# taz.de -- Zschäpe im NSU-Prozess: Der Riss | |
> Beate Zschäpe hat ihren Anwälten das Vertrauen entzogen, schafft es aber | |
> nicht, den Schritt zu begründen. Gut möglich also, dass sie bleiben. | |
Bild: Zschäpe mit ihren Verteidigern. Wie geht der Prozess weiter? | |
BERLIN taz | Wieder und wieder hat es Anja Sturm betont. Nein, es gehe ihr | |
nicht darum, Taten zu verteidigen, sondern eine Angeklagte, sagte die | |
Anwältin. Das sei schlicht ihr Beruf. Außerdem gehe es hier auch um | |
Grundsätzliches: „um Freiheitsrechte“. Es ging noch um etwas anderes. Denn | |
der Prozess, der seit April 2013 im Saal A 101 des Oberlandesgerichts | |
München geführt wird und in dem Sturm Verteidigerin ist, ist ein | |
historischer. Verhandelt er doch eine beispiellose rechtsextreme Mordserie | |
mit zehn Toten, dazu zwei Sprengstoffanschläge und 14 Banküberfälle. Das | |
einzige noch lebende Mitglied des Terrortrios: Beate Zschäpe. Sturms | |
Mandantin. | |
In solch einem Prozess zu verteidigen, sagten Sturms Kollegen Wolfgang Heer | |
und Wolfgang Stahl, sei eine wohl einmalige Chance. Und, was sie nicht | |
sagten: wohl auch eine Chance für eine steile Karriere. Seit Mittwoch droht | |
all dies zu zerfallen. In der Mittagspause des 128. Verhandlungstages sagte | |
sich Zschäpe von ihren Verteidigern los. Sie habe in diese kein Vertrauen | |
mehr. Niemand hatte damit gerechnet, auch ihre Verteidiger nicht. | |
Bis Donnerstag, 14 Uhr, sollte Zschäpe dem Gericht ihren Vertrauensentzug | |
schriftlich begründen. Doch die Angeklagte lieferte nicht, sondern bat um | |
Fristverlängerung. Richter Manfred Götzl gewährte Aufschub bis | |
Freitagabend. | |
Wie der Prozess weitergeht, bleibt also offen. Bisher ist eine Fortsetzung | |
am Dienstag geplant. Zuvor müssen sich noch Sturm, Stahl und Heer äußern. | |
Auch sie blieben am Donnerstag stumm. „Bitte haben Sie Verständnis“, sagte | |
Sturm, „dass wir uns gegenwärtig nicht äußern.“ Von außen war von einem | |
Riss zwischen den Anwälten und ihrer Mandantin zuvor nichts zu sehen. Hatte | |
Zschäpe nicht stets angeregt mit ihnen geplaudert? Hatten sie sich nicht | |
Pfefferminzbonbons aus einer Dose geteilt? War all das nur Fassade? | |
## Gespräch über den Prozess | |
Dennoch gab es Anzeichen. Schon im Juni 2012, ein halbes Jahr nach ihrer | |
Verhaftung, durfte Zschäpe von der JVA Köln in die JVA Gera fahren, um dort | |
ihre Mutter und Großmutter für zwei Stunden zu treffen. Auf der Fahrt | |
begleitete sie ein BKA-Beamter. Sie kamen ins Gespräch über | |
Mentholzigaretten und über „Deutschland sucht den Superstar“. Und dann auch | |
über den bevorstehenden Prozess. | |
Sie werde aussagen, erzählte Zschäpe. Deshalb habe sie sich ja gestellt. | |
Ein Satz, den sie bereits bei ihrer Festnahme fallen ließ. Ihre Aussage | |
werde „in jedem Fall umfangreich und vollständig werden“, da sie „niemand | |
sei, der nicht zu seinen Taten stehe“. Zschäpe verwies auch auf ihre | |
Großmutter. Der wolle sie erklären, „warum es so gekommen ist“, und sich | |
„entschuldigen“. Dann äußerte sie sich auch zu ihrem Verteidiger, damals | |
nur Heer. Der rate ihr bisher ab, sich einzulassen. Sie denke jedoch | |
darüber nach, sich von jemand anderes verteidigen zu lassen. | |
Dazu kam es nicht. Und Zschäpe schwieg. Bis Mittwoch. | |
## Angriffe auf den Richter | |
Offenbar bestand die Unzufriedenheit fort. Eher defensiv hatten Sturm, Heer | |
und Stahl den Prozess zuletzt begleitet. Selbst bei zentralen Zeugen | |
blieben sie zurückhaltend. So belastete ein Sachverständiger Zschäpe, diese | |
habe mit einer Brandstiftung des letzten Unterschlupfs in Zwickau eine | |
