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# taz.de -- Buch „Die Linke und der Sport“: Bloß Opium?
> Gabriel Kuhn zeichnet das Portrait einer Hassliebe. Damit gibt er den
> Anstoß zu einer Debatte über identitäre Exklusivheit und Solidarität.
Bild: Sport ohne Körperkult und Männlichkeitsrituale wünscht sich Gabriel Ku…
Es passt gut, dass dieses Büchlein jüngst während der WM erschien. Denn die
Kritik, insbesondere von der politischen Linken, flammt gerade während der
kommerziellen Großveranstaltungen wie WM oder Olympischen Spiele heftig
auf. Bei allen allzu berechtigten Einwänden wird dabei aber zuweilen auch
das Böse schlechthin im Sport vermutet. Und liest man so manche linke
Kritik am Sport in Gabriel Kuhns soeben erschienenen Überblick über den
Leistungsport-Diskurs „Die Linke und der Sport“, so fragt man sich, welches
Bild von einem guten Leben hinter einigen Argumenten stehen mag.
Da ist zum Beispiel von einer „vom Sport verseuchten Welt“ (Marc Perelman,
französischer Marxist) die Rede, da hält man den Fußball für „eine
besonders effektive Methode, um Menschen für politische Ungerechtigkeit
blind zu machen“ (Terry Eagleton, britischer Marxist). Die Trennung
zwischen den Ausmaßen heutiger Sport-Events und zwischen dem Sport selbst
scheint dabei zu verschwimmen. Perelman folgert gar, in einer besseren Welt
„sollte [es] keinen Sport geben“.
Kuhn, der schon zahlreiche Sachbücher und Essays zu linken und
subkulturellen Phänomenen veröffentlicht hat, stellt in seinem lesenswerten
Bändchen zu Beginn geschickt die Extrempositionen gegenüber. Jene, die den
Sport für Opium schlechthin halten, und jene, die Werte wie Solidarität und
Integration in den Vordergrund stellen. Dabei stellt Kuhn fest: „Viele
Argumente linker Sportkritik […] treffen den Sport überhaupt nicht, sondern
die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen dieser ausgeübt wird.“ Im
Anschluss fragt er sich: Warum eigentlich werden die Auswüchse in der
Sportindustrie oft so viel harscher der Kritik unterzogen als jene der
Kulturindustrie?
Der Autor sucht nach Antworten, eine wirkliche Erklärung findet er nicht.
Tenor: Die Kritik an den aufgepumpten Superevents, an der unpolitischen
Sportkaste, an der mit dem Sport verbundenen Verblendung sei richtig – all
jenes sei im Sport aber nicht ausgeprägter als in der
Unterhaltungsindustrie generell. Wie ein Gegeneinander-Aufwiegen kommt dies
glücklicherweise nicht daher, nur wie eine Einordnung in den Gesamtkontext.
## Arbeitersport und Rotsport
Vom eigentlichen Wesen des Sports ist allerdings – sowohl bei den Kritikern
als auch in Kuhns Text – zu wenig die Rede. Etwa: Sport als tiefster
Ausdruck von Freude und Lebendigkeit, Sport als Sich-selbst-Spüren. Oder
auch: Sport und Spiel als irrationales Moment in einer – zumindest
theoretisch – vernunftgeprägten Welt, als anthropologische Konstante. Damit
verzichtet Kuhn darauf, der Kritik grundlegender zu begegnen.
Stattdessen führt der Autor Paradebeispiele an, die zeigen, dass sich
linkes Bewusstsein durchaus mit Sportbegeisterung oder Sporttreiben
vereinbaren lässt: revoltierende Ultras bei den Gezi-Protesten in der
Türkei, Sportler wie Muhammad Ali oder der Hafenstraßen-Bewohner und
Ex-St.-Pauli-Torwart Volker Ippig.
Auch die „Rotsport“- und die Arbeitersportbewegung der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts werden angeführt, wobei Letztere mit ihrem Pathos und dem
simplen Gut-gegen-Böse-Schema uns heute wohl nicht mehr viel darüber
erzählen kann, was am Sport denn links sein mag – genauso wenig wie die
damals verbreitete Trennung zwischen bürgerlichem und proletarischem Sport.
Heute verliefe die Trennlinie eher zwischen Amateur- und Profisport.
## Konkurrenzdenken versus Solidarität
So manches Argument linker Sportkritik hätte man sich ausführlicher
gewünscht. „Dass sich ein befreiter Sport auch von Körperkult,
Disziplinierung und Männlichkeitsritualen befreien muss, versteht sich von
selbst“, schreibt Kuhn. Sicher, das sind Phänomene, die man nicht mit
Freiheit, Gleichheit oder anderen linken Idealen assoziiert. Aber wo fängt
Körperkult an? Kann Körperlichkeit auch positiv im emanzipatorischen Sinne
wirksam werden? Ist (Selbst-)Disziplinierung per se schlecht?
Als Fazit schreibt Kuhn, im Sport stünden auf der einen Seite
„Konkurrenzdenken, Leistungsfixiertheit, identitäre Exklusivität“ und auf
der anderen „soziales Lernen, Kommunikation, Solidarität“. Das Konzept
eines „linken Sports“ aber müsse sich auf letztere Werte konzentrieren.
Andererseits aber ist „identitäre Exklusivität“ eine Idee, die sich etwa
auch linke (Fan-)Gruppen im Sport zunutze machen.
Man muss Kuhns Text wohl als Anstoß zu einer weiterführenden Debatte lesen.
Ein hervorragender Überblick darüber, wann und wo der Sport historisch zur
Emanzipation beigetragen hat und welche linken Gruppierungen sich bis heute
im Sport tummeln, ist er schon jetzt.
26 Jul 2014
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Emanzipation
Leistungssport
Kongo
WM 2014
WM 2014
WM 2014
Fußball
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