| # taz.de -- Theater der Welt in Mannheim: Gespenstisch präsente Gegenwart | |
| > Vorstellungskraft macht Theater erst möglich – spürbar in den Stücken von | |
| > Dmitry Krymov und Rabih Mroué. Erste Eindrücke vom Festival in Mannheim. | |
| Bild: In „Tararabumbia“ sind das Theater und die Geschichte auf einem Trans… | |
| „Hallo Welt“ steht auf den roten T-Shirts, von denen in Mannheim gerade | |
| sehr viele zu sehen sind. Denn hier begann am Wochenende das Festival | |
| Theater der Welt, das alle drei Jahre in einer anderen deutschen Stadt | |
| gastiert. Und gleich zur Eröffnung kam die Welt auf die Bühne, oder | |
| zumindest ein ziemlich großer Teil von ihr, und das Theater zuckte etwas | |
| verschreckt zusammen in der Uraufführung der „Schutzbefohlenen“ von | |
| Elfriede Jelinek. | |
| Doch zu viele Konflikte um Ausgrenzung, zu viele Debatten über Rassismus | |
| versuchte der Regisseur Nicolas Stemann in die Inszenierung hineinzupacken. | |
| Gut, dass das Stück für eine weitere Aufführung im Thalia Theater Hamburg | |
| noch bearbeitet wird. Dabei ist der Text eine großartige Herausforderung. | |
| Wut über ein Europa, das Flüchtlinge zurückweist, und Verzweiflung über | |
| deren ausweglose Situation hat Elfriede Jelinek in einen Text gepackt, der | |
| Motive aus einer antiken Tragödie mit der Bildern von Asylsuchenden heute | |
| verknüpft. | |
| Die Ertrunkenen von Lampedusa, die Besetzung einer Kirche in Wien durch | |
| Flüchtende, der eurokratische Vorschriftendschungel und die heuchlerischen | |
| Regeln für ein Miteinander aus einer Broschüre „Zusammenleben in | |
| Österreich“ geben dem Text viele Realitätsbezüge. | |
| Das ist gut. Zugleich aber ist es ein artifizieller und imaginierter Text. | |
| Es wird immer über Bande gesprochen. Was einer, der in Europa nicht gewollt | |
| wird, demjenigen entgegenschleudern könnte, der sich Regeln ausdenkt, ihn | |
| fernzuhalten. Und wie der ankommende Migrant, machte er sich denn die Logik | |
| derer zu eigen, deren Akzeptanz er sucht, eigentlich nur an seiner eigenen | |
| Abschaffung arbeiten kann. Das ist oft ein großer Zynismus, durch den man | |
| da hindurchmuss, bis man bei der Empathie ankommt. | |
| Das funktioniert in Stemanns Inszenierung zwar in gewohnter intellektueller | |
| Eleganz, solange sich die Schauspieler den Text wie Bälle zuwerfen. Wenn | |
| zum Beispiel aus dem Satz, „Der Rassismus hat bei uns keinen Platz“, ein | |
| anderer Satz folgt: „Dann muss er halt stehen, der Rassismus“. Und der | |
| steht dann in der U-Bahn und beklagt, warum „der Ausländer“ einen Sitzplatz | |
| hat. Aber ein Teil der Inszenierung ist ein großer „Flüchtlingschor“, üb… | |
| 20 Personen, in Mannheim kurzfristig gecastet. Dessen Mitspieler sollen nun | |
| mit ihren Erfahrungen an den Text andocken. In dem Moment gerät der | |
| Rhythmus aus dem Tritt, und statt sich aus vielen Einzelnen | |
| zusammenzusetzen wird der Chor zum Bild der Masse. | |
| ## Ohne Verantwortung | |
| Mal klettern sie über einen Zaun aus Stacheldraht, mal verschließen sie | |
| Kapuzen über dem Kopf wie einen Leichensack, zum Schluss betteln sie und | |
| umringen die Schauspieler, bis man nichts mehr von denen sieht. Da wird | |
| einem doch mulmig, wie Ängste in Bilder umgesetzt werden. Ein | |
| verantwortungsbewusstes Dokumentartheater aber sieht anders aus und benutzt | |
| die Mitspielenden nicht nur als Authentifizierungsnachweis. | |
| Zwar wird deutlich, dass sich Regisseur und Schauspieler dieser Problematik | |
| bewusst sind, aber aus der Klemme sind sie damit nicht. Vor Jelineks Stück | |
| hatte der Internetaktivist Jacob Appelbaum zur Eröffnung geredet. Ihm war | |
| vor Kurzem der Henry-Nannen-Preis verliehen worden, für investigativen | |
| Journalismus und seine Aufklärungsarbeit in der NSA-Affäre. | |
| Dass dieser Preis auf einen Mann zurückgeht, der früher ein Propagandist | |
| des Nationalsozialismus war, erschreckte Appelbaum. Er forderte von | |
| Deutschland größere Sensibilität gegenüber denen, die es nach dem Willen | |
| der Nationalsozialisten nie hätte geben dürfen. Dieser agitatorische | |
| Auftakt und Jelineks Furor hätten zusammen einen starken Zündfunken geben | |
