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# taz.de -- Seuchen und Aufklärung: Gottes gerechte Strafe
> Seuchen haben neben der gesundheitlichen eine soziale Komponente: Sie
> breiten sich dort am stärksten aus, wo die Aufklärung nicht angekommen
> ist.
Bild: Ärztliche Schutzkleidung – wie sie vor der Aufklärung für angemessen…
Es befiel also „ohne irgendeinen Grund“ die Menschen „plötzlich aus heil…
Haut zuerst eine starke Hitze im Kopf und Rötung der Augen“, bald waren
„Schlund und Zunge blutig, der Atem sonderbar und übelriechend“, auf
„Niesen und Heiserkeit“ folgten „Geschwüre und Ausschläge“ und auf
„wässrigen Durchfall, innere Glut“ und „unstillbaren Durst“ ein Tod �…
Erschöpfung“.
Nicht nur „die Ärzte waren mit ihrer Behandlung machtlos gegen die
unbekannte Krankheit“, sie „starben auch am ehesten selbst, da sie am
meisten damit zu tun hatten“. Sterbende wälzten sich an den Brunnen,
Verwesende werden bald aus den Häusern getragen und massenhaft verbrannt:
„Da war keine Schranke mehr, nicht Götterfurcht, nicht Menschengesetz.“
Keine Gräuel des grauenvollen Peloponnesischen Krieges beschreibt sein
Chronist Thukydides so eindringlich wie das Grauen einer seltsamen
Krankheit, der er selbst knapp entkam und an der 430 vor Christus rund ein
Viertel der Bevölkerung von Athen zugrunde ging. Hatten die spartanischen
Gegner die Zisternen vergiftet? War es der Zorn der Götter? Verdorbener
Weizen? Die Hitze und Enge in der überfüllten Stadt, wie Thukydides
vermutet? Man wusste nicht und weiß noch immer nicht genau, was es mit der
„Attischen Seuche“ auf sich hatte. Überhaupt ist die Unkenntnis über die
Natur der Bedrohung bis heute ihr beunruhigendster Verbündeter.
Gesundheitlich wie sozial schlägt jede Seuche dort besonders verheerend zu,
wo die Aufklärung noch nicht angekommen ist. Das gilt für den Dorfbewohner
in Liberia – er mag nicht einsehen, warum er seine verstorbenen Verwandten
nicht rituell waschen und aufbahren darf. Und es gilt für den Bild-Leser,
der sich gern von angeblichen Ebola-Fällen mitten in Berlin begruseln lässt
– er mag nicht so recht glauben, dass für ihn keine Gefahr besteht, zumal
diese Gefahr ihn in seinen rassistischen Stereotypen bestätigt. Kein
Wunder, wenn die Fledermäuse essen da unten!
## Falsche Priester
Die Verheerungen betreffen nie nur das menschliche Immunsystem, die
erstrecken sich immer auch auf das Meta-Immunsystem der menschlichen
Gesellschaft. So konnte sich der „Schwarze Tod“ nur ungehindert verbreiten
und Europa entvölkern, solange man lieber Brunnen vergiftende Juden dafür
verantwortlich machte als Ratten, die infizierte Flöhe in jede Stube
trugen. Denn siehe, „der Herr wird dir die Pestilenz anhängen, bis dass er
dich vertilge“. (Mose, 28, 21).
Als 1832 die Cholera in Paris wütete, schrieb Heinrich Heine, wie falsche
Priester geweihte Rosenkränze, Anhänger von Saint-Simon den Glauben an den
Fortschritt und Bonapartisten den Anblick einer Säule des Kaisers als
Heilmittel empfahlen. In den frühen Achtzigerjahren wurden manche Schwule
zunächst das Gefühl nicht los, man wolle ihnen Errungenschaften wie eigene
Clubs wieder abnehmen, während Homophobe das neue HI-Virus für eine
gerechte Strafe Gottes halten wollten.
## Krankheit als Buße
Wirksam war hier noch immer der Gedanke, dass das Elend der
Wiederherstellung einer tradierten Ordnung dient und Träger der Krankheit
für ihre Verstöße gegen diese Ordnung eine Art der Buße erleiden. Dabei
hatte sich schon während der Aufklärung die Erkenntnis durchgesetzt, dass
Hygiene vernünftig und die Vernunft hygienisch ist.
Als der englische Landarzt Edward Jenner mit intakten Pockenviren die erste
Schutzimpfung entwickelte, zeigte sich sogar Immanuel Kant über die
„Waghalsigkeit“ des Unterfangens besorgt, der Natur ein natürliches Mittel
der Bevölkerungskontrolle aus der Hand zu nehmen. Später revidierte der
Philosoph seine Meinung. Befehle die Regierung die Impfung, so sei sie
„mithin erlaubt“.
Von einer ganz anderen Form des Umgangs mit dem Problem erzählt der
Medizinhistoriker Stefan Winkle in seinem Standardwerk „Geißeln der
Menschheit“. 1889, als eine tödliche Grippewelle tobte, bürgerte sich auf
Einladungskarten der Zusatz ein: „Es wird gebeten, über Nora und Influenza
nicht zu sprechen.“
20 Aug 2014
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Ebola
Aufklärung
Schwerpunkt HIV und Aids
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