# taz.de -- Arzt über Ebola in Westafrika: „Personal, Autos, Sprit und Mut“ | |
> Der Kampf gegen Ebola wäre zu gewinnen – aber es fehlt an Unterstützung | |
> für die Helfer, sagt Maximilian Gertler von Ärzte ohne Grenzen. | |
Bild: Der Berliner Arzt Maximilian Gertler in einem Behandlungszentrum in Guine… | |
taz: Herr Gertler, Sie waren in der Stadt Guéckédou im Süden Guineas im | |
Einsatz gegen Ebola. Wie groß war Ihre Angst, sich anzustecken? | |
Maximilian Gertler: Angst müssen vor allem die Menschen haben, die dort | |
leben, die unwissend sind und mit plötzlichen Todesfällen in ihrem Dorf | |
oder in der eigenen Familie konfrontiert sind. Wir kennen die | |
Infektionswege und wir haben bei vielen Ausbrüchen der Vergangenheit | |
wertvolle Erfahrungen gesammelt. | |
Wie wichtig ist die internationale Hilfe durch Ärzte, Experten der WHO und | |
Epidemiologen wie Ihnen? | |
Diese Epidemie ist vor allem deshalb so groß geworden, weil die ersten | |
Reaktionen viel zu zögerlich waren. Es hätte von Anfang an stärkere | |
internationale Anstrengungen gebraucht. Bis heute haben die | |
Gesundheitsbehörden vor Ort, vor allem in Liberia und Sierra Leone, lange | |
nicht die Unterstützung, die sie brauchen. | |
Wie sieht denn der Abwehrkampf gegen Ebola im Alltag aus? | |
Die Vertreter der lokalen Gesundheitsbehörden müssen in die Dörfer fahren, | |
wo die Ebola-Fälle auftreten. Sie müssen die Kontaktpersonen der Kranken | |
aufspüren und sie in die Behandlungszentren bringen. Das ist ganz banal, | |
aber das Wichtigste. | |
Was ist die Aufgabe der internationalen Helfer? | |
In vielen Städten Guineas, Liberias und Sierra Leones haben wir | |
Behandlungszentren eingerichtet, wo die Kranken versorgt werden und | |
gleichzeitig isoliert sind von ihren Familien und anderen Dorfbewohnern, | |
damit sie niemanden anstecken. Das ist die medizinische Seite. Die | |
epidemiologische Seite ist der Kampf gegen eine weitere Ausbreitung. Die | |
Aufklärung. Und die Helfer müssen täglich in die Dörfer gehen, um sich | |
einen Überblick zu verschaffen. | |
In einigen Dörfern werden internationale Helfer laut „New York Times“ mit | |
einem Steinhagel empfangen … | |
Es gibt Dörfer, die den Helfern den Zutritt verweigern – aus Angst, dass | |
sie die Krankheit bringen. Mit den weißen Autos der Mediziner verbinden | |
viele das Unheil. Außerdem fürchtet man sich vor der Stigmatisierung, wenn | |
die Krankheit ausbricht. Betroffene Dörfer werden gemieden, da geht man | |
nicht mehr auf den Markt. | |
Wie gut sind Menschen in Westafrika über Ebola informiert? | |
Das Bildungsniveau ist niedrig. Die Biologie eines Virus zu erklären, das | |
ist schon mühevoll. Die lokalen Helfer, die die Sprache der Dorfbewohner | |
sprechen, versuchen es trotzdem. Die Dorfbewohner haben teilweise ganz | |
andere Erklärungen für die Epidemie. In einem Dorf hatte ich einen | |
Ebolafall, den die Bewohner vertuschen wollten, bis ich immer mehr Gräber | |
entdeckt habe. Schuld an allem war nach Ansicht der Dorfbewohner eine Frau, | |
die in der Stadt gelebt hat und dann mit einem unehelichen Kind zurück ins | |
Dorf kam. Ebola als große Strafe. | |
Stimmt es, dass viele Kranke von ihren Angehörigen versteckt werden, bis | |
sie die ganze Familie angesteckt haben? | |
Dieses Phänomen haben wir manchmal tatsächlich beobachtet. Wir haben das | |
Problem, dass die meisten Patienten in den Behandlungszentren sterben, weil | |