„hohe Gefährdung“ verursacht und eine 89-jährige Nachbarin in Lebensgefahr | |
gebracht. Allein dafür droht eine mehrjährige Haftstrafe. Sturm, Heer und | |
Stahl entkräfteten es nicht. | |
Auch als frühere Gesinnungskameraden und die Mutter Uwe Böhnhardts Zschäpe | |
als „gleichberechtigten“ Teil des Trios und als überzeugte Rechtsextreme | |
darstellten, blieb dies so stehen. Stattdessen attackierten die Verteidiger | |
die Richter mit einem Befangenheitsantrag, weil auf einem Gerichtsordner | |
das Kürzel „NSU“ stand. Eine Voreingenommenheit, befand Heer. Es sei doch | |
bisher unerwiesen, ob es die Gruppe überhaupt gab. Eine so rätselhafte wie | |
aussichtslose Attacke: Der Antrag scheiterte. | |
Auch diese Woche sagte ein zentraler Belastungszeuge aus: Tino Brandt, | |
Ex-Anführer der Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz“, in der auch | |
Zschäpe, Böhnhardt und Uwe Mundlos aktiv waren. Wieder gab es | |
Angriffspunkte für die Verteidiger. Hatte Brandt das Trio zur Gewalt | |
angestachelt? War gar der Verfassungsschutz beteiligt, für den der Neonazi | |
parallel arbeitete? Wieder blieben die Verteidiger blass. Stattdessen | |
bekräftigte Brandt, dass Zschäpe „Ahnung hatte, für was sie stand“. Auch | |
habe er sich „mit den dreien gut verstanden“. Es blieb der Eindruck der | |
Komplizenschaft. | |
## Ein „Drang nach Antworten“ | |
Was Zschäpe von der Strategie hielt, blieb offen. Im Saal A 101 war ja nur | |
ihr Schweigen. Und selbst, wenn sie dieses jetzt bricht, bleibt der Ausgang | |
unklar. Würde sie die Taten bereuen? Oder würde sie diese gar verteidigen, | |
sich als überzeugte Rechtsterroristin darstellen? Nur spricht sie wirklich? | |
Im Prozess sah es bisher nicht so aus, als dränge es sie dazu. Regungslos | |
verfolgte sie Zeugenauftritte, versteckte sich hinter ihrem Laptop. Auch am | |
Mittwoch, als Richter Götzl nachfragte, ob er ihren Misstrauensantrag | |
richtig verstanden habe, sagte Zschäpe nichts. Sie nickte nur. | |
Viele Opferangehörige hoffen dennoch, dass Zschäpe aussagt. Es gebe einen | |
„Drang nach Antworten“, sagte Semiya Simsek, Tochter des erschossenen | |
Blumenhändlers Enver Simsek. Ayse Yozgat, Mutter des ermordeten Halit | |
Yozgat, bat Zschäpe direkt im Gerichtssaal, auszusagen. Zumindest eines | |
aber legt Zschäpe nun offen: ihre Nervosität. Offenbar fürchtet sie sehr | |
wohl eine langjährige Haftstrafe. Und Zschäpe musste ahnen, dass es genau | |
darauf hinausläuft. Spätestens, als das Gericht kürzlich eine | |
Haftverschonung des mitangeklagten Ralf Wohlleben ablehnte – weil eine | |
Verurteilung wahrscheinlich sei. | |
Gut möglich, dass Zschäpe trotzdem mit ihren Pflichtverteidigern leben | |
muss. Dass sie die Frist verstreichen ließ, zeigt, wie schwierig es | |
offenbar ist, ihr Misstrauen juristisch sicher zu formulieren. Nicht | |
unwahrscheinlich, dass Götzl ihr Ansinnen am Ende einfach ablehnt. | |
Dann würden Sturm, Heer und Stahl weiterverteidigen. Aber ohne die | |
angedachte, große Rolle. Schon zuvor wurden sie für ihr Mandat angefeindet, | |
auch unter Kollegen. Anja Sturm verließ deshalb ihre Berliner Kanzlei, | |
schloss sich der von Heer an. Nun müssten sie nicht nur gegen die | |
öffentlichen Widerstände anarbeiten. Sondern auch gegen die ihrer | |
Mandantin. | |
In Kooperation mit Radio Lora München, [1][www.lora924.de] | |
17 Jul 2014 | |
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[1] http://www.lora924.de/ | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Andreas Speit | |
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