# taz.de -- Interview mit SPD-Kandidat Raed Saleh: „Zufällig ein Migrationsh… | |
> Mit seiner Kandidatur will Saleh Benachteiligten Hoffnung machen, dass | |
> man in Berlin „seinen Weg gehen kann, egal woher man kommt und welche | |
> Religion man hat“. | |
Bild: "Ich bin vor allem ein deutscher Sozialdemokrat": Raed Saleh im taz-Inter… | |
taz: Herr Saleh, „Ich bin Migrant, und das ist gut so“, hat die taz nach | |
Ihrer Kandidatur getitelt. Ärgert es Sie, darauf beschränkt zu werden? | |
Raed Saleh: Meine Herkunft gehört zu mir. Aber natürlich zeichnen mich ganz | |
andere Dinge aus. Ich bin vor allem ein deutscher Sozialdemokrat. Wichtig | |
ist mir, dass ich in den letzten Jahren als Fraktionsvorsitzender dazu | |
beigetragen habe, dass die SPD Fehler der Vergangenheit korrigieren konnte | |
wie die Privatisierungen der 90er Jahre. Deshalb haben wir ja auch die | |
Wasserbetriebe von RWE und Veolia zurückgekauft. | |
Und doch lautete die taz-Schlagzeile nicht „Ich bin Verstaatlicher, und das | |
ist gut so“. | |
Der zentrale Punkt ist, dass ich daran gearbeitet habe, unser | |
sozialdemokratisches Profil zu stärken. Das gilt auch für die Frage der | |
Stromnetze, beim Landesmindestlohn oder beim Vergabegesetz. Als | |
Fraktionschef, das sagen die meisten, habe ich in Berlin eine gute Arbeit | |
gemacht. Und dass das Thema Migrationshintergrund auch erwähnt wird, liegt | |
auf der Hand. | |
„Auch erwähnt“ ist ganz schön untertrieben. | |
Ich sage dazu: Ich bin Berliner und habe zufällig einen | |
Migrationshintergrund. Dennoch möchte ich vielen Menschen in dieser | |
multikulturellen Stadt, in der inzwischen jedes zweite Kind, das | |
eingeschult wird, einen Migrationshintergrund hat, Mut machen und Hoffnung | |
geben. | |
Hoffnung worauf? | |
Dass man seinen Weg gehen kann, egal woher man kommt und welche Religion | |
man hat. Wenn meine Kandidatur dazu beiträgt, dann freue ich mich darüber. | |
Grundsätzlich ist mir wichtig, dass ich der Stadt ein Angebot aufgrund | |
meiner Leistungen mache. | |
Fassen Sie die doch mal zusammen. | |
Ich will, dass es in Berlin gerechter zugeht. Ich arbeite dafür, dass jeder | |
eine Chance auf einen Aufstieg durch Bildung hat. Mir ist wichtig, dass wir | |
Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit zusammen denken. Und natürlich stehe | |
ich dafür, dass wir ein Miteinander hinkriegen in einer multikulturellen | |
Gesellschaft. Ich bin im Stadtteil Heerstraße Nord in Spandau aufgewachsen, | |
ich weiß, wie es ist, wenn Menschen der Aufstieg nicht unbedingt in die | |
Wiege gelegt wird. | |
Werden Sie das auch in den Kandidatenforen hervorheben? | |
Ich werde dabei für meine Inhalte, für meine Positionen werben. Als ich | |
nach Deutschland kam im Alter von fünf Jahren, da waren meine Eltern der | |
Meinung, dass wir sofort die Koffer auspacken müssten, um uns gleich | |
heimisch zu fühlen. Ich bin ihnen sehr dankbar, dass sie schnell für uns | |
Kinder eine Perspektive gesucht haben, einen Weg über die Bildung. Meine | |
Eltern träumten immer von einem gleichberechtigten Leben, dass man sie | |
nicht wegen ihres Hintergrunds bevorzugt, aber auch nicht benachteiligt. | |
Dass Sie, anders als behauptet, kein Problem mit Grammatik haben, hat ja | |
