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# taz.de -- Debatte Jean-Claude Juncker: Sieg für das Parlament
> Von dem Konservativen Jean-Claude Juncker sind keine guten Entscheidungen
> zu erwarten. Trotzdem ist seine Wahl eine Sensation.
Bild: Der Souverän – die Stimmen der Europäer – entschieden letztlich ü…
Jean-Claude Juncker ist der falsche Kommissionspräsident. Aber die
Tatsache, dass ihn eine Mehrheit des Europaparlaments gewählt hat, ist eine
Sensation. Zum ersten Mal in der Geschichte der EU hat das Parlament selbst
bestimmt, wer an die Spitze der Kommission rückt. Zum ersten Mal konnten
die RegierungschefInnen der Mitgliedstaaten diese wichtige Frage nicht
unter sich ausmachen.
Zum ersten Mal haben sich damit demokratische Gepflogenheiten in Brüssel
und Straßburg durchgesetzt. Dieser Vorgang verdient es, historisch genannt
zu werden. Denn er wird Maßstäbe für künftige Europawahlen setzen. Das
Parlament hat einen entscheidenden Machtkampf gewonnen.
Die Wahl Junckers ist ein wichtiger Schritt, um die Bürger wieder mit
Europa zu versöhnen. Gerade für Linke ist ein solcher Satz schwer zu
ertragen. Ja, Juncker steht für eine unsoziale Finanzpolitik, die
Vermögende auf Kosten kleiner Steuerzahler noch reicher macht. Ja, Juncker
hat Luxemburg in seiner Regierungszeit zu einer Steueroase mitten in Europa
ausgebaut, die den Cayman-Inseln in nichts nachsteht. Und ja, es ist schwer
auszuhalten, dass dieser Mann Regierungschef in einer EU wird, die wegen
einer brutalen Sparpolitik zulasten der Ärmsten beinahe
auseinandergebrochen wäre.
Aber die berechtigte Kritik an Junckers Kurs rechtfertigt es nicht, die
Wahl an sich zu diskreditieren. Um diese Dialektik zu verstehen, ist ein
kleiner Exkurs hilfreich. Die Kommission, die Exekutive der EU, besitzt das
Initiativrecht in europäischen Gesetzgebungsverfahren. Sie darf Richtlinien
anschieben, welche die Politik in allen Mitgliedstaaten beeinflussen. Der
Kommissionspräsident ist also ein mächtiger Mann im komplexen
Beziehungsgeflecht der EU. Er kann Kommissare entlassen, er legt ihre
Ressorts fest, er redet ein wichtiges Wort bei Richtlinien mit.
Bis zu Junckers Wahl handelten Angela Merkel und Co. diese Personalie
klandestin unter sich aus. Sie bestimmten einfach die ihnen genehme Person.
Der Europäische Rat, also die Versammlung der RegierungschefInnen der
Mitgliedstaaten, unterbreitete dem Parlament einen Vorschlag, die
Abgeordneten nickten ab. Wer als Kandidat Chancen haben wollte, musste
deshalb vor allem zwei Voraussetzungen mitbringen: Er durfte den Interessen
der Staatschefs nicht in die Quere kommen. Und er musste die Mächtigsten
von ihnen hinter sich haben, allen voran die deutsche Bundeskanzlerin.
## Ende der Chefkungelei
Die Wahl Junckers bricht erstmals mit diesem zweifelhaften Prinzip, bei dem
Angela Merkel die deutsche Dominanz ausspielen konnte. Der seit 2009
geltende Lissabon-Vertrag billigt dem Parlament mehr Mitsprache zu und
trägt den Regierungschefs auf, bei der Personalie das Wahlergebnis zu
berücksichtigen. Die Formulierung, die reichlich Interpretationsspielraum
lässt, hat das Parlament in den vergangenen Monaten maximal zu seinen
Gunsten ausgelegt. Gut so.
