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# taz.de -- Die Wahrheit: Rettet diese Seelen
> Falls weiter nur jedes vierte Gör ein Smartphone hat, werden die
> seelischen Verwundungen zunehmen. Deshalb ein Appell: Schicker Mobilfunk
> für alle Kleinen!
Bild: Smartphones sind nicht nur für Bischöfe, sondern auch für die lieben K…
Jedes vierte Kind besitzt ein Smartphone, berichtet soeben eine Studie. Was
bedeutet das? Das bedeutet, dass es mit den anderen drei Kindern nicht
telefonieren kann, nicht chatten und keine Videokonferenzen abhalten,
weshalb es sie zu hassen beginnt. Außerdem bedeutet es, dass die anderen
drei Kinder das Kind mit dem Smartphone abgrundtief zurückhassen, weil es
etwas hat, das sie nicht haben: ein Smartphone.
Darüber hinaus beneiden sie das vierte Kind um seine magische Fähigkeit,
den Eltern das Geld für ebenjenes Smartphone und seinen Unterhalt aus der
Börse zu leiern, und hassen es dafür umso mehr, anderenfalls wären sie
sicherlich keine Kinder.
Das Kind mit dem Smartphone lässt seine Eltern nämlich ordentlich bluten.
Nie kommt es mit dem ihm zugeteilten Gebührenvolumen auf der Prepaid-Card
zurecht. Um des lieben Friedens willen schießen die Eltern ständig Geld
nach, was sollen sie anderes machen. Deshalb hassen die Eltern das vierte
Kind. Sie sorgen sich nämlich schon genug darüber, ob das Kind der ihm per
Smartphone übertragenen Verantwortung wirklich gerecht wird.
Es könnte mit wildfremden Leuten telefonieren oder sich auf wer weiß was
für Internetseiten herumtreiben. Das Kind könnte im schlimmsten Falle sogar
irgendwelche kostenpflichtigen Inhalte abrufen oder rechtsgültige
Knebelverträge für sauteures Zeugs abschließen, und zwar mit 24 Monaten
Laufzeit und ohne jede Chance, da ohne Rechtsanwalt rauszukommen.
Weil sie das Gerät ihres Kindes immer wieder stichprobenartig daraufhin
überprüfen müssen, hasst das Kind die Eltern selbstverständlich. Es spürt
doch das Misstrauen, das ihm entgegengebracht wird. Es fühlt sich
überwacht, kontrolliert, gegängelt und zu Unrecht verdächtigt – familiäres
Vertrauen in einer liebevollen Beziehung zu „uns Kleenen“ oder „süßen
Zwergen“ sieht anders aus, verehrte Eltern! Dänische Pädagogen würden euer
Verhalten nicht gutheißen.
Allerdings weiß das vierte Kind sehr gut, dass es das Vertrauen der Eltern
manchmal durchaus missbrauchen möchte, dies hin und wieder, in einzelnen
Ausnahmefällen, die zu erklären hier zu weit führen würde, heimlich sogar
tut. Deshalb hasst das Kind seine Eltern noch stärker: Sie drücken ihm das
Smartphone in die kleinen Patschehändchen und lassen es mit der
Verantwortung völlig alleine. Damit führen sie das Kind regelrecht in
Versuchung und sollen sich nicht wundern, wenn etwas Unvorhergesehenes
passiert, zum Beispiel die Feuerwehr vor der Tür steht und hektoliterweise
Wasser in den Flur spritzt.
## Mit Wildfremden telefonieren
Außerdem leidet das vierte Kind darunter, dass sich die Eltern langsam
dagegen zu verwehren beginnen, ständig auf der Arbeit angerufen zu werden.
Das schmerzt doch sehr, vor allem, wenn es den drei anderen gegenüber
gerade in diesem Moment damit prahlen will, dass es jederzeit
unverrichteter Dinge mit Mama oder Papa telefonieren kann, jetzt, hier,
ganz wie es Lust hat. Ein überwältigender Hass brodelt in dem Kind mit dem
Smartphone empor.
Es kann gar nicht anders, als irgendeinen wildfremden Menschen anzurufen,
damit die drei anderen Kinder es nicht auslachen und mit dem Finger auf das
elende Smartphone zeigen, das doofe Versagersmartphone, an dem man von den
eigenen Eltern in aller Öffentlichkeit zurückgewiesen wird, insbesondere
und vor allem vor den anderen Kindern. Das vierte Kind ruft jetzt jemanden
an, egal wen, und schreckt auch nicht davor zurück, jemandem Papas
Kreditkartennummer durchzugeben, wenn der das eben so will.
Die anderen drei Kinder hassen sich dafür; aber so sehr sie das
Smartphonekind verachten und allen anderslautenden Erklärungen zum Trotz –
sie möchten das Smartphone auch gerne einmal anfassen, drücken, wischen und
in die Wunderwelt von Facebook und Whatsapp abtauchen. Darum wanzen sie
sich hin und wieder unvermittelt an das Smartphonekind heran und
überschütten es mit Aufmerksamkeit und kleinen Bestechungsgeschenken.
## Abrutschen in Happy-Slapping Videos
Das merkt das vierte Kind natürlich, das sich nicht mehr um seiner selbst
willen geliebt sieht, und stürzt in einen Abgrund von Traurigkeit. Es
spürt: Alle Welt liebt nur mein Smartphone, mich hingegen niemand. Es
rutscht tiefer und tiefer in virtuelle Beziehungen ab, in
Happy-Slapping-Videos, Cyberkriminalität und möglicherweise
Tierpornografie. Was dänische Pädagogen dazu sagen würden, mag sich jeder
selber denken.
Eine solche Entwicklung kann niemand wollen. Wir müssen diese seelischen
Verwundungen allesamt heilen. Wenn wir aber auch nur die Chance haben
wollen, den Absturz des technikaffinsten Viertels einer ganzen Generation
zu verhindern sowie die absehbaren Beschädigungen und Verwerfungen bei dem
gesamten Rest, müssen sich die Eltern der drei anderen Kinder endlich einen
Ruck geben und ihren Kindern ebenfalls ein Smartphone kaufen. Sie sollten
sich beeilen: Die Zukunft unserer Kinder steht auf dem Spiel.
17 Aug 2014
## AUTOREN
Mark-Stefan Tietze
## TAGS
Kinder
Konsumverhalten
Smartphone
Kindererziehung
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