| # taz.de -- Patriotismus und Fußball: Die Außenspiegel tragen Schlüpfer | |
| > Schwarz-Rot-Gold ist derzeit in Deutschland allgegenwärtig, weil die | |
| > Fußball-WM vor der Tür steht. Was genau ist da eigentlich los? | |
| Bild: Schlaaaaaand! | |
| BERLIN taz | Girlanden, Gardinen und Gedöns – dieser Tage alles nur noch in | |
| Schwarz-Rot-Gold. Die Außenspiegel an den Autos bekommen Schlüpfer | |
| übergezogen. Kurz: Es ist wieder Fußball. Ob Welt- oder | |
| Europameisterschaft; im Zweijahrestakt stellt sich die Frage: Wie ist diese | |
| Form des Zurschaustellens nationaler Symbole zu bewerten? Alles bloß | |
| lockerer Party-Patriotismus? Muss man den als Linker nicht (immer noch) | |
| bekämpfen? | |
| Der Autor, Schriftsteller und Drehbuchautor Michael Ebmeyer stellt sich | |
| diese Fragen in seinem kleinen Essaybändchen „Das Spiel mit | |
| Schwarz-Rot-Gold. Über Fußball und Flaggenfieber“ auf sehr kluge Art und | |
| Weise und mit viel Witz. Wer von Heimatstolz zu sprechen beginnt und mit | |
| Verweis auf das „Bielefeldgefühl“ – der Autor wuchs dort auf – davon | |
| ausgeht, in Sachen Heimatliebe quasi minderbemittelt zu sein, begegnet dem | |
| Thema nicht zu verkrampft oder dogmatisch. | |
| Ebmeyer stellt dabei zunächst die fatalistischsten und radikalsten | |
| Positionen zum Thema Nationalismus und Fußball nebeneinander. Einleitend | |
| mit einer sozialpsychologischen Studie zum Verhalten und zu den | |
| Einstellungen der Fanmeilen-Besucher zwischen 2006 und 2010 geht Ebmeyer | |
| auf jene linken und linksradikalen Gruppen ein, die die neue Flaggenliebe | |
| der Deutschen als eines der gefährlichsten Vorzeichen für einen | |
| wiedererstarkenden National(chauvin)ismus sehen. | |
| Der Autor beschäftigt sich dabei vor allem mit einem berühmten Fall aus der | |
| Zeit der WM 2010: Als Ladenbesitzer Youssef Bassal in Berlin-Neukölln eine | |
| überdimensionale Deutschlandflagge an sein Haus montierte, wurde er für die | |
| Flaggenentferner und -verbrenner zum Angriffsziel. Der Autor konstatiert: | |
| „Wenn Linke heute einem Migranten sein schwarz-rot-goldenes Jubelfanal zur | |
| WM zerstören wollen, stimmt der Reflex nicht mehr.“ | |
| Viele der wissenschaftlichen Kritiker des nationalen WM-Fiebers hingegen | |
| bezögen sich etwa auf die Kritische Theorie und Adorno, der zum kollektiven | |
| Mitfiebern während der Weltturniere in den 60er Jahren bemerkte: „Für zwei | |
| Stunden schweißt der große Anlass die gesteuerte und kommerzialisierte | |
| Solidarität der Fußballinteressenten zur Volksgemeinschaft zusammen. Der | |
| kaum verdeckte Nationalismus solcher scheinbar unpolitischen Anlässe von | |
| Integration verstärkt den Verdacht ihres destruktiven Wesens.“ Ebmeyer | |
| kritisiert, wie wenig volksnah Adorno war, um über solche Sportereignisse | |
| urteilen zu können. | |
| ## Kann Stolz etwas Positives sein? | |
| Im Gegenzug führt er nun den großen Theoretiker eines linken Fußballs, | |
| César Luis Menotti, an. Und – siehe da – Stolz kann auch anders gehen: | |
| Folgt man Menotti, ist der Fußball „großzügig, offen, den Menschen | |
| verpflichtet – dem Stolz, für sie zu stehen, dem Stolz, zu ihnen zu | |
| gehören“. Damit wäre man beim zentralen Thema des Essays: Ist Stolz immer | |
| nur gefährlich? Oder kann Stolz gar in emanzipatorischem Sinne etwas | |
| Positives sein? | |
| Gut sei der Stolz dann, wenn es gelinge, ihn zu „reclaimen“, ihn sich | |
| anzueignen – und zwar nicht im Sinne der Herrschenden. Ebmeyer nennt die | |
| Black-Pride- und die Gay-Pride-Bewegungen als Beispiele: Ich bin schwul, | |
| und das ist auch gut so! | |
| Aber was hat das zu tun mit dem Flaggenschwenken, das wir während der WM | |
| erleben? Der Autor wünscht sich analog einen Stolz, der sich auf ein | |
| multikulturelles, plurales, ein tolerantes Deutschland bezieht und bei dem | |
| die ritualisierte schwarz-rot-goldene Party alle zwei Jahre die | |
| international verbindende Kraft des Fußballs feiert. Sieht man derzeit | |
| Grüppchen von Einwanderern in deutsche Farben gehüllt, mag diese Hoffnung | |
| nicht vergebens sein. Andererseits konstatiert eine neue Studie, dass jeder | |
| fünfte Deutsche eine ausländerfeindliche Einstellung pflegt. | |
| 10 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
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