Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Flüchtlingsproteste in Berlin: Mehr schlecht als Recht
> Kann man sich einen sicheren Aufenthalt erkämpfen? Fragen zu eineinhalb
> Jahren Flüchtlingsprotesten in Berlin. Ein Debattenbeitrag
Bild: Kein Mensch ist illegal - darauf wiesen Geflüchtete eineinhalb Jahre lan…
Frank Henkel hat es einfach. Zumindest, was die Argumente angeht, denn er
kann auf Gesetze verweisen, schwarz auf weiß. „Wir dürfen kein
Zwei-Klassen-Recht in unserem Land zulassen“, sagt Henkel.
Eineinhalb Jahre haben Geflüchtete auf dem Oranienplatz in Kreuzberg
protestiert, im März haben sie sich mit dem Senat geeinigt, den Platz
größtenteils freiwillig verlassen. Und warten nun auf die Prüfung ihrer
Asylanträge, die seit letzer Woche läuft. Ein Erfolg, meint Henkel, weil es
gerecht sei: „Die Einzelfälle werden geprüft, wie es die Gesetze vorsehen �…
nicht mehr und nicht weniger.“
Eine Farce, sei die Einigung, kritisiert eine kleine Gruppe, die weiterhin
am Oranienplatz Mahnwache hält. Eine Einzelfallprüfung sei kein
Zugeständnis, sie stehe ohnehin allen Geflüchteten in Deutschland zu. Von
den politischen Forderungen – Aufhebung der Residenzpflicht, Abschaffung
der Asylbewerberlager, Arbeitserlaubnis – kam im Einigungspapier keine
einzige mehr vor.
## Recht ist immer brüchig
Auf Recht und Gesetz, auf den Staat der sich nicht erpressen lasse, hat
sich auch SPD-Integrationssenatorin Dilek Kolat berufen, als sie im Mai ein
Interview gab. Da war am Alexanderplatz eine weitere Gruppe Geflüchteter in
den Hungerstreik getreten. „Nicht jeder, der nach Berlin kommt und sich auf
einen Platz setzt, hat auch ein Recht, in Berlin zu bleiben“, sagte sie.
Der Oranienplatz sei einmalig gewesen. „Alle anderen Proteste, die es in
der Stadt gibt, muss man schnell wieder auflösen.“
Für den Oranienplatz ist nach monatelangem Ringen eine Einigung gefunden
worden, vorerst, und die Senatspolitiker verweisen auch deshalb nun so
rigoros auf Recht und Gesetz, weil Recht eben längst nicht so eindeutig und
starr ist. Sondern immer brüchig, umkämpft, etwas, das praktisch immer
wieder neu und verändert geschaffen wird.
Die Protestierenden haben Öffentlichkeit erreicht, auf den beschämenden
Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland aufmerksam gemacht. Sie sind von
Opfern, über die gesprochen wurde, selbst zu politisch handelnden Subjekten
geworden. Und sie haben durchaus praktisch Erfolge erzielt.
Nein, nicht das Recht auf Arbeit, auf dauerhaften Aufenthalt. Das war immer
die rote Linie. Legal möglich, politisch nicht durchsetzbar. Aber die
Geflüchteten haben Unterkünfte gestellt bekommen, sie erhalten Zahlungen
zum Lebensunterhalt. Verfahren werden nach Deutschland verlegt.
Der Bezirk, sagt Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne), habe alles
getan, um die „berechtigten Forderungen“ der Flüchtlinge zu unterstützen.
Die Kritik daran kann sie auch nach eineinhalb Jahren nicht wirklich
nachvollziehen. „Die politischen Antworten der Vergangenheit hinsichtlich
des Flüchtlingsthemas greifen nicht mehr“, sagt sie. Hunderttausende
Flüchtlinge würden an der Küste Afrikas warten, um nach Europa zu kommen
und hier ein neues Leben zu beginnen. „Und ich frage einfach mal: Warum
sollte man dieser Gruppe dieses Ziel verweigern?“
## „Phase der Klarheit“
Die Ausnahmesituation als Anstoß für eine generelle Politikänderung, das
würde sich Hermann wünschen. Pilotprojekte wie in Freiburg oder Augsburg,
wo Asylbewerber arbeiten dürfen. Einwanderungskontingente, die auch
nachziehenden Familienangehörigen ein Herkommen ermöglichen.
