# taz.de -- Opferanwalt über NSU-Prozess: „Karlsruhe ist zu bequem“ | |
> Alexander Hoffmann beklagt die Fehler der Polizei nach dem Bombenanschlag | |
> in der Kölner Keupstraße und die fatale Rolle von Otto Schily (SPD) bei | |
> den Ermittlungen. | |
Bild: Die Straße, in der die Nagelbombe im Jahr 2004 explodierte. | |
taz: Herr Hoffmann, Sie vertreten ein Opfer des Nagelbombenanschlags in der | |
Kölner Keupstraße als Nebenkläger beim NSU-Prozess in München. Ab heute | |
wird dieser Teil der Anklage im Prozess aufgerollt. Was erwarten Sie davon? | |
Alexander Hoffmann: Keine wirklich neuen Erkenntnisse, dafür ist von der | |
ersten Stunde an bei den Ermittlungen zu viel falsch gemacht worden. Ich | |
erwarte vor allem, dass die Opfer des Bombenanschlags darstellen können, | |
wie mit ihnen in den sieben Jahren bis zur Selbstbezichtigung des NSU | |
umgegangen worden ist. | |
Will Ihre Mandantin das? | |
Nein, meine Mandantin will ihre persönliche Situation nicht in den | |
Mittelpunkt stellen. Das hat persönliche Gründe, aber auch allgemeine: Sie | |
war nicht Hauptopfer des Anschlags. | |
Ihre Mandantin lebte 25 Meter von Tatort entfernt, das Fenster war offen. | |
Welche Schäden hat sie davongetragen? | |
Dazu werde ich auf Wunsch meiner Mandantin keine Angaben machen. Nur so | |
viel: Ihr ist wichtig, dass noch einmal dargelegt wird, wie damals die | |
Polizei mit falschen Angaben Angst und Misstrauen geschürt hat, auch unter | |
den Bewohnern. | |
Ist das Aufgabe eines Strafprozesses oder nicht vielmehr eines | |
parlamentarischen Untersuchungsausschusses, den es jetzt auch in | |
Nordrhein-Westfalen gibt? | |
Es ist ja davon auszugehen, dass diese Folgen Teil des Kalküls des NSU | |
waren. Dass sie darauf abgezielt haben, dass der Druck gegen Nichtdeutsche | |
höher wird, dass den Bewohnern das womöglich selbst in die Schuhe geschoben | |
wird. Nach dem Strafgesetzbuch sind sowohl die Beweggründe als auch die | |
Folgen der Tat für die Opfer die Grundlage für die Strafzumessung. Insofern | |
ist es zwingend, die Situation der Opfer nach der Tat vollständig mit | |
einzubeziehen. | |
Hätte die Polizei damals den Fall aufklären können, wenn sie anders | |
ermittelt hätte? Es gibt ja die Videos, auf denen wohl Mundlos und | |
Böhnhardt mit ihren Rädern zu sehen sind. | |
Ich will nicht behaupten, dass die Polizei damals die Täter hätte | |
festnehmen können. Aber die Polizei hätte, wenn sie von Anfang an auch die | |
Möglichkeit einer rechtsterroristischen Aktion einbezogen hätte, nicht nur | |
in der Region recherchiert. Dann hätte man schon damals eine Verbindung zu | |
den Fahrrädern und dem Mord in Nürnberg herstellen können. Der Anschlag in | |
der Keupstraße hat die größten Chancen geboten, zu erkennen, dass das ein | |
rechtsterroristischer Anschlag war. Aber man hat sich früh festgelegt: Ohne | |
Bekennerschreiben keine terroristische Aktion. Und dann kam von ganz oben, | |
es würde nichts darauf hindeuten, dass es ein rechtsextremer Anschlag war. | |
Sie spielen auf Innenminister Otto Schily an, der damals sagte: „Die | |
Erkenntnisse, die unsere Sicherheitsbehörden bisher gewonnen haben, deuten | |
nicht auf einen terroristischen Hintergrund, sondern auf ein kriminelles | |
Milieu. Aber die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.“ | |
Ich weiß, dass er nicht wörtlich gesagt hat, dass rechte Täter | |
ausgeschlossen sind, aber so ist das doch in der Öffentlichkeit angekommen | |
– und auch bei den ermittelnden Polizisten. Im gleichen Monat hat der | |
Verfassungsschutz eine Broschüre zum Rechtsterrorismus herausgegeben, in | |
der auch die drei Untergetauchten vorkommen. Der Innenminister hätte also | |
wissen müssen, dass es Strukturen gibt, die Anschläge machen können. Warum | |
er dennoch diese Aussage gemacht hat, muss er endlich nachvollziehbar | |
erklären. Und ich finde auch, dass er das in diesem Prozess erklären muss. | |
Heißt das, dass die Nebenklage Otto Schily als Zeugen lädt? | |
Ich gehe davon aus, dass das beantragt wird. | |
Wie beurteilen Sie den bisherigen Prozessverlauf? | |
Das war bislang ein ordentliches Stück Arbeit. Vieles, was in der Anklage | |
steht, wurde abgearbeitet – und zwar so, dass es zu einer Verurteilung | |
führen wird. Aber wir stecken noch mittendrin. Wir haben bislang die | |
Entstehung der terroristischen Vereinigung NSU nur bis ins Jahr 2001 | |
nachvollzogen. Wir müssen aber auch klären, wie die Einbindung des NSU in | |
die lokale und überregionale Naziszene bis 2011 war. | |
Sie kritisieren die Bundesanwaltschaft massiv. Warum? | |
Die Bundesanwaltschaft hat sich sehr früh auf die bequemste Konstruktion | |
festgelegt: dass der NSU aus drei Personen und wenigen Unterstützern | |
bestand. So steht es in der Anklage, und die Bundesanwaltschaft versucht, | |
alles abzuwehren, was dieser These widerspricht. Offenkundig mit dem | |
politischen Ziel, nach dem Prozess sagen zu können: Jetzt ist die | |
Aufarbeitung des NSU abgeschlossen, weitere Ermittlungen und Strafverfahren | |
sind nicht nötig. Das kritisieren wir scharf. Denn es ist ja in den letzten | |
Monaten deutlich geworden, dass es keineswegs drei Personen waren, die | |
isoliert von der sie umgebenden Naziszene agiert haben. | |
Wie beurteilen Sie das Verhalten des Gerichts? | |
Es hat die Anklage so zugelassen, es hat aber auch Anträgen der Nebenklage, | |
die versuchen nachzuweisen, wie stark die Einbindung in die Szene war, | |
stattgegeben. Inzwischen fragt der Vorsitzende Richter selbst nach, wenn es | |
um das Netzwerk Blood & Honour geht, was ja eine wichtige Rolle bei der | |
Unterstützung des NSU gespielt hat. Das Gericht verschließt sich Beweisen | |
nicht. | |
11 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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