| können. Doch stattdessen entstand eher der Eindruck, dass die ästhetischen | |
| Mittel diesem starken Einbruch von Realität dann doch nicht gewachsen | |
| waren. | |
| Das war zum Glück ganz anders in weiteren Produktionen des ersten | |
| Wochenendes. Dabei markieren „Riding on a cloud“ von Rabih Mroué aus Beirut | |
| und „Tararabumbia“ von Dmitry Krymov aus Moskau zwei extrem | |
| unterschiedliche ästhetische Positionen. Mroué ist ein Meister darin, den | |
| Anteil der Vorstellungskraft an der Herstellung von Realität stets | |
| mitzuerzählen und darin die eigentliche Antriebskraft von Theater | |
| auszumachen. | |
| Bei Krymov hingegen hat die Kunst viel von einem Abwehrzauber gegenüber der | |
| Gegenwart, die als das nicht Ausgesprochene gespenstisch präsent ist. Ein | |
| Stapel Tonkassetten, ein Stapel kurzer Videos, ein Mosaik aus Bildern, | |
| Schriften (in Arabisch, Englisch und Deutsch untertitelt), damit erzeugt | |
| Yasser Mroué, der Bruder des Theatermachers, etwas, das sich zur Erklärung | |
| eines Lebens zusammensetzt. Was dabei zur Sprache wird, ist einmal durch | |
| die Sprachlosigkeit hindurchgegangen. Mit 17 Jahren war Yasser fast schon | |
| einmal tot, ein Kopfschuss während des Bürgerkriegs im Libanon. Er | |
| überlebte, verlor aber einen Teil seiner Sprache und konnte auch Bilder | |
| nicht mehr erkennen. Aus dem Misstrauen in die Systeme der Darstellung hat | |
| Mroué schon viele seiner Werke gebaut. „Riding on a cloud“ aber ist auch | |
| eine Liebeserklärung an den Bruder, an familiäre Bindungen, an die | |
| Notwendigkeit, sich die eigene Geschichte wieder und wieder zu erzählen, | |
| wenn so vieles um einen herum zerstört wird. | |
| ## Zärtliche Langsamkeit | |
| Auch dann, wenn diese Geschichte dabei zu einer anderen wird, Fakten und | |
| Fiktion nicht zu trennen sind. Die Langsamkeit der Erzählung wird zur | |
| Zärtlichkeit, die Einsamkeit von Yasser auf der Bühne zunehmend zu einem | |
| Raum, der immer mehr auf ihn zugeschnitten ist. Bild und Text verhalten | |
| sich dabei nie illustrativ, sondern stets mit Abweichungen und | |
| Interpretationsspielraum. Im Akt des Benanntwerdens verändert sich da jedes | |
| Ding ein wenig. Selten erfährt man so luzide, was Sprache mit dem | |
| Sprechenden macht und umgekehrt. | |
| In „Tararabumbia“ sind das Theater und die Geschichte auf einem | |
| Transportband gelandet. Eine gigantische Parade mit über 80 Beteiligten | |
| zieht sozusagen in Supercinemascope vorüber, darunter Kinder und Riesen, | |
| Tschechows Schwestern und Duellanten, Synchronschwimmerinnen und Taucher | |
| aus der Sowjetzeit. Das Ganze wirkt wie ein surrealistisches Begräbnis | |
| erster Klasse, in dem man sehr viele Klischees von dem, was seit hundert | |
| Jahren als russisch gilt, bestätigt sieht. Artistik und Slapstick | |
| grundieren den Aufmarsch ironisch. Er ist nostalgisch und er ist traurig | |
| und irgendwann denkt man, das liegt eben auch daran, dass er nie in der | |
| Gegenwart ankommt. | |
| Matthias Lilienthal ist der diesjährige Leiter des Festivals. Er hat auch | |
| eine Gruppe Architekturstudenten geholt, die nun um das Theater herum | |
| campieren, workshoppen und unter dem Label Shabbyshabby eine Reihe von | |
| Behausungen für Festivalbesucher entworfen haben. Oft Hardcore: Aus | |
| Abfallcontainern auf dem Marktplatz, aus Drainagenschläuchen gewickelt oder | |
| auf Gerüste gestellt, sehen sie oft mehr wie ein Mahnmal gegen | |
| Obdachlosigkeit aus denn wie eine kuschlige Unterkunft. Romantisch wirkte | |
| davon nur eine Ansammlung aus Regenschirmen, die das Vorderdeck eines | |
| Schiffs auf dem Neckar in ein Shabbyshabby-Zimmer umgewandelt haben. | |
| Doch wenn man zuschaut, wer nun alles zu Fuß oder mit dem Rad diese | |
| flüchtigen Architekturen erkundet, sieht man, dass eines von Lilienthals | |
| Zielen doch funktioniert: Einheimische und Zugereiste auf einen | |
| Entdeckungsparcours durch die Stadt zu schicken und sie unerwartete Winkel | |
| entdecken zu lassen. | |
| 27 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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