es keine wirksamen Medikamente gegen Ebola gibt. Die Zentren werden deshalb | |
von vielen als Sterbelager empfunden, da will niemand hin. | |
Manche Insassen sind von ihren Familienangehörigen mit Gewalt befreit | |
worden? | |
Wir hatten bisher keinen solchen Fall. Aber wir nehmen auch niemanden gegen | |
seinen Willen mit. | |
Wie überzeugen Sie die Kranken oder verdächtige Kontaktpersonen, freiwillig | |
mit Ihnen mitzukommen? | |
Wichtig ist, lokale Kräfte einzubinden. Und man muss die traditionellen | |
Kommunikationswege beachten, also zuerst mit den Dorfältesten reden. Eine | |
große Hilfe sind Überlebende, die in den Behandlungszentren waren und | |
davongekommen sind. Sie sind wichtige Multiplikatoren. | |
Aktuell sind nach offiziellen Zahlen so viele Personen an Ebola erkrankt | |
und gestorben wie noch nie – der schlimmste Ausbruch in der | |
Medizingeschichte. Wann hat die Epidemie eigentlich begonnen? | |
Nach unseren Informationen schon im Dezember beziehungsweise im Januar. Die | |
offizielle Bestätigung des Ebola-Ausbruchs kam erst am 20. März. Das waren | |
viele verlorene Wochen und Monate, in denen sich das Virus ausgebreitet | |
hat. Außerdem hat die Epidemie ihren Charakter verändert. Wir kennen | |
Ebola-Ausbrüche in dünn besiedelten, abgelegenen Regionen. Jetzt wütet das | |
Virus in stärker besiedelten Gebieten mit höherer Mobilität. Ich habe | |
zuletzt mit einer Patientin gesprochen, die von Monrovia, der Hauptstadt | |
Liberias, zu uns gereist war – das dauert mit dem Bus 30 Stunden. | |
Kann Westafrika das Virus in absehbarer Zeit überhaupt stoppen? | |
Die Situation ist schrecklich, vor allem in Liberia und Sierra Leone. Es | |
fehlen die Voraussetzungen und die Mittel, um diesen Kampf zu gewinnen. | |
Wenn die Anstrengungen erhöht werden, dann wird man es irgendwann auch | |
schaffen, die Epidemie einzudämmen, aber es wäre unseriös, eine Prognose zu | |
wagen. | |
Woran fehlt es vor allem? | |
Es fehlt an Geld und an ausgebildetem Personal. Das betroffene Gebiet ist | |
sehr groß, wir brauchen dringend mehr Helfer und Spezialisten, es braucht | |
Autos, Sprit und sehr viel Mut. Andererseits könnte man diese Krankheit gut | |
beherrschen, es wäre im Prinzip nicht so schwierig. Nur in den | |
Behandlungszentren ist die Arbeit wirklich eine Herausforderung. Daneben | |
brauchen wir Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung – und müssen | |
Kontaktpersonen in den Dörfern aufspüren. | |
Wie sieht der Infektionsalltag in den betroffenen Gebieten aus? | |
Die Übertragung findet oft in den Familien statt, wo wir körperliche Nähe | |
haben, Umarmungen und den Austausch von Körperflüssigkeit. Der Schweiß, der | |
Speichel, das Blut, das alles ist bei den Schwerkranken mit Viren | |
kontaminiert. Da reicht es, wenn die Kinder im Bett der kranken Mutter | |
schlafen. Und natürlich sind die Beerdigungen ein hohes Risiko: Die Toten | |
werden rituell gewaschen, teilweise mehrfach, und das ist hoch gefährlich, | |
das müssen wir unterbinden, auch wenn es fast unmenschlich ist und tief in | |
die Kultur eingreift. Wir haben jetzt Spezialteams für sichere Beerdigungen | |
gebildet, die mit den Familien zusammen die Beerdigung abwickeln. Die Toten | |
werden mit Chlorlösung desinfiziert und zwei Meter tief begraben. | |
Offenbar werden nicht alle Toten begraben. Ein Opfer wurde an Stricken aus | |
dem Dorf geschleift und auf der Straße abgelegt … | |
Das habe ich gelesen und ich zweifle nicht an solchen Berichten. Man sollte | |
