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# taz.de -- Sündenbock des Ebola-Virus: Das Elend hat ein Gesicht
> Der Mann, der Ebola nach Nigeria brachte: Patrick Sawyer wird als
> Überträger dämonisiert. Die Angst vor dem Virus lässt selbst Boko Haram
> vergessen.
Bild: Damals ging es ihm noch gut: Patrick Sawyer mit seiner Tochter Ava.
ABUJA taz | Nigeria hat seinen Sündenbock gefunden. Patrick Sawyer heißt
er, und vermutlich dürfte es fast sein Glück sein, dass er schon tot ist.
Sonst wäre er womöglich gelyncht worden, ist er es doch gewesen, der
Nigeria mit dem tödlichen Ebola-Virus infiziert hat. Ganz praktisch ist
dabei, dass er selbst kein Nigerianer war, sondern einen amerikanischen
Pass hatte und ursprünglich aus Liberia stammte.
Seit einer Woche sind die Zeitungen voll von Sawyer und seinem Tod. Kein
Detail wird ausgelassen. Eifrig suchen Journalisten nach Informationen aus
Liberia, durchforsten dortige Lokalzeitungen und versuchen, Kontakte zu
Kollegen vor Ort aufzubauen. So viel Aufmerksamkeit hat Nigeria dem knapp
2.000 Kilometer entfernten Land selten gewidmet.
Während des liberianischen Bürgerkriegs entsandte es zwar Truppen, und noch
heute klagt man in Monrovia über das unglaublich scharfe Essen, das die
Nigerianer damals verlangten. Es gibt wirtschaftliche Verbindungen, und
beide Länder gehören der Westafrikanischen Staatengemeinschaft Ecowas an.
Doch bis Sawyer am 20. Juli in Lagos ankam, wurde nie so viel wie jetzt
über Liberia gesprochen.
Die Zeitungen zeigen Bilder eines wuchtigen Mannes mit einem großen
Muttermal auf der linken Wange. Mal im T-Shirt, mal im Anzug, dann bei
seiner Hochzeit und später mit seiner kleinen Tochter. Damals ging es ihm
noch gut. Fast immer heißt es neben dem Foto: „Der Mann, der Ebola nach
Nigeria gebracht hat.“
## Lust am Voyeurismus
Das Elend hat ein Gesicht bekommen. Die Lust am Voyeurismus ist groß und
die Wut auch. In Internetforen sind sich die Nutzer sicher, dass sein Name
in die nigerianische Geschichte eingehen wird. Afrikas Riesenstaat hat
schon mit vielen Problemen zu kämpfen. Nun auch noch mit der Seuche, die
bisher mehr als 1.000 Menschenleben in vier Ländern gefordert hat.
Offenbar wusste Sawyer, dass er krank war. Er soll seine Schwester ins
Krankenhaus gebracht haben, die sich mit dem Virus infiziert hatte. Als sie
starb, wachte er an ihrem Totenbett. Anschließend suspendierte sein
Arbeitgeber ihn und forderte ihn auf, sich untersuchen und überwachen zu
lassen. Doch er reiste trotzdem.
So entsteht das Bild von einem Kranken, der sich am Flughafen mehrmals
übergeben musste und vom Virus deutlich geschwächt war. Fünf Tage später
starb er in Lagos. Dafür hat sich mittlerweile sogar die liberianische
Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf entschuldigt. Sawyers Witwe hält in den
Vereinigten Staaten dagegen und betont, ihr Mann habe kein Vertrauen in das
Gesundheitssystem Liberias gehabt und wollte deshalb Hilfe in Nigeria
suchen. Warum er nicht sofort in die USA oder nach Europa flog, dürfte ein
ewiges Rätsel bleiben.
## Das Problem ist nicht hausgemacht
Die Nigerianer nehmen die Geschichte Sawyers begierig auf. Besagt sie doch:
Das Ebola-Problem ist nicht hausgemacht. Es geht ausnahmsweise nicht um
korrupte Politiker, schlechte Infrastruktur, ständigen Stromausfall oder
fehlendes Trinkwasser.
Dieses Mal trägt kein Nigerianer Schuld. Auch waren es nicht die
nigerianischen Sicherheitsbehörden, die den Fall Sawyer zu lax gehandhabt
haben. Vielleicht hätten die Mitarbeiter am Murtala-Mohammed-Flughafen in
Lagos die Einreise verhindern können. Aber darüber hinaus hat sich Nigeria
nichts zuschulden kommen lassen. Also kann sogar Präsident Goodluck
Jonathan in den wütenden Chor mit einstimmen. Sawyers Entscheidung, nach
Lagos zu reisen, geißelte der Präsident Anfang der Woche als „verrückt und
wahnsinnig“.
Darüber, dass die ersten Ebola-Fälle auch in Nigeria hätten auftreten
können, spricht niemand. Übertragen wird das Virus durch Kontakte zu
Flughunden und Affen. Bushmeat ist auch hier beliebt. Stattdessen sollten
lieber, so fordern Internetnutzer, die sieben noch lebenden
Ebola-Infizierten umgehend nach Liberia geflogen werden. Sollen sich doch
die entfernten Nachbarn kümmern. Die haben uns das Virus schließlich
gebracht.
## Entführte Mädchen?
Ebola hat damit sogar Boko Haram verdrängt. Wer waren die entführten
Mädchen von Chibok noch mal? Seit Sawyer spricht niemand mehr über sie. Von
der kleinen Protestgruppe #BringBackOurGirls, die sich weiterhin täglich in
Abuja trifft, mal abgesehen, sind sie im Moment aus der öffentlichen
Wahrnehmung verschwunden. Gleiches gilt für die unzähligen
Verschwörungstheorien rund um die Terrorgruppe.
Dafür gibt es neue Rezepte gegen Ebola. Besonders hoch im Kurs stehen
Hausmittel, die angeblich gegen die Krankheit helfen sollen. Die
Empfehlung, zum Schutz vor dem Virus in Salzwasser zu baden und
anschließend etwas davon zu trinken, beispielsweise. Mittlerweile sind
überall im Land Dutzende Menschen in Krankenhäuser eingeliefert worden,
weil sie diese Methode angewandt hatten. Einige sollen sogar gestorben
sein, egal wie häufig Ärzte befragt und zitiert werden und vor den Folgen
des Salzwasserkonsums warnen. So ganz glauben offenbar auch viele Badende
nicht an den magischen Schutz. Auf die Frage nach dem Salzwasserbad heißt
es gerne: „Es war ja meine Frau: Sie meint, es sei gut für die Kinder.“
Auch Kolanüsse, jene bitteren Samen des Kolabaums, die es an jedem
Busbahnhof und an jeder Straßenecke zu kaufen gibt und Besuchern gerne zur
Begrüßung angeboten werden, sollen helfen. Händler befürchteten in den
vergangenen Tagen schon eine deutliche Verknappung der rot-gelben Frucht,
deren Bitterkeit einem beim Verzehr die Gesichtsmuskeln zusammenzieht.
Bisher ist sie allerdings ausgeblieben.
„Ich würde dir ja gerne die Hand geben. Aber du weißt schon, in Zeiten von
Ebola ist das nicht so gut“, sagt man seit ein paar Tagen häufig zur
Begrüßung – ebenfalls zur Prophylaxe. Allerdings ist das bis zum Abschied
meisten wieder vergessen, und man schüttelt sich besonders lange und
herzlich die Hände. Der Sündenbock ist ja schon tot.
14 Aug 2014
## AUTOREN
Katrin Gänsler
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