| # taz.de -- Student über Scheinwahl in Syrien: „Natürlich wähle ich nicht�… | |
| > Der Student Omar und seine Freunde waren die Ersten, die gegen Assad | |
| > demonstrierten. Warum er die Abstimmung boykottieren will – auch wenn er | |
| > sein Leben riskiert. | |
| Bild: Diktatorenfans, anders als Omar: regimetreue Studenten der Universität A… | |
| taz: Omar*, als angehender Ingenieur für Petrochemie gehören Sie zu den | |
| Elitestudenten in Syrien. Sie leben in dem Teil von Deir-es-Sor, der vom | |
| Assad-Regime kontrolliert wird. Werden Sie wählen gehen? | |
| Omar: Natürlich nicht! | |
| Wird man die Studierenden nicht dazu zwingen? | |
| Doch. Am Wahltag finden die Abschlussprüfungen statt – wer sie ablegen | |
| will, muss wählen. Das gilt für sämtliche Fachbereiche. | |
| Sie werden die Prüfungen aber nicht ablegen? | |
| Nein. Ich werde für ein paar Tage verschwinden müssen. Wahlen bedeuten, | |
| dass man seinen Daumen in Tinte tunken und aufs Papier drücken muss. Die | |
| Tinte bleibt etwa 5 Tage lang sichtbar. Ich werde keinen Abdruck haben, | |
| also mindestens 5 Tage lang keinen Checkpoint passieren können. | |
| Werden Sie danach an die Fakultät zurückkehren? | |
| Unbedingt. Aber es kann gut sein, dass sie mich rauswerfen oder gleich | |
| verhaften wollen. | |
| Haben Sie Angst? | |
| Ja. | |
| Wie ist die Stimmung an Ihrer Fakultät? Wie viele Ihrer Kommilitonen werden | |
| sich dem Druck beugen und an den Zwangswahlen teilnehmen? | |
| Im Studiengang Petrochemie sind wir insgesamt etwa 400 Studierende. Von | |
| zwei Personen weiß ich, dass sie aus Überzeugung für Assad votieren werden. | |
| Wir reden an der Fakultät aber nicht über die Wahlen. Denn wer, wie ich, | |
| nicht wählt, ist gefährdet, und wer wählt, ist auch in Gefahr, denn aus | |
| Sicht der Rebellen verrät er die Gefallenen. Das Ganze ist eine Farce. | |
| Gleichzeitig ist es eines der seltenen Ereignisse, bei denen ein Präsident | |
| ohne Programm und ohne jedes Wahlversprechen antritt, sondern einfach nur | |
| fordert: Wähl mich! | |
| Werden nur die Studierenden zur Teilnahme gezwungen? | |
| Nein. Wer bei staatlichen Firmen oder Institutionen angestellt ist und sein | |
| Gehalt oder Rente will, muss genauso „wählen“ gehen. | |
| Die Gehälter werden doch am Ende des Monats ausgezahlt. | |
| Jetzt eben vier Tage später. Das Regime hat das Datum für die Auszahlung | |
| verschoben. Seit Ausbruch des Krieges 2012 ist es zudem verboten, dass auch | |
| jemand in Vertretung für mich das Gehalt entgegennehmen kann. Auf diese | |
| Weise versucht das Regime, Personen habhaft zu werden, die es auf die | |
| Fahndungsliste gesetzt hat. Gelingt das nicht, kann zumindest ihr Geld | |
| einbehalten werden. | |
| Die Opposition spricht von „Blutwahlen“. Wie wichtig sind diese für Sie und | |
| ihre Kommilitonen psychologisch? | |
| Sie sind eine riesige Enttäuschung. Wir waren die Ersten, die auf dem | |
| Campus im Mai 2011 demonstriert haben: „Das Institut für Petrochemie ist | |
| gegen Assad“. Die Polizei brach das Gesetz, dass der Campus für sie tabu | |
| ist, und griff sofort ein. Etwa 25 Kommilitonen wurden verhaftet. Sie alle | |
| sind bis heute verschwunden. | |
| Gibt es Zeichen des Widerstands in der Stadt? Graffiti – oder Ähnliches? | |
| Nein. Das ist zu gefährlich. In unserer Stadt sind so viele | |
| Geheimdienstleute unterwegs, wir müssen sehr aufpassen. Bereits drei Männer | |
| auf der Straße gelten als Versammlung. Ich gehe abends nicht mehr aus dem | |
| Haus. | |
| Wie ist die Versorgungslage? | |
| Schlecht. Wir haben jetzt um die 41 Grad und kaum Strom, also auch keine | |
| funktionierenden Kühlschränke. Daher essen wir alles sofort auf. Da es kaum | |
| Gas gibt, müssen wir Benzin verbrennen, um zu kochen. Das ist gefährlich | |
| und extrem ungesund. | |
| Wie viele Zivilisten in Deir-es-Sor müssen so kochen? | |
| Etwa 80 Prozent, denke ich. | |
| Wie sieht es mit den Lebensmittelpreisen aus? | |
| Die steigen täglich. Die Händler sagen, dass jeder einzelne Checkpoint | |
| seinen Tribut fordert. | |
| Gibt es sauberes Wasser? | |
| Es ist meistens trübe oder brackig. Wir müssen es filtern. | |
| Und die medizinische Versorgung? | |
| In den vom Regime kontrollierten Gebieten leben über 200.000 Zivilisten, es | |
| gibt kein funktionierendes Krankenhaus. Zu Militärkrankenhäusern haben wir | |
| keinen Zugang. | |
| Obwohl Sie in dem von Assad kontrollierten Gebiet wohnen? | |
| Wir haben gegen ihn demonstriert, also werden wir bestraft. | |
| Seit Neuestem gibt es Berichte, dass die Hisbollah auch in Deir-es-Sor | |
| angekommen ist. | |
| Das stimmt. Wir erkennen sie an ihren Kopfbinden. | |
| Was bedeutet das für Sie? | |
| Noch mehr Repression. Wir Zivilisten sind eingekesselt von der Hisbollah, | |
| die für Assad gegen uns kämpft, einerseits und der radikalislamistischen | |
| Isis-Miliz andererseits. Die Extremisten gehen gegen al-Nusra vor, die | |
| wiederum die befreiten Gebiete kontrollieren. Als die syrische Armee im | |
| Oktober 2012 die Hälfte der Stadt einnahm, hat sie 900 Zivilisten getötet, | |
| quasi um „Guten Tag“ zu sagen. Keine Ahnung, was sie jetzt mit uns machen | |
| werden. | |
| *Name geändert | |
| 3 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ines Kappert | |
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