# taz.de -- Nahostexpertin über USA und Israel: „Da gibt es eine totale Spal… | |
> Unter US-amerikanischen Juden – und in der breiteren Öffentlichkeit – | |
> wächst die Kritik an der Politik Israels, sagt Nahost-Expertin Phyllis | |
> Bennis. | |
Bild: Die Fahnen von Israel und den USA bei einer proisraelischen Kundgebung in… | |
taz: Frau Bennis, Präsident Obama und Außenminister Kerry wirken | |
orientierungslos angesichts des Krieges in Gaza. Hat Washington eine | |
Strategie? | |
Phyllis Bennis: Im Weißen Haus und im Außenministerium wächst die Sorge | |
über Opfer in Gaza. Und über die wachsende Instabilität in der Region. Die | |
US-Regierung weiß auch von der wachsenden Verletzbarkeit Israels auf der | |
internationalen Bühne und damit von der wachsenden Isolierung der | |
US-Politik gegenüber Israel. | |
Betrachtet Washington diese Isolierung als Problem? | |
Washington ist daran gewöhnt, in der Vollversammlung der UNO zu dritt gegen | |
160 Länder zu stimmen. Plus ein paar Enthaltungen. Die drei sind USA, | |
Israel und Mikronesien. Aber es wird schwieriger. Ganz besonders, weil | |
Europa kritischer zu Israel wird. Ganz abgesehen vom Rest der Welt. Als die | |
brasilianische Regierung Israels Menschenrechtsverletzungen in Gaza | |
kritisiert hat, nannte der Sprecher des israelischen Außenministeriums | |
Brasilien einen „diplomatischen Zwerg“. Diese Beleidigung sorgt quer durch | |
Lateinamerika für Empörung. | |
Aber offene Kritik an Israel kommt nicht aus Washington. | |
Die USA sind noch nicht bereit, den nötigen Druck auszuüben, um den | |
israelischen Angriff zu stoppen. Am deutlichsten wird das in den | |
sarkastischen Worten von Außenminister Kerry über die „punktgenaue | |
Operation“ in Gaza, von denen er dachte, sie wären privat. Sobald Kerry | |
wieder auf Sendung war, sagte er etwas anderes. Dass nämlich Israel ein | |
Recht auf Selbstverteidigung habe und dass die USA zu Israel stehen. | |
Warum gibt es so viel Rückendeckung? | |
Ein unmittelbarer Grund ist der Iran. Das Weiße Haus fürchtet, dass sein | |
einer potenzieller außenpolitischer Erfolg, die bislang gut laufenden | |
Atomgespräche, untergraben werden könnten, falls Israel seine Unterstützer | |
im Kongress losschickt. Deswegen ist die Obama-Regierung extrem vorsichtig. | |
Zusammen mit den Hardlinern in Teheran ist der Kongress das große Problem | |
bei den Iran-Gesprächen. | |
Wieso hat ein so kleines Land wie Israel so viel Einfluss in der Haupstadt | |
der Supermacht? | |
Wegen der Spezialbeziehung seit 1967, in der die militärisch-strategische | |
und die politische Seite eng miteinander verzahnt sind. Die | |
Pro-Israel-Lobby ist heute ein mächtiger Akteur in Washington. Diese Lobby | |
besteht aus zwei Komponenten: Die eine kommt aus der jüdischen | |
Gemeinschaft. Die andere ist die christlich-zionistische Bewegung. Beide | |
sammeln Geld für politische Kampagnen, unterstützten Kandidaten und drohen | |
Abgeordneten, wenn sie nicht mitziehen, ihre Konkurrenten zu unterstützen. | |
Machen republikanische und demokratische Präsidenten dieselbe Politik? | |
Am Ende des Kalten Krieges hat George Bush senior zu Israel gesagt: Wenn | |
ihr nicht aufhört, Siedlungen zu bauen, werden wir Einschnitte machen. Das | |
war ein Schock. Nach ein paar Monaten hat er klein beigegeben. Aber | |
immerhin hat er gezeigt, dass es geht. Im Sommer 2010 wurde Obama | |
beschuldigt, dass er Israel „unter den Bus“ werfe. Und „Druck auf Israel�… | |
ausübe. Er hatte mehrfach verlangt, der Bau von Siedlungen solle aufhören. | |
Spiegelt die Israel-Politik der US-Regierung die öffentliche Meinung in den | |
USA wider? | |
Da gibt es eine totale Spaltung. Die Öffentlichkeit ist immer weiter von | |
der einstimmigen Israel-Unterstützung im Kongress entfernt. Umfragen zeigen | |
das deutlich, am klarsten bei der Basis der Demokratischen Partei. | |
Wie steht es im Inneren der jüdischen Gemeinschaft der USA? | |
Dort ist die Veränderung noch dramatischer. Aipac (American Israel Public | |
Affairs Committee), die einflussreichste Pro-Israel- Interessengruppe, hat | |