Dass dies gelang, ist auch ein Erfolg des Sozialdemokraten und
Wahlverlierers Martin Schulz. Indem er sich zum Spitzenkandidaten der
europäischen Sozialisten ausrufen ließ, zwang er die Konservativen, mit
Juncker nachzuziehen. Die Parteienfamilien nominierten ihre Kandidaten auf
Parteitagen, Europa erlebte – ebenfalls zum ersten Mal – einen Wahlkampf
mit europaweit antretenden Spitzenkandidaten. Die wichtigsten
Fraktionschefs des EU-Parlaments verstärkten die Mechanik, weil sie
erklärten, sie würden nur einen der Spitzenkandidaten zum
Kommissionspräsidenten wählen.
All dies stellte die alte Logik auf den Kopf. Plötzlich bestimmten nicht
mehr die Regierungschefs. Der Souverän entschied. Juncker wurde am Ende
Präsident, weil die konservative Fraktion – und damit er – die meisten
Stimmen der Europäer bekamen. Und weil er eine Mehrheit der von den Bürgern
gewählten Abgeordneten hinter sich hatte. Es galt das demokratische
Prinzip, das bei jeder Bundestagswahl gilt.
Wie immer bei relevanten Machtverschiebungen stemmten sich die
Benachteiligten dagegen. Der Aufstand des britischen Premiers David Cameron
war nichts anderes als ein Versuch, zur gewohnten Kungelei zurückzukehren.
Auch die Bundeskanzlerin wehrte sich lange gegen die Idee von europäischen
Spitzenkandidaten, weil sie früh verstanden hatte, das dies ihre eigene
Macht empfindlich beschneidet. In der Wahl Junckers steckt also eine
hübsche Ironie. Obwohl auch künftig ein Konservativer die Kommission führt,
bedeutet sie eine krachende Niederlage für Angela Merkel.
## Wer folgt auf Juncker?
Die Grundidee, Spitzenkandidaten bei einer Europawahl zu etablieren,
versucht, eine gesamteuropäische Öffentlichkeit zu schaffen. Deshalb ist
sie richtig. Die Rezeption von Politik ist untrennbar mit Personal
verbunden, Köpfe schaffen Interesse und Glaubwürdigkeit. Das Duell Schulz
gegen Juncker hat deshalb eine langweilige Wahl politisiert, die seit
Jahrzehnten unter sinkenden Beteiligungen leidet.
Natürlich kann man auch hier wieder nörgeln. Die Selbstbeweihräucherung der
deutschen Sozialdemokraten war teilweise peinlich. Die Wahl wurde längst
nicht in allen Ländern so interessiert verfolgt wie in Deutschland. Die EU,
die allein wegen unterschiedlicher Sprachen in 28 Teilöffentlichkeiten
zersplittert ist, ist von einem gemeinsamen Diskussionsraum himmelweit
entfernt. Das stimmt alles. Aber diese Argumente sprechen nicht dagegen,
eine Annäherung zumindest zu versuchen. Politik ist immer mühsam, sie
besteht aus kleinen Schritten.
Und Jean-Claude Juncker? Von ihm ist wenig zu erwarten. Sein Versprechen,
in den nächsten drei Jahren 300 Milliarden Euro zu investieren, ist
verlogen. Seine eigene Politik hat ja verhindert, dass EU-Staaten ihnen
zustehende Steuern von Reichen bekommen. Auch die Parlamentarier sollten
sich von ihm keine allzu fortschrittliche Linie erhoffen. Dringend nötig
wäre zum Beispiel eine Verlagerung des Haushaltsrechts in die Hoheit des
Parlaments. Wer das Geld hat, bestimmt, diese Regel gilt auch in Brüssel.
Doch an solchen Entscheidungen hat Juncker kein Interesse.
Auf lange Sicht ist aber etwas anderes entscheidend. Das Parlament wird
aussuchen können, wer auf Juncker folgt. Und das ist wirklich eine gute
Nachricht.
17 Jul 2014
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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