# taz.de -- Opferangehörige im NSU-Prozess: Der vergessene Blick | |
> Alle schauen auf die Hauptangeklagte Beate Zschäpe – auch die | |
> Hinterbliebenen der Opfer. Aber wie geht es ihnen dabei? | |
Bild: Gamze Kubasik, deren Vater 2006 ermordet wurde, umarmt ihre Mutter am Mah… | |
MÜNCHEN/BERLIN taz | Yildirim Özcan und Mitat Özdemir sitzen auf der | |
Tribüne im Saal A101, gedrängt zwischen Jurastudenten, Touristen und | |
Dauergästen. Konzentriert schauen die beiden hinunter in den Saal, auf die | |
Anklagebank. Auf Beate Zschäpe. So wie alle. | |
Der Andrang auf der Empore ist so groß wie seit Monaten nicht. Es ist | |
Dienstag dieser Woche, der Tag, an dem Richter Manfred Götzl im Münchner | |
NSU-Prozess den Misstrauensantrag von Beate Zschäpe gegen ihre drei | |
Pflichtverteidiger abweist. Alle Augen richten sich auf die 39-jährige | |
Angeklagte. Wie geht sie jetzt mit ihren Anwälten um? Ist da ein Riss? | |
Bekommt sie weiterhin Bonbons von ihnen angeboten? | |
Auf Mitat Özdemir und Yildirim Özcan richtet sich kein Blick. Seit 35 | |
Jahren betreibt Özdemir in der Kölner Keupstraße einen Kiosk. Vor dem Laden | |
von Özcan explodierte am 9. Juni 2004 eine Nagelbombe. 22 Menschen wurden | |
damals verletzt, Özcans Bruder schwer. Als Richter Götzl verkündet, der | |
Antrag Zschäpes sei „nicht hinreichend“, atmen Özcan und Özdemir sichtbar | |
auf. Sie sind nicht die Einzigen. | |
Von einer „ungeheuren Anspannung“ seiner Mandanten spricht auch Anwalt | |
Thomas Bliwier, von ihrer großen Sorge, dass der Prozess ausgesetzt oder | |
neu aufgerollt werden könnte. Bliwier vertritt die Familie von Halit | |
Yozgat, der 2006 in Kassel in einem Internetcafé erschossen wurde. „Noch | |
mal das Ganze von vorne, noch mal aussagen müssen“, sagt auch Gamze | |
Kubasik, deren Vater zwei Tage zuvor in Dortmund ermordet wurde, „es wäre | |
der Horror gewesen.“ | |
Tagelang war zuvor spekuliert worden, was Zschäpe vorhat. Das | |
Medienspektakel ließ leicht aus den Augen verlieren, worum es bei diesem | |
Prozess geht. Um zehn Menschen, die der „Nationalsozialistische | |
Untergrund“, das Neonazi-Trio aus Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, | |
ermordet haben soll. Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, | |
Habil Kilic, Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet | |
Kubasik, Halit Yozgat, Michèle Kiesewetter. Dazu kommen noch 14 | |
Banküberfälle und zwei Anschläge in Köln, einer in der Keupstraße. | |
## Von der Nähe zu Zschäpe „nicht überrollt“ werden | |
77 Nebenkläger, Verletzte oder Angehörige der Mordopfer zählt der Prozess. | |
Özcan und Özdemir sind zwei von ihnen. Mit zwölf Mitgliedern der | |
Interessengemeinschaft „Keupstraße ist überall“ ist er angereist. Özdemi… | |
ein schlanker, ernster Mann, ist ihr Ehrenvorsitzender. Man wolle „einen | |
Eindruck von dem Verfahren bekommen, ein Gefühl“, sagt er. Denn wenn im | |
Herbst über den Kölner Anschlag verhandelt wird, werden einige von ihnen | |
unten auf der Zeugenbank sitzen. Die Enge, die Nähe zu Zschäpe, sagt | |
Özdemir, von all dem wolle man „nicht überrollt“ werden. | |
Am Dienstag zerschellte aber auch eine Hoffnung vieler Angehöriger: dass | |
Zschäpe doch noch ihr Schweigen bricht und aussagt. Dass sie die eine, | |
immer gleiche Frage aller Hinterbliebener beantwortet: Warum traf es gerade | |