das nicht verurteilen, die Ängste sind groß. | |
Epidemien mobilisieren irrationale Ängste und Diskriminierungen. Stimmt es, | |
dass Krankenschwestern beim Einkaufen teilweise nicht bedient werden? | |
Das kann ich mir gut vorstellen. Ich habe erlebt, dass uns die Dorfältesten | |
aufforderten, ihre Dörfer nicht mehr zu besuchen. Ärzte und | |
Krankenschwestern leiden nicht nur daran, dass man ihnen aus dem Weg geht. | |
Ihre Arbeit ist auch sehr gefährlich. Und sie müssen in den Schutzanzügen | |
bei großer Hitze ungeheure körperliche Belastungen aushalten. | |
Zehn Prozent aller Opfer sind medizinisches Personal. Liegt das daran, dass | |
die meisten Helfer das Tragen der Schutzkleidung nur etwa eine Stunde | |
aushalten? | |
Das ist genau der Zeitraum, um den Einsatz erst mal zu beenden. Wir sind ja | |
immer zu zweit in den Isolationsabteilungen, falls einer umkippt. Der hohe | |
Anteil der Ansteckungen beim medizinischen Personal geht auf die Frühphase | |
der Epidemie zurück, als noch zu wenig über den neuen Ausbruch bekannt war. | |
Sonst ist die Schutzausrüstung mit Anzug, Brille und Handschuhen wirklich | |
sicher. | |
In Liberia sind alle Schulen geschlossen, das Militär ist in | |
Alarmbereitschaft. Wie beurteilen Sie die staatlichen Antworten der | |
betroffenen Länder auf die Epidemie? | |
Es hat sich viel getan. Die Regierungen sind aufgerüttelt und zu wirklich | |
harten Maßnahmen bereit. Ich fürchte aber, dass die Schließung von Grenzen | |
und die Bewegungseinschränkungen in den betroffenen Gebieten nur zu | |
Vertrauensverlusten und neuer Unruhe führen. Wichtiger wäre die Aufklärung, | |
damit die Kranken in die Behandlungszentren gehen. | |
Wie sieht die Behandlung eigentlich aus? Wie kann es sein, dass bis zu 50 | |
Prozent der Infizierten überleben, obwohl es keine Medikamente gegen Ebola | |
gibt? | |
Es gibt keine Medikamente oder Impfstoffe, weil es sich für die | |
Pharmaindustrie offenbar ökonomisch nicht rentiert, zu forschen und zu | |
investieren. Ebola-Patienten sind keine lohnende Klientel. Wir verordnen | |
Antibiotika, wenn es bakterielle Infektionen gibt. Wir geben Infusionen und | |
Schmerzmittel und behandeln die Symptome, so gut es geht. Die psychosoziale | |
Unterstützung ist wichtig. Die Kranken stehen unter enormem Druck, weil sie | |
wissen, dass die meisten das Behandlungszentrum nicht lebend verlassen. Sie | |
dürfen aber Kontakt zu den Angehörigen haben, dazu verteilen wir | |
Mobiltelefone. | |
Die ersten Symptome von Ebola sind Fieber, Kopfschmerzen, allgemeine | |
Schwächegefühle – wie bei einer banalen Sommergrippe … | |
Die Sommergrippe Guineas ist die Malaria und die beginnt tatsächlich mit | |
den gleichen Symptomen. Da darf man sich nicht täuschen lassen und muss im | |
Zweifel die schlimmere Krankheit annehmen. Wenn jemand tatsächlich nur eine | |
Malaria hat, bekommt er von uns ein Zertifikat, dass er nicht an Ebola | |
erkrankt ist. Das ist für die Betroffenen ungeheuer wichtig, damit sie | |
nicht diskriminiert werden. An solche Dinge muss man eben auch denken. | |
Wann beginnt Ihr nächster Einsatz? | |
Ich weiß es noch nicht, aber es ist mir diesmal sehr schwer gefallen, nach | |
Hause zu fahren. Aber für meine Frau und die Kinder ist die psychische | |
Belastung noch größer als für mich. | |
7 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Manfred Kriener | |
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