mein Kollege Heiser kürzlich belegt. Immer wieder aber wird Ihre Aussprache | |
thematisiert, jüngst von der jedes Rassismus unverdächtigen Grünen-Ikone | |
Wolfgang Wieland. Was denken Sie darüber? | |
Wichtig ist, dass man für die Stadt, in der man lebt und die man liebt, | |
hart arbeitet, und dazu bin ich bereit. Vieles läuft ja wirtschaftlich | |
schon gut. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele Menschen an diesem | |
Wohlstand nicht teilhaben können. Die Frage lautet darum: Wem traut man zu, | |
dass er sich mit vollem Einsatz in die Probleme reinkniet? Ich will genau | |
das tun, damit diejenigen, an denen die gute Entwicklung der Stadt bisher | |
vorbeigegangen ist, wieder Hoffnung bekommen und daran glauben, dass sie | |
wieder auf die Beine kommen können. | |
Macht das der Noch-Regierende nicht? Hat der diese Hoffnung erlöschen | |
lassen? | |
Klaus Wowereit hat in den letzten 13 Jahren der Stadt einen großen Dienst | |
erwiesen. Er hat sie in einer schwierigen Situation übernommen und sie | |
saniert. Er hat aus Berlin eine Stadt mit viel Perspektive gemacht. Er hat | |
es geschafft, dass Berlin von einem miefigen, piefigen Ort zu einer | |
Weltstadt wurde. Dennoch gibt es auch negative Tendenzen. Die Schere | |
zwischen Arm und Reich geht auseinander. Ich finde, dass man den Mut haben | |
muss, es zu benennen, wenn etwas schiefläuft. | |
Dem Spiegel haben Sie jetzt gesagt, Berlin brauche keine wegschauende, | |
sondern eine hinschauende Integrationspolitik. Ihre SPD führt seit 2001 den | |
Senat, sie sind fast drei Jahre Fraktionschef – da hatten sie schon | |
durchaus Zeit dafür. | |
Wir haben ja in den letzten Jahren auch mit Heinz Buschkowsky | |
[Bezirksbürgermeister von Neukölln, d. Red.] schon vieles verändert. | |
Deshalb haben wir ja das Programm für die 218 Brennpunktschulen gestartet. | |
Wir gehen auch mit dem Thema Schulschwänzer anders um – früher war es nicht | |
so, dass Schulschwänzen bestraft wurde. Jetzt sorgen wir sogar dafür, dass | |
es für Eltern, die ihre Kinder nicht zum Sprachtest bringen, Sanktionen | |
gibt. Wir müssen für ein Gelingen der Integration Hilfen geben. Aber es | |
muss auch klare Regeln geben im Sinne eine friedlichen Miteinanders. | |
Schulschwänzer bestrafen, mehr Respekt für Polizisten einfordern – all das | |
nennen Sie linke Politik. Da gibt es aber Linke, die das eher für stramm | |
rechts halten. | |
Für mich ist das linke sozialdemokratische Politik. Was ist es anderes als | |
linke Politik, wenn man sagt, dass die Kinder in die Schule gehören und | |
nicht auf die Straße? | |
Kreuzbergs grüne Bürgermeisterin Monika Herrmann könnte jetzt sagen: Da | |
muss man länger reden und öfter und einen Sozial- oder Familienarbeiter | |
vorbeischicken, aber nicht den Leuten von ihrem wenigen Geld noch was | |
wegnehmen. | |
Was machen Sie denn mit denen, die Sie nicht erreichen? Ich will kein Kind | |
zurücklassen oder aufgeben.Wir wissen doch genau, wie wichtig es für den | |
gesamten Lebensweg ist, dass ein Kind regelmäßig in die Schule geht. Darum | |
sage ich: Verwechseln wir nicht Toleranz mit Gleichgültigkeit. Wenn jemand | |
wegschaut, dann hilft er nicht. Darum können wir es zum Beispiel auch nicht | |
dulden, wenn auf unserer Straßen antisemitische Parolen gerufen werden. | |
