# taz.de -- Oettinger soll EU-Kommissar bleiben: Hällo ägäin! | |
> Energiekommissar Oettinger soll eine zweite Amtszeit antreten. Auch ohne | |
> Erfolge. Aber um die geht es wohl gar nicht. | |
Bild: Mund auf, Hände hoch: Günther Oettinger. | |
BRÜSSEL taz | Hauptsache, er wird nicht wieder für Energie zuständig! So | |
der Tenor der ersten Reaktionen auf die Entscheidung des CDU-Präsidiums, | |
EU-Kommissar Günther Oettinger für eine zweite Amtszeit in Brüssel zu | |
nominieren. "Oettinger steht für eine rückwärtsgewandte Energiepolitik mit | |
Fracking, Kohle und Atom", sagte die grüne Bundestagsabgeordnete Annalena | |
Baerbock. Ähnlich äußerten sich Grüne und Linke im Europaparlament. | |
So früh hatte wohl selbst Oettinger nicht mit einer Entscheidung gerechnet. | |
Der 60-jährige ehemalige Landesvater von Baden-Württemberg war sich seiner | |
Chancen nicht sicher und hatte schon mit einem Wechsel in die Industrie | |
geliebäugelt - Industrienähe ist das, was Oettingers Tätigkeit in der | |
Brüsseler Behörde auszeichnet: Nicht nur die Energie-, sondern auch die | |
Automobilkonzerne fanden beim CDU-Mann aus der Autostadt Stuttgart ein | |
offenes Ohr. | |
"Oetti" kämpfte hinter den Kulissen, um strenge Klimaschutzauflagen für | |
deutsche Autokonzerne zu verhindern. Mit VW-Boss Martin Winterkorn pflegte | |
er einen vertrauten Briefwechsel, in dem er sich offen für den Konzern | |
einsetzte. Automobilverbandschef Matthias Wissmann fand das völlig in | |
Ordnung: "Dass ein deutscher Kommissar auch deutsche Industriethemen | |
angeht, ist sein Job." | |
Seinen eigentlichen Job, für eine sichere, saubere und günstige | |
Energieversorgung in Europa zu sorgen, hat Oettinger nicht erfüllt. Die | |
Energiewende in Deutschland hat er verschlafen, den Binnenmarkt für Energie | |
in den Sand gesetzt. Unter seiner Ägide wurden Strom und Gas für viele | |
Menschen in Europa unerschwinglich, nur die Industrie profitierte von | |
Vergünstigungen. | |
## Homöopathische Dosen | |
Ein Beihilfeverfahren gegen das deutsche EEG-Gesetz und seine zahlreichen | |
Ausnahmen verschleppten Oettinger und seine Kommissarskollegen, bis sich | |
Deutschland einen Wettbewerbsvorteil verschafft hatte. Gleichzeitig trat | |
Oettinger beim Klimaschutz auf die Bremse. EU-weite verbindliche Vorgaben | |
für die Energieeffizienz soll es künftig nicht mehr geben – oder nur in | |
homöopathischen Dosen. | |
Zuletzt scheiterte Oetti bei der Vermittlung im Gasstreit zwischen Russland | |
und der Ukraine. Das hinderte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag nicht | |
daran, ihn über den Klee zu loben. „Herr Oettinger macht sehr gute Arbeit“, | |
sagte sie, ohne Beispiele zu nennen. Doch um konkrete Erfolge geht es gar | |
nicht. EU-Kommissare werden dafür ausgesucht, die Interessen ihres Landes | |
zu vertreten – und ein Themengebiet aktiv zu besetzen. | |
Beides hat Oettinger nach Anlaufschwierigkeiten geschafft. „Learning by | |
doing“ war sein Motto. Nicht nur in der englischen Sprache, die er (neben | |
dem Schwäbischen) mittlerweile leidlich beherrscht, sondern auch in der | |
Energiepolitik. Oettinger hat Merkel den Rücken freigehalten und | |
verhindert, dass Berlin wegen seiner Alleingänge beim Atomausstieg und der | |
Ökostromförderung Probleme hatte. | |
Dass er nun so schnell seine Verlängerung bekam, liegt wohl am Machtpoker | |
in der Großen Koalition. Wochenlang hatte die SPD versucht, Oettinger vom | |
Thron zu stoßen und ihren Spitzenkandidaten Martin Schulz für die | |
Kommission zu nominieren. Doch Merkel sagte Nein, der Wahlverlierer Schulz | |
muss EU-Parlamentspräsident bleiben. Das wäre eigentlich die Chance für | |
David McAllister, den CDU-Spitzenkandidaten bei der Europawahl, gewesen. | |
Doch dafür hätte Merkel eine Entscheidung treffen müssen, womöglich sogar | |
Kritik riskiert. Stattdessen verfuhr sie auf Merkel-Art - und ließ alles | |
beim Alten. Politisches Recycling nennt man das wohl. Wobei Oettinger II. | |
nicht mehr Energiekommissar werden dürfte. Die CDU kann ihn sich auch im | |
Bereich Wettbewerbsfähigkeit vorstellen und bei Industriepolitik. Bloß | |
keine Experimente? | |
23 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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