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# taz.de -- Nahverkehr: Kontrolleure sollen kulanter werden
> Das Ticket falsch herum gestempelt? Kostet bisher 40 Euro. Damit muss
> Schluss sein, fordert der Verkehrs-Staatssekretär.
Bild: Touristen wissen oft nicht, welchen Sinn dieses Gerät hat.
Fahrgäste, die nur versehentlich schwarz fahren, sollen künftig nicht mehr
bestraft werden. Dies fordert Verkehrs-Staatsskretär Christian Gaebler
(SPD) in seiner [1][Antwort auf eine parlamentarische Anfrage] (PDF) des
SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck. Derzeit ist schon bei kleinsten
Verstößen gegen die Tarifbestimmungen ein „erhöhtes Beförderungsentgelt“
von 40 Euro fällig, bei Wiederholungen droht eine Strafanzeige. Gaebler
kritisiert die „erfahrungsgemäß sehr restriktiven Vorgaben der
Verkehrsunternehmen“ bei Kontrollen. Für „situationsbedingte
Kulanzabwägungen“ gebe es meist „keine Ermessensspielräume“ mehr.
Der Klassiker vor allem bei Touristen ist, dass sie das Ticket nicht
stempeln – oder auf der falschen Seite. Für Verwirrung kann aber auch das
Zwei-Stunden-Ticket sorgen, das nur für die Fahrt in eine Richtung gilt;
bis 2004 galt es auch bei der Rückfahrt. Und wer weiß schon, dass ein
Kurzstreckenticket in der U-Bahn für drei Stationen gilt, im Bus aber für
sechs? Dass man dabei zwischendurch die U-Bahn wechseln darf, aber nicht
den Bus? Und dass bei Expressbussen auch die Stationen mitzählen, die der
Bus gar nicht anfährt?
Da kann es schnell vorkommen, dass sich das im besten Glauben gekaufte
Ticket als nicht gültig herausstellt. Gaebler: „Entsprechende
Strafzahlungen für diese Fahrgäste schaden dem Ansehen des öffentlichen
Personennahverkehrs.“
Die BVG hat 40 eigene Kontrolleure und beauftragt das Unternehmen Wisag mit
dem Einsatz von 100 weiteren. Die Firma ist allgemein bekannt für Respekt,
Offenheit und großes Vertrauen - heißt es im [2][Unternehmensleitbild] und
im Image-Video.
Bei den Kontrollen fällt die Firma eher durch Misstrauen auf, bei den
Vertragsbedingungen durch Intransparenz. Die rbb-Abendschau hatte 2012 über
den Vertrag zwischen BVG und dem damaligen Kontrolleur-Dienstleister
Securitas [3][berichtet]: 400.000 Schwarzfahrer sollten pro Jahr gefasst
werden. Weil Securitas in einem Jahr 60.762 Schwarzfahrer zu wenig dingfest
machte, sollte sie eine Vertragsstrafe von 300.000 Euro zahlen.
Wie viele Schwarzfahrer der aktuell von der BVG eingesetzte Dienstleister
laut Vertrag zu fassen hat, möchte die BVG nicht verraten: Das sei ein
Geschäftsgeheimnis. Es handele sich um Informationen, „die nur einem
begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der
Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat“, erläutern die BVG-Anwälte.
Ebenfalls möchte die BVG keine Auskunft darüber geben, wie hoch aktuell die
Vertragsstrafe ist, wenn die Wisag zu wenige Schwarzfahrer fängt.
Gaebler sieht die Verkehrsunternehmen sowie Verkehrsverbünde in der
Pflicht: „Aus folgenden Grünen kann ein zahlungsbereiter Fahrgast
unverschuldet zum Schwarzfahrenden werden: unverständliche
Tarifbestimmungen, unzureichender Vertrieb, schlechte Kommunikation der
Tarifbestimmungen.“ Abhilfe verspricht sich der SPD-Politiker durch „die
Stärkung der Fahrgastrechte, eine Ausgestaltung der entsprechenden
Verkehrsverträge und Appelle an die Verkehrsunternehmen“.
Die BVG geht auf die Appelle des Senats nicht ein. Unternehmenssprecherin
Petra Reetz verteidigte am Donnerstag stattdessen die derzeitige
Vorgehensweise: Es gebe einen „eigenverantwortlichen Kulanzspielraum“ für
die Prüfer, den diese vor allem „gegenüber Touristen und Ortsunkundigen,
Kindern und älteren Menschen“ anwenden sollen. Die genauen Regelungen dazu
wolle man „verständlicherweise nicht öffentlich machen“, um Missbrauch zu
verhindern.
In den ersten sechs Monaten dieses Jahres hat die BVG 171.183 Kunden ohne
gültiges Ticket gefasst. Das Unternehmen schätzt, dass durch Schwarzfahrer
pro Jahr 20 Millionen Euro an Einnahmen entgehen. Angesichts von gut einer
Milliarde Euro Erträgen pro Jahr – davon 570 Millionen durch Ticketverkäufe
– entspricht das zwei Prozent des Gesamtumsatzes.
Durch das erhöhte Beförderungsentgelt von 40 Euro hat die BVG 2013 vier
Millionen Euro eingenommen. Wer nicht freiwillig zahlt, bekommt Post vom
Inkassobüro der BVG. Bei hartnäckigen Nichtzahlern gibt die BVG irgendwann
auf und verzichtet darauf, die Forderung gerichtlich einzutreiben. Im Jahr
2011 hat das Unternehmen nur 415 Mahnbescheide beantragt und somit auf
Forderungen im Wert von 3,8 Millionen Euro verzichtet.
Um die Forderung einzuklagen, müsste die BVG zuerst die Kosten für Prozess
und Gerichtsvollzieher vorstrecken, die bei 120 bis 150 Euro liegen. Wenn
sich bei der Pfländung herausstellt, dass ein Schwarzfahrer von Hartz IV
lebt oder Geringverdiener ist, kann nichts gepfändet werden – und die BVG
bleibt auf ihren Kosten sitzen. Finanziell gesehen ist es somit günstiger,
auf einen Prozess zu verzichten und die 40 Euro abzuschreiben.
15 Aug 2014
## LINKS
[1] http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/SchrAnfr/S17-142…
[2] http://www.wisag.de/unternehmen/leitbild-und-marke.html
[3] http://www.berliner-kurier.de/polizei-justiz/bvg-schwarzfahrer-fangquote-ko…
## AUTOREN
Sebastian Heiser
## TAGS
Öffentlicher Nahverkehr
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Bußgeld
Leipzig
Carsharing
Polizei
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