# taz.de -- Entführung von Schülerinnen in Nigeria: Seit 100 Tagen #BringBack… | |
> Seit 100 Tagen sind 300 Schülerinnen in den Händen der Miliz Boko Haram. | |
> Dabei werden die anderen Gräueltaten in Nordnigeria global ignoriert. | |
Bild: „Wir hatten nicht gedacht, dass die Proteste so lange dauern werden“:… | |
ABUJA taz | Sie protestieren immer noch jeden Tag: die Organisatoren von | |
#BringBackOurGirls. Jeweils um 15 Uhr versammeln sie sich am Unity | |
Fountain, der mitten in Nigerias Hauptstadt Abuja steht und die Einheit des | |
eigentlich gespaltenen Landes demonstrieren soll. Die aufgehängten Plakate | |
flattern im Wind. Um Stimmung zu machen, ertönt der Slogan der | |
Protestbewegung: „Alles was wir wollen, ist, dass unsere Mädchen sofort und | |
lebendig zurückkommen.“ Die rund 50 Teilnehmer sprechen ihn im Chor nach. | |
Nach einigen Wiederholungen klingt er immer fordernder und zorniger. | |
Die Initiative, die sich gut zwei Wochen nach der Entführung der knapp 300 | |
Mädchen in Chibok eher spontan gründete, ist mittlerweile weltweit bekannt. | |
Die First Lady der USA, Michelle Obama, wie auch die französische Sängerin | |
Carla Bruni ließen sich mit jenen kurzen und eindringlichen Worten | |
abbilden. Auch in Deutschland tauchten Plakate mit der Forderung auf. | |
Sie ist zum Synonym für jene spektakulären Entführung von knapp 300 | |
Schülerinnen geworden. Sie besuchten eine weiterführende Schule mit | |
Internat in Chibok im Bundesstaat Borno und schrieben gerade ihre | |
Abschlussarbeiten, als in der Nacht zum 15. April die Kämpfer der | |
Terrorgruppe Boko Haram („Westliche Bildung ist Sünde“) in die Hostels | |
eindrangen und die Schülerinnen auf Lkws verluden. Am 23. Juli ist das 100 | |
Tage her. Man geht davon aus, dass noch rund 220 von den Terroristen | |
festgehalten werden. Einigen gelang die Flucht. Eventuell wurden sie aber | |
auch freigelassen, weil sie krank geworden waren. | |
„Als wir mit unseren Protesten begannen, hätte niemand gedacht, dass sie so | |
lange dauern werden“, sagt Bukky Shonibare, die zum Organisationsteam von | |
#BringBackOurGirls gehört und das Treffen moderiert. Zu unglaubwürdig hörte | |
sich die Geschichte über die Entführung anfangs an. Da sich Präsident | |
Goodluck Jonathan knapp drei Wochen lang nicht öffentlich dazu äußerte, | |
klang sie gerade im Süden des riesigen Staats für viele Menschen eher nach | |
einer Verschwörungstheorie. | |
## Diskustiert werden nur die Chibok-Mädchen | |
Im Bundesstaat Borno, wo sich Boko Haram 2002 in der Hauptstadt Maiduguri | |
gegründet hatte, sind solche Vorkommnisse jedoch schon lange Realität. | |
Augenzeugen und Beobachter der nigerianischen Politik bestätigen es. Nur in | |
die nigerianische Öffentlichkeit und die internationalen Medien schafften | |
es die Vorfälle nie. | |
Nicht unbeteiligt an dieser Entwicklung soll auch die nigerianische Armee | |
sein. Sie soll wiederholt Angehörige von mutmaßlichen Terroristen verhaftet | |
haben, um Druck auf die Gruppe auszuüben. Menschenrechtsverletzungen durch | |
Soldaten und die Spezialeinheit Joint Task Force (JTF) hatte in den | |
vergangenen Jahren auch Amnesty International (AI) mehrfach verurteilt. | |
Für einen weltweiten Protest müssen erst knapp 300 Mädchen entführt werden, | |
erklärt ein nigerianischer Schriftsteller und Journalist, der namentlich | |
nicht zitiert werden will, zynisch. Gekidnappte Schülerinnen, denen | |
plötzlich in einer überwiegend muslimisch geprägten Region das Recht auf | |
Bildung verweigert wird, würden die Welt entsetzen. Sie seien ein gutes | |
Thema für eine globale Medienkampagne. Das zeige das grundlegende Problem: | |
Die Diskussion dreht sich nur noch um die Chibok-Mädchen, nicht aber mehr | |
um die übrigen Gräueltaten, die seit Jahren in Teilen von Nordnigeria an | |
der Tagesordnung sind. | |
## Malala zu Besuch | |
Längst werden nicht nur Mädchen entführt, sondern auch Jungen, die offenbar | |
als kleine Kämpfer ausgebildet und missbraucht werden. Wöchentlich kommt es | |
zu neuen Angriffen auf entlegene Dörfer, in denen Polizei und Militär nicht | |
ausreichend bis gar nicht präsent sind. Jüngstes Beispiel ist Damboa in | |
Borno. Nach dem Überfall vom Wochenende, bei dem mindestens 40 Menschen | |
starben, soll Boko Haram dort sogar eine schwarze Flagge gehisst haben und | |
nun den Ort kontrollieren. | |
Bukky Shonibare kennt die Vorwürfe, dass #BringBackOurGirls zu einseitig | |
wirkt. „Dennoch ist es uns gelungen, für Aufmerksamkeit zu sorgen. Gerade | |
hat uns Malala Yousafzai besucht.“ Die pakistanische Kinderrechtsaktivistin | |
hatte Präsident Goodluck Jonathan aufgefordert, sich endlich mit den Eltern | |
der entführten Mädchen zu treffen, was am Dienstagnachmittag schließlich | |
geschah. Frühere Treffen waren gescheitert. Mitte Mai war der Präsident | |
beispielsweise nicht nach Chibok gefahren, weil die Reise dorthin als zu | |
gefährlich galt. | |
Das hat dazu beigetragen, dass Jonathan in den vergangenen 100 Tagen eine | |
eher schlechte Figur abgegeben hat. Deshalb beruhigt auch seine neuerliche | |
Beteuerung, dass die Mädchen „bald befreit werden“, niemanden mehr. Auch | |
vor dem Unity Fountain herrscht auf die Frage, wann die Schülerinnen | |
tatsächlich zu ihren Familien zurückkehren können, nur Schweigen. | |
23 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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