| # taz.de -- Kommentar Deutsches Bildungssystem: Mehr Rütli-Schüler? Ja, bitte! | |
| > Die deutschen Bildungspolitiker haben in den vergangenen Jahren gelernt, | |
| > dass Durchlässigkeit ein Wert ist. Doch Problemschulen gibt es immer | |
| > noch. | |
| Bild: Zusammenhalt macht klug: Ganztagsschülerinnen in München | |
| Es war einmal eine Schule, von der es hieß, sie sei Deutschlands | |
| gruseligste Schule. Acht Jahre später ist aus dem Schandfleck eine | |
| Vorzeigeschule geworden: Die Geschichte der Rütli-Schule klingt wie ein | |
| Märchen. Doch nicht Magier und Hexen haben dafür gesorgt, dass es heute | |
| mehr Bewerber als Plätze gibt, sondern sehr viel Aufmerksamkeit und der | |
| politische Wille, etwas zu verändern. Davon braucht man mehr. Denn | |
| Rütli-Schüler gibt es immer noch. | |
| Aus dem damaligen Skandal haben die deutschen Bildungspolitiker gelernt, | |
| dass Durchlässigkeit ein Wert ist. Das traditionell gegliederte Schulsystem | |
| präferierte andere Werte – frühe Auslese, homogene Lerngruppen, | |
| Einheitlichkeit. Der Brandbrief der Neuköllner Lehrer führte den Deutschen | |
| vor Augen, was vielen Lehrern längst klar war: Die Hauptschule als | |
| Schulform, in der vor allem die Gescheiterten und Beladenen lernen, ist | |
| gescheitert. Nicht nur in Berlin wurde sie in der Folge abgeschafft. Die | |
| Architektur der Schulsysteme ist in allen Bundesländern seitdem offener | |
| geworden. | |
| Problemschulen gibt es aber immer noch. Fast 50.000 Jugendliche verlassen | |
| die Schule ohne Schulabschluss. Jeder sechste Neuntklässler kann schlecht | |
| oder kaum lesen. Kinder, deren Eltern eingewandert sind oder von Hartz IV | |
| leben, werden systematisch benachteiligt. | |
| So haben 60 Prozent der weiblichen und die Hälfte der männlichen | |
| Anfangdreißiger türkischer Herkunft keinen Berufsabschluss. Diese Gruppen | |
| gehören in den Fokus! Betriebe, Parteien, Sozialkassen – sie alle klagen | |
| über Nachwuchsmangel. Die Zahl der Schüler geht demografisch bedingt jedes | |
| Jahr zurück. Rein ökonomisch betrachtet, müsste jedes Kind wie eine rare | |
| Ressource behandelt und gefördert werden. | |
| Stattdessen kocht jedes Bundesland sein eigenes Süppchen. Der Ausbau der | |
| Ganztagsschulen stagniert, obwohl diese als Labore für neue pädagogische | |
| Konzepte und Chancengleichheit unumstritten sind. Gerade Kinder, deren | |
| Eltern keine Nachhilfe bezahlen können, profitieren. | |
| Und immer noch herrscht eine Defizitkultur: Geschaut wird, was Schüler | |
| nicht können. Symptomatisch ist die geringe Zahl der Schulen, die Türkisch, | |
| Arabisch oder Polnisch als Fremdsprache anbieten. Im Kindergarten werden | |
| Dreijährige mit Englisch traktiert, dagegen werden Muttersprachen, die sie | |
| von Geburt an mitbringen, ignoriert. Das zeugt von mangelnder | |
| Wertschätzung. | |
| 9 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Lehmann | |
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