# taz.de -- Konflikt um Land in Nigeria: Das liebe und das böse Vieh | |
> Es gibt immer weniger Weideland, das macht Viehhirten wie Farmern in | |
> Nigeria gleichermaßen zu schaffen. Ein Konflikt, der Menschen sterben | |
> lässt. | |
Bild: Seit Jahrhunderten ziehen die Fulani mit Rinder- und Ziegenherden durch W… | |
LAFIA taz | Der Wind weht leicht über das Feld. Noch sind die Pflanzen | |
klein, und die Maiskolben lassen sich nicht einmal erahnen. Barnabas Alabi | |
Gidinye geht in die Hocke, nickt zufrieden und sagt: „Das sieht gut aus.“ | |
Noch einmal lässt er prüfend die Blätter durch seine Hände gleiten – das | |
könnte eine ordentliche Ernte geben. Ganz passend fürs Land ist er nicht | |
gekleidet mit seinem weißen Hemd, der weißen Hose und der schweren Uhr am | |
linken Handgelenk. „Eigentlich arbeite ich ja auch in der Verwaltung in | |
Lafia“, sagt er und lacht verlegen. Aber in seinem Herzen ist Barnabas | |
Alabi Gidinye Farmer. | |
Wann immer ihm Zeit bleibt, begutachtet er seine kleinen Felder in | |
Duduguru. Eine knappe Stunde braucht er mit dem Auto von Lafia, der | |
Hauptstadt des Bundesstaates Nasarawa, in sein Dorf. Für das letzte | |
holprige Stück der Straße wäre eigentlich ein Geländewagen gut. Die | |
Schlaglöcher sind groß, und Gidinyes kleines Auto hüpft auf und ab. Doch | |
ihn stört das nicht. Im Dorf hat er schließlich das, was er so mag. Ruhe. | |
Den Geruch von frischer Erde und damit verbunden die Hoffnung auf einen | |
guten Ertrag, nicht nur beim Mais, sondern auch beim Yams. „Dreh dich mal | |
um, dort steht er“, sagt er auffordernd und zeigt auf Pflanzen, die aus | |
kleinen Erdhügeln wachsen. | |
Die Yamswurzel schmeckt ein wenig nach Kartoffel und gehört in der Region | |
zu den Grundnahrungsmitteln. Meist wird sie zu Brei zerstampft und als | |
Pounded Yam zu den verschiedensten Soßen beigegeben. Oder der Yams wird in | |
Scheiben geschnitten und frittiert. Eine besonders beliebte Art heißt auf | |
Migili, der am meisten gesprochenen Sprache rund um Lafia, Mbakwase. Das | |
bedeutet auch „schöne Frau“. | |
Zwei Dinge könnten die Ernte nun noch gefährden: schlechtes, feuchtes | |
Wetter und die beige-weißen Kühe mit den Riesenhörnern, die in großen | |
Herden durch die Gegend ziehen. Es ist das Vieh der Fulani, der | |
Halbnomaden, das überall in Zentralnigeria auftaucht: an den | |
Schnellstraßen, in den Vororten der Hauptstadt Abuja und natürlich auf den | |
Äckern in ländlichen Regionen wie Nasarawa. Sobald die Farmer die Tiere nur | |
sehen, sind sie schon alarmiert. Denn die Rinder zertrampeln Felder, | |
fressen die zarten Pflanzen und vernichten schließlich Einkommen. Die meist | |
jungen Viehhirten würden sich nicht um die Schäden scheren, sondern einfach | |
weiterziehen, klagen die ortsansässigen Farmer. „Und wenn wir dann etwas | |
dagegen unternehmen, kriegen wir richtig Probleme“, sagt Barnabas Alabi | |
Gidinye und kneift die Augen zusammen. Kühe sind das Letzte, was er gerade | |
gebrauchen könne. | |
## Ein ignorierter Konflikt | |
Noch nie zuvor hatten die Fulani ein so schlechtes Image wie heute. Jede | |
Woche sorgen sie in den nigerianischen Zeitungen für Schlagzeilen, wo es | |
dann heißt: „Bewaffnete Viehhirten überfallen, plündern und töten ein | |
ganzes Dorf.“ Mitunter wird der Konflikt auch als religiös begründet | |
