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# taz.de -- NSU-Prozess in München: „Alles kaputt, alles zerstört“
> Im Münchner Verhandlungssaal dreht es sich weiter um den
> Nagelbombenanschlag in der Keupstraße in Köln. Mehrere Zeugen
> schilderten, was geschah.
Bild: Protestplakat mit Namen der Opfer des Kölner Anschlags vor dem OLG Münc…
MÜNCHEN taz | Der 176. Verhandlungstag im NSU-Prozess begann wie andere so
oft: Schnellen Schrittes betrat die Hauptbeschuldigte Beate Zschäpe den
Saal A 101 des Münchner Oberlandesgerichts, drehte sich von den Kameras
weg. Doch eines war an diesem Tag anders: Viele Betroffene des
Bombenschlages in der Keupstraße schauten von der Empore auf sie hinunter.
Neun Opfer des Anschlags in Köln sollten vor Gericht aussagen. Angehörige
und Freunde begleiteten sie.
„Der erste Eindruck war wie im Krieg. Alles kaputt, alles zerstört“ sagte
Fatih K. am Mittwoch in München. Mit seiner Mutter war er zum Zeitpunkt des
Anschlags in der Kneupstraße. Sie wollte einkaufen, er Harre schneiden. Der
heute 29-Jährige ging in den Friseursalon „Öczan“. Was er nicht wusste: D…
NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten ein Fahrrad mit einer
Nagelbombe vor dem Laden abgestellt.
Als die Bombe mit über 700 Zimmermannsnägeln explodierte, saß Fatih K. am
Fenster zur Straße hin, auf einem Sofa. Am Hinterkopf wurde er nur leicht
verletzt, doch sein Gehör ist bis heute beeinträchtigt. Andere Personen
trugen schwere Verletzungen davon, wie Emine K., die sich zum Zeitpunkt der
Explosion in einem Kartengeschäft befand. Nicht die Nägel trafen sie, doch
die Druckwelle beschädigte ihre Hörfähigkeit. Die 47-Jährige löschte im
Schockzustand die brennenden Beine eines Mannes. Ein weiterer Betroffener,
der Juwelier Metin I., sagte, hätte nicht ein schwarzer Kastenbus in der
Straße geparkt, hätten ihn nicht bloß drei Nägel getroffen. Sein Laden
liegt schräg gegenüber von dem Friseursalon. „Es hätte Tote geben können�…
so der 58-Jährige.
Alle Zeugen haben auch heute noch mit physischen Folgen zu kämpfen. Die
dauerhaufte Berichterstattung würde es ihnen seit dem zufälligen Auffliegen
des NSU-Kerntrios am 4. November 2011 nicht leichter machen. Bis heute habe
er manchmal Angst, wenn jemand mit einem Fahrrad oder Rucksack vor seinem
Geschäft stehe, sagte Metin I. „Dann denke ich: Könnte da wieder was
passieren?“.
## Opfer-Täter-Umkehr
Nicht nur Fatih K. sagte, die Ermittlungsrichtung sei schnell festgelegt
worden. Bei seiner Vernehmung, der einzigen, wollte die Polizei nur wissen,
ob er was zum Rotlichtmilieu und der PKK sagen könnte – und zu kriminellen
Aktivitäten. Außerdem wurden ihm Fingerabdrücke und DNA abgenommen. Hasan
Y., der in dem Laden frisierte, wurde da deutlicher: „Ich wurde behandelt
wie ein Beschuldigter“. Durch die Explosion hatte er Schnittwunden am Kopf
und Unterarm erlitten. Einen Polizeischutz, den er erbat, erhielt er nicht.
Stattdessen wurde er observiert. Der Polizei sagte er, dass einer der Täter
blonde Koteletten trug. Ein Beamter soll gleich interveniert haben: „Kann
er nicht ein Dunkelhäutiger gewesen sein?“.
Schon vor den Aussagen hatte die „Initiative Keupstraße ist überall“ die
Betroffenen unterstützt – gerade weil sie durch die Ermittler zu Tätern
gemacht wurden. Erfreut zeigte sich Mitat Özdemir, Mitbegründer die
Initiative, im Saal A 101 über die vielen Mitgereisten zu diesen
Anhörungen. Ihn freute aber auch, dass am Abend zuvor über 1000 Menschen an
der Demonstration teilnahmen.
Einer der Redner war Alexander Hoffmann, Rechtsanwalt von einer Betroffenen
in der Keupstraße. Dieser Anschlag offenbare am deutlichsten die
terroristische Intention des NSU, so Hoffmann. Viele Menschen sollten von
der Nagelbombe unerwartet getroffen werden. Ein Hinweis über eine
Beteiligung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben an diesem Anschlag sei ihm
aufgefallen. Im Internet verkaufte Wohlleben, der eine der Mordwaffen
lieferte, ähnliche Bauteile desselben Herstellers, die für die Fernzündung
der Bombe verwendet worden sind. Kein handfester Beweis, aber ein Indiz.
21 Jan 2015
## AUTOREN
Andreas Speit
## TAGS
Nagelbombenanschlag
Keupstraße
Köln
NSU-Prozess
Schwerpunkt Rechter Terror
Beate Zschäpe
Keupstraße
Beate Zschäpe
Köln
Beate Zschäpe
Ralf Wohlleben
Rechtsextremismus
Nebenkläger
Schwerpunkt Rassismus
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