Eine tiefe Kluft sieht sie zwischen dem Handeln auf lokaler Ebene und dem
Senat sowie der Bundespolitik. Eine Kluft, die überbrückt wurde von
Institutionen wie der Caritas und der Diakonie, deren Runder Tisch zum
O-Platz zu einem zentralen Ort der Verhandlungen wurde. Dass es gelungen
ist, trotz der Zerstrittenheit der Akteure „eine Diskussionskultur zu
etablieren“, das sieht Caritas-Direktorin Ulrike Kostka als wirklichen
Fortschritt.
„Es beginnt jetzt eine Phase der Klarheit“, sagt Kostka. Die Flüchtlinge
hätten sehr viel erreicht, nicht nur für sich selbst, sondern für alle
anderen, für die sie sprechen. Aber mit den Einzelverfahren würde ihre
besondere Rolle enden. „Das ist für viele auch schmerzlich. Sie waren die
Protestierenden vom Oranienplatz. Jetzt sind sie wieder Antragssteller
unter vielen.“ Schmerzlich auch deshalb, weil es nicht gelingen werde, alle
Hoffnungen zu erfüllen. „Es wird nicht für alle eine Lösung geben.“
Kostka glaubt, dass die Flüchtlingsproteste vom O-Platz nicht die letzten
waren. Und dass die Stadt Berlin daraus lernen müsse: eine
Flüchtlingspolitik zu entwickeln, eine gemeinsame Strategie. „Ich glaube,
wir haben hier in Berlin eine Laborsituation. Diese Probleme werden in
Zukunft noch viel größere Ausmaße annehmen. Und darauf müssen wir uns
vorbereiten.“
16 Jun 2014
## AUTOREN
Juliane Schumacher
## TAGS
Flüchtlinge
Migration
Kreuzberg
Frank Henkel
Flüchtlingslager
Flüchtlingscamp Oranienplatz
Oranienplatz
American Football
Kreuzberg
Weltflüchtlingstag
Weltflüchtlingstag
Flüchtlinge
Flüchtlinge
Oranienplatz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Asylbewerber beim Football: Auswärtsspiele gehen nicht
Madiama Diop ist Spieler bei den Würzburg Panthers. Doch wenn sein Team für
Spiele weiter wegfährt, darf er nicht mit. Eine Grenze, für alle.
Räumung der besetzten Schule: Große Hängepartie
Rund 40 Flüchtlinge harren in der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule aus.
Dann wurde auch noch das Büro von Bezirksbürgermeisterin Herrmann (Grüne)
besetzt.
Kommentar Flüchtlingsbericht: Der Süden braucht Hilfe
Italien hat was geändert. Jetzt werden Flüchtlinge in Seenot gerettet. Doch
es fehlen die Hilfe Europas sowie vor allem ein neues Denken.
UN-Bericht zum Weltflüchtlingstag: Einer von 50 Millionen
Weltweit waren seit dem 2. Weltkrieg noch nie so viele Menschen auf der
Flucht wie heute. Besonders der Syrien-Krieg führte zu dem Anstieg.
Flüchtlingsprotest in Berlin-Kreuzberg: Infozelt abgefackelt
Am Donnerstagmorgen ist das Zelt der Flüchtlinge auf dem Kreuzberger
Oranienplatz abgebrannt. Die Polizei geht von Brandstiftung aus.
Solidarität: Promis für Lampedusa-Gruppe
Prominente setzen sich für die Flüchtlinge aus Lampedusa ein. Viele
unterstützen das „Manifest für Lampedusa in Hamburg“.
Kurz-Besetzung in Kreuzberg: Flucht nach vorn
Nach einer Demo gegen die mögliche Räumung der Gerhart-Hauptmann-Schule
haben Flüchtlinge und ihre Unterstützer am Samstag kurzzeitig ein Gebäude
in Kreuzberg besetzt.
Flüchtlinge vom Oranienplatz: Berlin vergisst Abmachung
Ein erster Asylbewerber vom Kreuzberger Oranienplatz soll schon am
Donnerstag abgeschoben werden. Weitere sind gefährdet, trotz Senatszusagen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.