# taz.de -- Gerhart Baum zum NSU-Prozess: „Vertrauen ist schwer messbar“ | |
> Beate Zschäpe behält ihre drei Pflichtverteidiger. Mit dieser | |
> Entscheidung habe sich das Gericht auf dünnem Eis bewegt, sagt | |
> Ex-Innenminister Gerhart Baum. | |
Bild: Wie gestört ist das Verhältnis von Angeklagter und Anwälten? Und: Darf… | |
taz: Herr Baum, Beate Zschäpe wollte neue Pflichtverteidiger haben. Ist das | |
ein legitimer Wunsch? | |
Gerhart Baum: Im Prinzip ja. Entscheidend ist, ob dies ein ernstes Anliegen | |
der Angeklagten ist und nicht bloß eine Laune. | |
Das Gericht hat anders entschieden. Beate Zschäpe muss ihre drei | |
Verteidiger behalten. Ist das richtig? | |
Wie es um das Vertrauensverhältnis von Zschäpe zu ihren Anwälten bestellt | |
ist, das lässt sich von außen natürlich nur schwer beurteilen. Vertrauen | |
ist aber auch für das Gericht nur schwer messbar und nachprüfbar. Das | |
Gericht hat sich auf sehr dünnem Eis bewegt. | |
Inwiefern? | |
Das Heikle ist, dass das Gericht, um das Vertrauensverhältnis beurteilen zu | |
können, tiefe Einblicke in das Verhältnis der Angeklagten zu ihren Anwälten | |
benötigt. Die Beziehung zwischen Angeklagten und Verteidigern ist aber tabu | |
und durch die Strafprozessordnung geschützt. Das Gericht darf da eigentlich | |
keine Einblicke haben. | |
Sonst droht was? | |
Es ist ja denkbar, dass Angeklagte und Anwälte Differenzen über die | |
Prozessstrategie haben – das darf das Gericht nichts angehen. Trotzdem | |
musste es das Verhältnis von Mandantin und Verteidigung ausleuchten, um | |
entscheiden zu können, wie tief das Vertrauen gestört ist. Das ist im | |
Grunde nicht akzeptabel. Ich denke: Vertrauen ist entweder vorhanden – oder | |
nicht. | |
Und nun? | |
Das Gericht hat nun mit dieser Entscheidung große Verantwortung übernommen. | |
Denn es riskiert den Eindruck, dass es die Angeklagte bevormundet. | |
Macht es nicht misstrauisch, dass Beate Zschäpe erst nach 128 Prozesstagen | |
auffällt, dass sie ihren Anwälten misstraut. Ist das nicht reine | |
Verzögerungstaktik? | |
Das kann man nicht ausschließen. Wenn Zschäpe ihren drei Anwälten aber | |
wirklich dauerhaft misstraut, ist das eine Schwächung ihrer Verteidigung. | |
Wie wird sie nun mit ihren Anwälten umgehen? Wie gehen die Anwälte mit | |
einer Mandantin um, die ihnen, zumindest zeitweise, das Vertrauen entzogen | |
hat? Der Prozess wird in eine schwierige Phase kommen. | |
Ist die Ablehnung von Beate Zschäpes Wunsch nach neuen Anwälten ein | |
Revisionsgrund? | |
Das kann für ein Revisionsverfahren ein wichtiger Aspekt sein. Eine | |
wirksame Verteidigung ist die fundamentale Voraussetzung jedes | |
rechtsstaatlich organisierten Prozesses. | |
Das Gericht hat offenbar eine andere Gefahr gesehen. Wenn man nach 128 | |
Prozesstagen die Verteidigung wechselt, bedeutet das de facto, dass das | |
Verfahren von vorn beginnt … | |
Ob mit neuer Verteidigung der ganze Prozess hätte wiederholt werden müssen, | |
bezweifle ich. | |
Aber es wäre eine nachhaltige Verzögerung … | |
Ja, und das ist für die Opferangehörigen eine kaum erträgliche Vorstellung. | |
Deshalb muss das Gericht strenge Maßstäbe für einen Verteidigerwechsel | |
anlegen. Das hat bei der Entscheidung des Gerichts wohl eine Rolle | |
gespielt. Aber: Falls Zschäpe ihren Verteidigern langfristig misstraut, | |
muss man, so schwer es fällt, auch dies in Kauf nehmen. Die Interessen von | |
Nebenklägern und Angehörigen der Opfer können bei dieser Entscheidung nicht | |
ausschlaggebend sein. | |
Beate Zschäpe weigert sich standhaft, auszusagen. | |
Das schmerzt die Opfer, ebenso wie ihr provozierendes Auftreten vor | |
Gericht. Es wäre mehr als erfreulich, wenn sie endlich zu Zeugenaussagen | |
Stellung nehmen würde. Aber: Kein Angeklagter kann gezwungen werden, | |
auszusagen. Das ist ein eherner Grundsatz unseres Strafrechts. | |
22 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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