unsere Angehörigen? | |
Ayse Yozgat, Mutter von Halit Yozgat, hatte sich im Oktober direkt an | |
Zschäpe gewandt. „Ich spreche als Mutter. Ich bitte Sie, all diese Vorfälle | |
aufzuklären.“ Seit sieben Jahren schlafe sie nachts nur zwei Stunden, sagte | |
die zierliche Frau. Immer plage sie die Frage nach dem Warum. Zschäpe hörte | |
zu. Aber sie reagierte nicht. Wie immer. | |
„Mit ihrem anhaltenden Schweigen verhöhnt sie die Opfer weiter“, sagt Peter | |
Bach, Mitgründer der Kölner Keupstraßen-Initiative. Anwalt Bliwier sagt, | |
die Yozgats hätten noch immer die Hoffnung, dass Zschäpe spricht. „Es ging | |
der Familie nie um eine hohe Strafe, sondern darum, den Mord an ihrem Sohn | |
vollständig aufzuklären.“ | |
Gamze Kubasik dagegen zweifelt. „Frau Zschäpe könnte sicher vieles | |
beantworten.“ Nur glaubt die 28-jährige Dortmunderin nicht, dass sich die | |
Angeklagte ehrlich und umfänglich einlassen würde. Sie verweist auf andere | |
Zeugen aus dem rechten Milieu, die die Aussage verweigerten oder sich nicht | |
mehr erinnern mochten. „Es ist wirr“, sagt Kubasik. „Der NSU verschickt | |
Bekennerschreiben, die Szene prahlt mit den Taten. Vor Gericht aber | |
schweigen Nazizeugen oder lügen von oben bis unten.“ | |
## Warten auf Antworten | |
Dennoch will Kubasik Antworten. Wie kamen die Mörder auf ihren Vater? | |
Hatten sie Helfer vor Ort? Warum wurde der NSU nicht eher entdeckt und | |
wurden weitere Morde nicht verhindert? Es ist eine kaum einlösbare | |
Hoffnung. Denn das Gericht leitet eine andere Frage: Was beweist die Schuld | |
von Zschäpe und den vier Männern, die als Unterstützer angeklagt sind? | |
Alexander Hoffmann, Anwalt einiger Kölner Opfer, kritisiert den engen | |
Blick. Das Netzwerk um das Trio werde zu wenig beleuchtet, Befragungen | |
früherer Gesinnungskameraden würden ausgebremst. „Gericht und Ankläger | |
haben die Bedeutung der damaligen Szene für den NSU, deren Radikalität und | |
Militanz, nicht erfasst.“ Peter Bach spricht aus, was viele in der | |
Keupstraße denken: dass die Verstrickung der Geheimdienste in die Sache | |
wohl nie aufgeklärt wird. | |
Dennoch sind viele Angehörige mit dem Prozess auch zufrieden. Obwohl ein | |
Urteil in noch weiterer Ferne liegt. „Wichtig ist, dass die Angehörigen im | |
Verfahren eine Stimme haben“, sagt Anwalt Bliwier. „Und das haben sie.“ | |
Richter Götzl ließ viele Anträge der Opferanwälte zu, Angehörige durften | |
Erklärungen verlesen. „Mit dem Verfahren“, sagt Mitat Özdemir, „sind al… | |
falsch Beschuldigten endlich rehabilitiert“; auch Yildirim Özcan, der | |
Ermittlern lange als Hauptbeschuldigter galt, weil er zur Zeit der | |
Bombenexplosion nicht in seinem Friseurladen war. | |
Es gibt Angehörige, die sich vom Prozess abwandten, ihn nicht ertragen. | |
Gamze Kubasik und die Yozgats hoffen im Saal weiter auf Antworten. | |
Als Ayse Yozgat im Oktober vor Gericht sprach, auch da richteten sich die | |
Blicke auf Beate Zschäpe. Es waren andere Blicke als heute. Damals sah man | |
nicht die Taktiererin. Sondern eine Angeklagte, die zehn Menschen auf dem | |
Gewissen haben soll. „Denken Sie bitte immer an mich, wenn Sie sich ins | |
Bett legen“, sagte Yozgat. „Denken Sie daran, dass ich nicht schlafen | |
kann.“ | |
25 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
Konrad Litschko | |
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