Merkel in einem | |
| Interview mit der Passauer Neuen Presse gesagt hat. „Die EU ist keine | |
| Sozialunion“, hatte die Kanzlerin erklärt; CDU und CSU arbeiteten daran, | |
| bei Sozialleistungen wie dem Kindergeld „bestmöglich Missbrauch | |
| ausschließen zu können“. | |
| Erstaunlich ist aber der Zeitpunkt von Merkels Einlassung. Das Interview | |
| erschien drei Tage vor dem deutschen Termin zur Europawahl und exakt an | |
| jenem Tag, an dem in Großbritannien und in den Niederlanden die ersten | |
| Wähler ihre Stimmen abgeben. Beides sind Länder, in denen Rechtspopulisten | |
| auf dem Vormarsch sind. | |
| In Berlin schäumte die Opposition. Der Linke-Vorsitzende Bernd Riexinger | |
| sagte der taz: „Merkel bedient die Stimmungen, mit denen die Rechten | |
| Politik machen. Sie macht effektiv den Job von Lucke und Le Pen.“ Die | |
| Kanzlerin habe „Europa einfach nicht verstanden“, Frieden und Wohlstand | |
| seien nur mit sozialer Gerechtigkeit sicher. „Europa wird Sozialunion, oder | |
| es scheitert.“ Grünen-Chef Cem Özdemir erklärte, die Kanzlerin entwerfe | |
| „Horrorszenarien, die mit der Realität nichts zu tun haben“, sie erkläre | |
| europäische Grundwerte für nichtig. | |
| Selbst der sozialdemokratische Koalitionspartner fand klare Worte. Der | |
| stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner warnte Merkel, in der | |
| Schlussphase des Europawahlkampfs die steigende Zuwanderung nach | |
| Deutschland zur Stimmungsmache zu nutzen. | |
| Tut sie das? Liest man das Europawahlprogramm der CDU, deren Vorsitzende | |
| Merkel ist, steht dort unter Punkt 2.5, die CDU wolle Acht geben, dass die | |
| Arbeitnehmerfreizügigkeit „nicht durch Armutswanderung überlagert wird. | |
| Einer Zuwanderung aus anderen EU-Staaten, die allein darauf gerichtet ist, | |
| die europäische Freizügigkeit zu missbrauchen und die sozialen | |
| Sicherungssysteme unseres Landes auszunutzen, treten wir entschieden | |
| entgegen.“ Merkel hat also in dem umstrittenen Interview die Beschlusslage | |
| ihrer Partei wiedergegeben. | |
| ## „Völlige Selbstverständlichkeit“ | |
| Martin Schulz, SPD-Spitzenkandidat im Europawahlkampf, erklärte dazu | |
| gegenüber der taz, die aktuelle Debatte weise auf eine „völlige | |
| Selbstverständlichkeit“ hin: „Eine Einwanderung in das deutsche | |
| Sozialsystem entspricht nicht dem europäischen Recht.“ Klar sei aber auch, | |
| dass Deutschland von ausländischen Arbeitnehmern profitiere, „die in | |
| unserem Land Steuern und Abgaben zahlen“. | |
| So bewertet das auch das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und | |
| Berufsforschung (IAB). Dessen Zuwanderungsexperte erklärte gegenüber der | |
| Nachrichtenagentur Reuters, sein Institut rechne für 2014 mit einer | |
| Bevölkerungszunahme um 130.000 bis 135.000 Rumänen und Bulgaren. | |
| Bisher vorliegende Zahlen seien positiv: Im Januar und Februar kamen unter | |
| dem Strich 19.000 Bürger beider EU-Staaten nach Deutschland. Insgesamt | |
| nahmen sogar 29.000 Bürger dieser Staaten in diesem Zeitraum hier eine | |
| Arbeit auf. Die Freizügigkeit führe offenbar dazu, so der IAB-Experte, dass | |
| viele in Beschäftigung gelangen könnten. Diese Leute zahlten Steuern und | |
| Abgaben. | |
| Allerdings beobachtet das IAB auch einen Anstieg der Sozialhilfe. Von den | |
| Bulgaren und Rumänen bezogen im Januar 11,6 Prozent Hartz-IV-Leistungen. | |
| Ein Wert, der immer noch deutlich unter der allgemeinen Hilfequote aller | |
| Ausländer liegt. Dieser liegt derzeit bei 16 Prozent. | |
| 22 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
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