dargestellt. Fulani bekennen sich zum Islam, während die Farmer – je nach | |
Region gehören sie unterschiedlichen ethnischen Gruppen an – meist Christen | |
sind. Mitte Juli schätzte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), dass | |
in den ersten sechs Monaten des Jahres 2014 mindestens 522 Menschen bei | |
diesen Auseinandersetzungen ums Leben gekommen sind. | |
Es ist gut möglich, dass die Opferzahl viel höher liegt. Blutig geworden | |
ist der Konflikt auch, weil immer mehr Kleinwaffen – viele stammen aus | |
Libyen – ins Land kommen, die einfach und für wenig Geld zu kaufen sind. Es | |
ist durchaus möglich, dass auch bewaffnete Banditen die Überfälle verüben, | |
um zu plündern und schlicht nur als „Viehhirten“ bezeichnet werden. | |
Beobachter in Nigeria gehen davon aus, dass der Konflikt ebenso brisant und | |
gefährlich ist wie die Terrorgruppe Boko Haram. Er wurde nur bisher | |
erfolgreicher ignoriert. | |
Eine Konferenz in Kaduna soll das ändern. Überall in der nordnigerianischen | |
Stadt stehen Polizeiautos, vor dem Konferenzhotel haben sich lange | |
Schlangen gebildet. Die Sicherheitskontrollen sind scharf, auch wenn | |
Präsident Goodluck Jonathan nicht selbst teilnimmt, sondern durch seinen | |
Vize Namadi Sambo vertreten wird. Neben ihm gehören Emire, | |
Parlamentsmitglieder, der Sicherheitsberater des Präsidenten, Vertreter der | |
Fulani und der Farmer zu den Gästen. Endlich sollen Lösungen gefunden | |
werden für einen Konflikt, der schon so lange schwelt. | |
Zu den eloquentesten Rednern gehört Nigerias Landwirtschaftsminister | |
Akinwunmi Ayo Adesina. Er trägt einen dunklen Anzug und Fliege, seine | |
äußere Erscheinung unterstreicht sein inhaltliches Anliegen: „Die | |
Landwirtschaft muss modernisiert werden.“ Erreichen will er das durch | |
moderne Rinderfarmen – statt der die Landschaft durchstreifenden Viehherden | |
und Viehhirten. „Wir brauchen eine moderne Fleischindustrie“, sagt Adesina. | |
„In Nigeria bewegen wir immer noch die Tiere durch das Land. Überall sonst | |
auf der Welt wird das Fleisch bewegt.“ | |
## Jahrhundertealte Gepflogenheiten | |
Seit Jahrhunderten ziehen die Fulani mit ihren Herden durch ganz | |
Westafrika. Viele von ihnen sind heute noch Halbnomaden. Ähnlich lange | |
schon betreiben die Farmer Ackerbau. Nigeria erlebt ein rasantes | |
Bevölkerungswachstum. In Afrikas Riesenstaat leben mittlerweile 170 | |
Millionen Menschen. Als Nigeria 1960 unabhängig wurde, waren es gerade | |
einmal 50 Millionen. Jedes kleinste Fleckchen Land wird bewirtschaftet. Für | |
die Viehhirten bedeutet das: Die sogenannten Korridore, die sie einst für | |
ihre Tiere zum Grasen hatten, werden zugebaut, von gutem Weideland ganz zu | |
schweigen. | |
Wie sehr sich deshalb die Auseinandersetzungen zuspitzen, spüren auch die | |
Mitarbeiter des Komitees für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden (JDPC). | |
Es hat seinen Sitz in der Stadt Lafia und gehört zur katholischen Kirche. | |
„Die Entwicklung ist für uns alle überraschend“, sagt David Baka, | |
katholischer Priester und JDPC-Leiter. Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück | |
und schüttelt fast unmerklich den Kopf. Er beschreibt sich selbst als einen | |
Jungen vom Land, der in einer durch und durch landwirtschaftlich geprägten | |
