Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gerichtsurteil in Japan: Geld für Suizid nach Fukushima
> Die Familie einer Japanerin, die sich nach der Atomkatastrophe selbst
> tötete, erfährt vor Gericht unerwartet Gerechtigkeit.
Bild: Mikio Watanabe (m.) mit einem Foto seiner Frau Hamako
TOKIO taz | Zum ersten Mal hat ein japanisches Gericht eine Selbsttötung
auf die Atomkatastrophe von Fukushima zurückgeführt. Tepco, der Betreiber
der Unglücksreaktoren, wurde daher dazu verurteilt, den Hinterbliebenen
einer Selbstmörderin eine Entschädigung von umgerechnet 358.000 Euro zu
zahlen.
Die 58 Jahre alte Hamako Watanabe hatte ihr Haus in 40 Kilometer Entfernung
von der Atomanlage Fukushima Daiichi wegen der Verstrahlung aufgegeben und
war in eine Wohnung in der Stadt Fukushima umgezogen. Außerdem verlor sie
ihre Arbeit auf einem Biobauernhof, der schließen musste. Aus Verzweiflung
über ihre ungewisse Zukunft zündete sie sich vier Monate nach den
Kernschmelzen im Juli 2011 bei einem Besuch im Garten ihres alten Hauses an
und kam dabei ums Leben.
Der Witwer Mikio Watanabe und drei Familienangehörige verklagten Tepco im
Mai 2012 auf eine Entschädigung von umgerechnet 664.000 Euro. Durch den
Verlust ihrer Arbeit, ihrer Nachbarn und ihrer gewohnten Umgebung habe sie
Gewicht verloren, an Schlaflosigkeit gelitten und sei depressiv geworden.
Tepco hatte dagegen vor Gericht damit argumentiert, die Frau sei
charakterlich schwach gewesen. Der Stromkonzern solle sich für seine
Unterstellungen schämen, kommentierte dies die liberale Zeitung Asahi.
Nach dem Urteil entschuldigte sich Tepco schriftlich „noch einmal für die
Störungen und Sorgen“ durch den Super-GAU. Aber der Stromversorger will die
Begründung des Gerichts prüfen und erst danach entscheiden, ob er in die
nächste Instanz geht.
## Große Bedeutung für künftige Entschädigungsprozesse
Juristen messen dem Urteil große Bedeutung für künftige
Entschädigungsprozesse bei. Nach einer amtlichen Statistik ist die Zahl der
Japaner, die sich infolge der Atom- und Naturkatastrophe selbst getötet
haben, stetig gestiegen: 2011 wurden 10, 13 im Jahr 2012 und im Vorjahr 23
solcher Selbstmorde registriert. Doch nur zwei betroffene Familien haben
Tepco verklagt. „Die dörfliche Gemeinschaft muss eine solche Klage
unterstützen, doch viele Japaner betrachten Selbstmord als Schande“,
erklärt der Regisseur Hiroshi Shinomiya, der einen Film über den AKW-Unfall
gemacht hat. Diese Mentalität erleichtere die Geschäfte von Tepco. In einem
einzigen Fall hatte sich der Stromkonzern außergerichtlich bereit erklärt,
die Hinterbliebenen eines 64-jährigen Selbstmörders zu entschädigen.
Auch die Rechtslage begünstigt den AKW-Betreiber. Denn die Kläger müssen
beweisen, dass der Freitod durch die Katastrophe verursacht wurde. „Der
Selbstmörder muss an Depressionen gelitten haben und deswegen in ärztlicher
Behandlung gewesen sein“, erklärt der Rechtsanwalt Yukuo Yasuda.
Er vertritt die Witwe des Milchbauern Shigekiyo Kanno. Durch die
Katastrophe verlor der damals 55-Jährige sein Einkommen und konnte Schulden
in Höhe von 150.000 Euro nicht mehr bedienen. Da sein Hof knapp außerhalb
der 30-Kilometer-Sperrzone lag, bekam er kein Geld von Tepco. Am 10. Juni
2011 erhängte er sich.
Zuvor hatte er mit Kreide an die Wand von seinem Hof geschrieben: „Warum
gibt es das Atomkraftwerk? Ich kann nicht mehr.“ Weil Kanno jedoch nicht
zum Arzt gegangen war, verweigert Tepco seiner Frau und den drei Kindern
bis heute eine Entschädigung. Nun hat ihre Klage wohl höhere Erfolgschance
als bisher.
27 Aug 2014
## AUTOREN
Martin Fritz
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
Fukushima
Japan
AKW
Tepco
Kernenergie
Fukushima
Japan
Naturkatastrophe
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
Radioaktivität
Schwerpunkt Atomkraft
Atom
Fukushima
Schwerpunkt Atomkraft
Fukushima
## ARTIKEL ZUM THEMA
Atomruine in Fukushima: Tepco bereitet Reaktorabriss vor
Der Atombetreiber plant den Rückbau eines der defekten Reaktoren in
Fukushima. Probleme machen auch die Massen an radioaktiv verseuchtem
Wasser.
Massive Kritik an japanischer Zeitung: „Terrorismus gegen die freie Rede“
Als einzige große Zeitung kritisiert „Asahi Shimbun“ den Pro-Atomkraft-Kurs
der Regierung. Nun machen Nationalisten gegen das Blatt mobil.
Studie zu Naturkatastrophen: Verheerender als Bomben
2013 mussten weltweit mehr Menschen vor Stürmen, Erdbeben und anderen
extremen Wetterereignissen fliehen als vor kriegerischen Konflikten.
Japans Rückkehr zum Atomstrom: AKWs sind sicher
Ein großer Teil der Bevölkerung ist dagegen. Trotzdem setzt Japan
dreieinhalb Jahre nach Fukushima wieder auf Kernenergie.
Alte Atommeiler: Japan will ein bisschen vom Netz
Erstmals will ein Betreiber aus Kostengründen einen Reaktor stilllegen. Die
Regierung verspricht Hilfe – und setzt auf modernere Atomkraftwerke.
Zahlung von Gefahrenzulage bleibt aus: Fukushima-Arbeiter verklagen Tepco
Sie räumen radioaktive Trümmer weg – und erhalten trotz Zusage keine
Gefahrenzulage. Vier Arbeiter fordern nun 65 Millionen Yen von Tepco und
mehreren Subunternehmen.
Folgen des Referendums in Schottland: Nachhaltiger Klima-Kilt
Schottlands Energiepolitik steht im Kontrast zu Englands Plänen für einen
Ausbau der Kernkraft. Im Norden Britanniens setzt man auf Wind und Wellen.
Energiewende weltweit: Weniger Investitionen in Atomkraft
Weltweit wird kaum noch Geld in die Kernenergie gesteckt. Die von der
Atomlobby ersehnte Renaissance der Meiler ist reines Wunschdenken.
Studie zu Fukushima-Folgen: Atom-GAU schädigt Affenblut
Primaten aus der Unglückszone weisen schlechtere Blut- und erhöhte
Radiocäsium-Werte auf. Das macht sie offenbar anfälliger für Infektionen.
600. Mahnwache für Atomausstieg: Eine Art Familienfeier
Seit drei Jahren protestiert ein kleines Grüppchen Atomkraftgegner
regelmäßig vor dem Kanzleramt. Am Donnerstagabend fand die 600.
Anti-Atom-Mahnwache statt.
Nach Fukushima: Japan gibt grünes Licht für AKWs
Erste Meiler bestehen die nach dem Super-GAU verschärfte
Sicherheitsprüfung. Gegen das Hochfahren der 30 Jahre alten Anlagen wird
Protest laut.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.