immer noch viel Geld. Aber es verliert die Mehrheit des jüdischen Amerika. | |
Es gibt jetzt drei Kräfte im Inneren der jüdischen Gemeinschaft: die Aipac, | |
im Zentrum „J-Street“ und auf der Linken die – am schnellsten wachsende �… | |
„Jewish Voice for Peace“. | |
Was muss geschehen, um die differenziertere öffentliche Meinung in eine | |
andere Regierungspolitik der USA umzusetzen? | |
Ich wünschte, ich hätte die Antwort. Nehmen Sie unsere Kampagne zur | |
Beendigung der israelischen Besatzung. Am Anfang waren wir 15 Leute aus 6 | |
Organisationen, heute sind wir über 400 Organisationen. Wir sind Mainstream | |
geworden. Große Kirchengruppen, wie die presbyterianische und die | |
methodistische Kirche, machen jetzt Boykott und „Divest“, das heißt, sie | |
ziehen Gelder aus US-Firmen ab, die von Israel und der israelischen | |
Apartheid profitieren. Aber im Kongress bleibt die Aipac unglaublich | |
effizient. | |
Was wäre, wenn die USA die Hilfe an Israel stoppten? | |
3,1 Milliarden Dollar Militärhilfe pro Jahr plus in diesem Jahr fast 1 | |
zusätzliche Milliarde Dollar haben eine Bedeutung in der israelischen | |
Wirtschaft. Aber sie sind nicht annähernd so wichtig wie die politische | |
Unterstützung durch die USA. Nur wegen der USA muss Israel in der UNO nicht | |
fürchten, dass seine militärischen und politischen Verantwortlichen für | |
mutmaßliche Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Das ist der | |
direkte Zusammenhang zu den Kriegsverbrechen dieser Tage in Gaza. | |
Anders als in Europa gab es in den USA in diesen Wochen keine | |
antisemitischen Angriffe. | |
Antisemitismus hat eine lange Geschichte in Europa. Und er ist leider nicht | |
erfolgreich ausgemerzt worden. Die Sache verschlimmert sich durch das Tun | |
Israels und durch die Tatsache, dass israelische Verantwortliche durchweg | |
von dem „jüdischen Staat“ sprechen. Diesen Anspruch lehnen viele von uns | |
ab. | |
Was genau lehnen Sie ab? | |
Ich habe nichts mit Israel zu tun, abgesehen davon, dass meine Steuergelder | |
es unterstützen. Und ich nehme es übel, dass ich einbezogen werde, wenn | |
israelische Verantwortliche sagen, sie handelten im Namen aller Juden. Und | |
verlangen, dass die Palästinenser Israel als „jüdischen Staat“ anerkennen. | |
Ich kann heute nach Israel gehen und binnen einer Stunde eine israelische | |
Bürgerin werden, Hebräisch-Unterricht, eine Wohnung und Hilfe bei der | |
Arbeitssuche bekommen. Aber Palästinenser, die 1947 aus ihren Häusern | |
vertrieben wurden und immer noch die Schlüssel aufbewahren, dürfen nicht | |
einmal auf Besuch dahin gehen. Das finde ich grauenvoll. | |
Sie sprechen von „Apartheid“ und vergleichen Gaza mit dem „Warschauer | |
Ghetto“. Warum? | |
Niemand in den USA hat einen Krieg auf unserem Territorium erlebt. Wenn wir | |
wollen, dass die Leute verstehen, müssen wir Vergleiche bringen. Gaza ist | |
ein kleines Stück Land mit 1,8 Millionen Leuten, die nicht rauskommen. Es | |
ist umgeben von einem Zaun, den israelische Soldaten bewachen. Vor der | |
Küste und in der Luft patrouilliert Israel. Den Flughafen hat Israel | |
bombardiert und nie seinen Wiederaufbau gestattet. Gaza ist belagert. Ich | |
glaube, dass das Warschauer Ghetto – inklusive der Tunnel-Frage – die beste | |
Analogie ist. | |
Von Palästinensern in den USA gibt es weniger Reaktionen als von jüdischen | |
Gruppen. Warum ist das so? | |
Aus Angst vor dem, was „nach 9/11“ für Muslime und Araber in den USA | |
bedeutet: Flugverbotslisten, abgehörte Telefone, Informationen an | |
Arbeitgeber. | |
Was ist Ihr Rat an Europa? | |
Es könnte z. B. endlich auf der Einhaltung der Regeln seines | |
Assoziierungsabkommen bestehen. Danach kann Israel seine Waren in die EU | |
bringen – vorausgesetzt, sie stammen nicht aus den besetzten Gebieten. | |
Bislang sagt Israel: „Wir unterscheiden nicht“, und die EU nickt. Wäre die | |
EU hartnäckiger – Deutschland und die Niederlande sind das Hindernis –, | |
könnte das ein erster Schritt sein. Es ist eine Frage des politischen | |
Willens. | |
1 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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