Gegend aufgewachsen ist. „Die Schwierigkeiten, die es heute gibt, hatten | |
wir damals nicht. Wenn zum Beispiel gefeiert wurde, waren die Fulani immer | |
dabei. Mein Vater baute sogar ein Haus für sie, in dem sie ihre | |
Habseligkeiten lassen konnten, wenn sie weite Strecken mit dem Vieh | |
zurücklegten.“ Egal, ob man mit Farmern oder Fulani spricht, alle | |
bestätigen das gute Zusammenleben, das es früher einmal gab. | |
Heute müssen Baka und seine Kollegen zwischen beiden Parteien vermitteln | |
und laden deshalb regelmäßig zu Treffen ein. Dieses Mal ist auch Barnabas | |
Alabi Gidinye gekommen. Bei Pounded Yam, Hühnchen und kleingeschnittener | |
Wassermelone unterhält er sich mit Wakile Dangogo, der Fulani und | |
Viehbesitzer ist. Hier in den JDPC-Räumen klappt es problemlos, und beide | |
Männer sind sich nach dem gemeinsamen Essen einig: Gespräche helfen, um | |
Konflikte gar nicht erst eskalieren zu lassen. Und eigentlich wissen beide | |
Männer auch: Der Konflikt dreht sich um das immer knapper werdende Land in | |
Nigeria. | |
## Kühe sind Lebenseinstellung | |
Und er dreht sich um viele Vorurteile. Als Wakile Dangogo alleine ist und | |
kein Farmer mehr neben ihm sitzt, erklärt er: „Heutzutage heißt es immer | |
nur: die Fulani! Wenn sie uns irgendwo sehen, kommt das ganze Dorf | |
angelaufen, um uns zu vertreiben.“ Dabei seien die Fulani doch | |
friedliebend. „Wenn uns niemand angreift, tun wir auch nichts. Aber wenn | |
doch, dann können wir uns das natürlich nicht gefallen lassen.“ | |
Mit „uns“ meint Wakile Dangogo aber nicht nur andere Fulani, sondern auch | |
das Vieh. Seine Augen leuchten, wenn man ihn danach fragt. Farmer spotten | |
gerne, dass die Fulani zu Kindern werden, wenn es um das Vieh geht und sie | |
es mehr achten würden als die eigenen Frauen. Kühe bedeuten für sie Besitz, | |
Lebenseinstellung, Tradition. Dazu gehört bis heute, dass Fulani das Rind | |
nicht auf Weiden oder in Ställen halten. | |
Mittlerweile gibt es zwar Fulani, die Land besitzen, doch in der Regel | |
gehört es den Farmern – die wiederum meist keine Besitzurkunden darüber | |
haben. Land wird von Generation zu Generation weitergegeben. Doch nicht | |
immer akzeptieren die jungen Farmer beispielsweise die Schneisen für die | |
Kühe, Kälber und Ziegen – oder sie erfahren zu wenig darüber. | |
## Für ein Stück Papier nach Lafia? | |
Wieder in Duduguru zurück, weiß auch Barnabas Alabi Gidinye um diese | |
Schwierigkeit. „Papiere“, lacht er, „nein, die haben doch nur die wenigst… | |
Menschen.“ Er setzt sich unter einen großen Baum in den Schatten. „Hier im | |
Ort gibt es viele Häuser, die zwei Zimmer haben und vielleicht 100.000 | |
Naira wert sind“, erklärt er. Umgerechnet sind das keine 500 Euro. Mit | |
anderen Worten, es wäre viel zu teuer und aufwändig, um für ein Stück | |
Papier nach Lafia zu fahren. „Das macht nur jemand, der gebildet ist, Zeit | |
und Geld hat.“ | |
Bei der Vorstellung, irgendwann mal eine Rinderfarm zu bewirtschaften, wie | |
es dem Landwirtschaftsminister vorschwebt, schüttelt auch Wakile Dangogo | |
wild den Kopf. „Das wird schwierig für uns. Und vom wem sollten die Fulani | |
die Flächen dafür bekommen?“ | |
24 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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