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# taz.de -- Die Wahrheit: Verkrampfte, intolerante Nation
> In unserem Verhältnis zur Rüstungsindustrie brauchen wir endlich neue
> Maßstäbe.
Bild: Vorwärts, marsch, Leopard 2, bitte bloß keine Scheu!
In diesem Land stimmt doch etwas nicht! Ein unbescholtener Mann wie der
frühere Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel bezieht Prügel, nur weil er
einen Brotjob als Rüstungslobbyist annimmt. Die geplante Fusion des besten
deutschen Panzerbauers Krauss-Maffei Wegmann mit seinem französischen
Konkurrenten Nexter bekommt in der Presse tüchtig ihr Fett weg. Und gegen
die Firma SIG Sauer wird sogar staatsanwaltschaftlich ermittelt, weil sie
ihre Pistolen nicht nur montiert, sondern tatsächlich auch verkauft, nun
halt mal nach Kolumbien.
Alle drei Beispiele zeigen: Unsere Gesellschaft hat ein ziemlich
verkrampftes Verhältnis zu ihren Rüstungskonzernen – typisch deutsch eben.
Diese mangelnde Souveränität im Umgang mit einer Branche, die immerhin den
Wohlstand sichern hilft, hat gewiss auch mit unserer unseligen
Vergangenheit zu tun.
Immer noch wirft sie lange Schatten, die Friedensbewegung der achtziger
Jahre, und verhindert unvoreingenommene Diskussionen über alles, was zur
Landesverteidigung gelegentlich an Geldeinsatz und neuartigen
Tötungsmethoden nötig ist, zum Beispiel hochmoderne elektromagnetische
Granatwerfer.
In anderen Ländern wäre so ein Eiertanz undenkbar. Dort ist man sehr stolz
auf seine Rüstungsbetriebe, zeigt ihre Produkte selbstbewusst her und
probiert sie gerne mal aus. Und nicht nur das: Auch unsere deutschen
Waffensysteme genießen einen hervorragenden Ruf. Man leckt sich teilweise
regelrecht die Finger danach.
Aber der hiesige mangelnde Respekt gegenüber unserer Sicherheitsindustrie
kommt vielleicht auch daher, dass die Mehrheit gerne auf irgendeiner
Minderheit rumhackt – ebenfalls typisch deutsch. Die Mehrheit, das sind die
Menschen, die in Finanzämtern, Chemiewerken, Spielhöllen und Drogenlabors
arbeiten. Sie trampeln nach Herzenslust auf den Beschäftigten, Vorständen
und Inhaberfamilien der Waffenschmieden herum. Aber warum? Was ist an denen
denn so besonders? Was macht sie problematischer als die Textilbranche,
blutiger als die großen Fleischproduzenten?
Es wird langsam Zeit, dass wir die Verhältnisse mal zurechtrücken. Es kommt
doch letztlich darauf an, wie man potenziell gefährliche Gegenstände
handhabt. Mit dem Gemüsemesser zum Beispiel kann man eine Fenchelknolle in
mundgroße Stücke schneiden, aber auch jemandem den Zeigefinger abtrennen.
Da ist das Messer nur insofern verantwortlich zu machen, als es ohne sehr
schwer wird, jemandem den Finger abzuschneiden.
Falls es bei dieser Person also unabdingbar sein sollte, müsste man ihr den
Finger eventuell abknabbern. Legitime Gründe wären: Schlangenbiss,
Wundbrand oder gerechte Bestrafung für die Unart, ständig mit dem nackten
Finger auf angezogene Leute zu zeigen, bloß weil sie in irgendeiner
Verbindung zur Rüstungsindustrie stehen.
Um dieses Geheuchel endlich abzustellen, müssen wir unser ethisches
Sensorium mal neu justieren. Man kann mit vielen Dingen Menschen verletzen
oder Unheil anrichten. „Waffen töten keine Menschen, Menschen töten
Menschen“, sagen zu Recht die Menschen, die von der Waffenproduktion leben
oder in ihrer Verwandtschaft jemanden haben, der vom grenzüberschreitenden
Waffenhandel lebt, oder daheim in ihrem Schrank eine Waffe stehen haben,
die sie eines Tages verkaufen oder vielleicht auch einmal benutzen wollen,
ohne dass man ihnen gleich einen Strick daraus dreht.
Die tiefere Wahrheit des Spruchs liegt nämlich darin, dass Gegenstände
unmöglich „böse“ sein können. Böse sind die Menschen, die andere mit di…
Dingen töten, zum Beispiel mit Waffen, die sie daheim im Schrank stehen
haben und die sie nur allzu gerne auf Leute richten würden, denen zu ihrem
tiefsinnigen Gedanken lediglich die neunmalkluge Antwort einfällt: „Ja,
klar, und Atombomben töten auch keine Menschen – nur Menschen töten
Menschen, ne?“
Solche intoleranten Leute sind es aber oft, die einem anderen die
Freundschaft kündigen, sobald sie erfahren, dass er seinen Lebensunterhalt
damit verdient, Tellerminen oder Atombomben herzustellen. Dass derjenige
vielleicht gute Gründe für seine Berufswahl anführen kann, interessiert sie
nicht.
Selbst wenn der Freund glaubhaft versichert, dass er für eine große Familie
zu sorgen habe und anders nicht an Geld komme oder dass es ihm einfach auch
einen Riesenspaß mache, Tellerminen zu produzieren, was Leute, die noch nie
Tellerminen hergestellt haben, aus mangelndem Einfühlungsvermögen heraus
oft überhaupt nicht verstehen wollen, bleiben sie dabei: Nein, mit einem
Waffenproduzenten möchten sie nichts zu tun haben!
Dabei ignorieren sie vollständig, dass es in einer verflochtenen
Weltwirtschaft gar nicht abzusehen ist, ob man nicht irgendeine
Rüstungsschmiede unterstützt, wenn man zum Beispiel einen Schokoriegel
kauft.
Und natürlich kann man jemanden auch mit einem Nudelsieb aus leichtem
Kunststoff erschlagen. Es dauert halt nur sehr lange.
20 Jul 2014
## AUTOREN
Mark-Stefan Tietze
## TAGS
Rüstungsindustrie
Waffenhandel
Ethik
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Sig Sauer
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Sigmar Gabriel
Spionage
Internet
Mittelschicht
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