Eine erste Umfrage sah Sie klar hinter Jan Stöß, und nachdem nun auch | |
Michael Müller kandidiert, gelten sie in Analysen als der Außenseiter. | |
Ich kenne das nicht anders. Mein ganzes Leben lang musste ich hart arbeiten | |
und mir den Weg von unten nach oben erkämpfen. Als ich | |
Fraktionsvorsitzender werden wollte, waren die ersten Prognosen ähnlich. | |
Haben Sie sich verzockt, als Sie beim SPD-Parteitag im Mai doch nicht gegen | |
Stöß angetreten sind, um auch Landesvorsitzender zu werden? Mit beiden | |
Ämtern in einer Person vereint wäre doch kaum einer, auch Müller nicht, an | |
Ihnen vorbeigekommen. | |
Mir ist die Einheit der Partei wichtig, und ich habe gesagt, dass man dafür | |
auch eigene Wünsche hintanstellen muss. Und das habe ich im Mai getan. | |
Was können Sie denn besser als die Herren Stöß und Müller? | |
Ich werbe dafür, dass wir den Weg der letzten Jahre konsequent fortsetzen. | |
Ich habe als Fraktionsvorsitzender gesagt, wir müssen Fehler korrigieren. | |
Das haben wir bei der Liegenschaftspolitik gemacht und eben bei der | |
Rekommunalisierung … | |
… bei der die Linkspartei sagt: Das hat die SPD von uns abgekupfert. | |
Die Linkspartei hatte nicht die Kraft, es umzusetzen – wir haben es in der | |
Großen Koalition getan. Es ist wichtig, die Bilanz zu betrachten, und die | |
Bilanz der Fraktion kann sich sehen lassen. | |
Was ist denn Ihr Bild von einem Regierenden Bürgermeister? In erster Linie | |
dafür zu sorgen, dass der Alltag funktioniert mit Wohnen, Verkehr, Job und | |
Sicherheit? Oder der Mann für die großen Visionen zu sein? | |
In den Feldern, die Sie nennen, haben wir eine gute Entwicklung. Das ist | |
das Ergebnis von harter Arbeit und politischem Handwerk. Die Berliner | |
erwarten zu Recht von einer Regierung, dass sie die Dinge im Alltag gut | |
organisiert. Aber wir brauchen auch gemeinsam eine Vision und ein Projekt. | |
Ich will, dass unsere Vision für die Stadt folgende Fragen beantwortet: Wie | |
schaffen wir ein neues Miteinander? Wie machen wir Berlin zur Stadt des | |
Aufstiegs? Wie kriegen wir Berlin wirtschaftlich gut aufgestellt? | |
Klaus Wowereit ist letztlich über die Pannen beim BER gestolpert. Was | |
würden Sie denn anders machen? | |
Am Flughafen trägt nicht Klaus Wowereit allein die Verantwortung. Zu oft | |
wird vergessen, dass auch Brandenburg und der Bund daran Anteil haben. Und | |
dass mit Bosch und Siemens zwei der renommiertesten Firmen Deutschlands | |
dabei waren. | |
Die Menschen in Berlin sehen das aber anders. Für die ist Wowereit der | |
Schuldige – sonst wäre er, über Jahre unbestritten beliebtester Politiker | |
im Land, nicht gerade seit dem Moment im Sinkflug, als die Pannen offenbar | |
wurden. | |
Trotzdem muss das ja nicht richtig sein. | |
2011 waren Sie dagegen, konnten aber nicht verhindern, dass Wowereit mit | |
der CDU koalierte. Gibt es mit Ihnen als Regierungschef 2016 Rot-Grün, | |
oder, wenn das allein nicht reicht, Rot-Rot-Grün? | |
Ich arbeite mit der CDU gut und verlässlich zusammen. Die Koalition hat | |
viele gute Projekte auf den Weg gebracht, sie geht bis September 2016, und | |
alles andere diskutieren wir nach der nächsten Wahl. | |
10 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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