# taz.de -- Wowereit Nachfolge: „Ich bin freier geworden“ | |
> Stadtentwicklungssenator Michael Müller ist der älteste der drei | |
> SPD-Kandidaten: Er will mit seiner Erfahrung punkten – auch der aus | |
> seiner Abwahl als Parteichef. | |
Bild: Ist entspannt wie lange nicht mehr: Michael Müller | |
taz: Herr Müller, vor zwei Jahren hat die SPD Sie entmachtet: Sie wurden | |
als Parteichef abgewählt. Jetzt gelten Sie für nicht wenige als Favorit für | |
die Nachfolge von Klaus Wowereit. Empfinden Sie Genugtuung? | |
Michael Müller: Wieso Genugtuung? Das würde ja bedeuten, dass ich da | |
irgendetwas aufzuarbeiten habe. Das ist nicht der Fall. Ich habe für den | |
Parteivorsitz gekämpft – es ist anders entschieden worden. Das ist | |
abgeschlossen. Jetzt schaue ich nach vorne, und da kann ich viel Gutes | |
einbringen. | |
Sie zürnen der Partei nicht mehr? | |
Der Partei sowieso nicht. Es ist legitim, dass man nach Jahren zu einer | |
anderen Personalentscheidung kommt. So was ist natürlich nie schön. Aber | |
jetzt ist es abgehakt. Es gibt von meiner Seite keine offenen Rechnungen. | |
Auch nicht gegenüber Jan Stöß, Ihrem Nachfolger als Parteichef? | |
Wir haben zu dritt – Stöß, Raed Saleh als Fraktionsvorsitzender und ich – | |
in den letzten zwei Jahren gut zusammengearbeitet. | |
Ist Ihre Kandidatur eine unerwartete Chance, doch noch richtig Karriere zu | |
machen? | |
Ich staune über solche Formulierungen, auch wenn ich von einem Comeback | |
lese – ich war nie weg. Ich bin ununterbrochen seit 18 Jahren Abgeordneter. | |
Ich bin Senator mit dem mit Abstand größten Aufgabenspektrum, und ich bin | |
Stellvertreter des Regierenden Bürgermeisters. | |
Darum galten Sie ja auch lange als Kronprinz. Wenn Klaus Wowereit überhaupt | |
irgendeinen Nachfolger aufgebaut hatte, dann waren Sie das. | |
Ja, aber anscheinend hatte sich hier die Wahrnehmung verändert, seit ich | |
nicht mehr Landesvorsitzender war. Gerade aus meiner Arbeit der letzten | |
zwei Jahre heraus als Stadtentwicklungssenator ist es doch nachvollziehbar, | |
dass ich kandidiere. | |
Es ist doch skurril, dass Sie gerade seit dem Moment, in dem die nominelle | |
Rolle als Kronprinz weg war, ein anderer zu sein scheinen als der Michael | |
Müller, der viele Male als „blass“ oder „langweilig“ beschrieben wurde… | |
mit viel mehr eigenem Profil und stärkerem Auftreten. | |
Ich bin freier geworden. Ich bin mit mir im Reinen, sowohl mit meiner Rolle | |
als Senator und Bürgermeister als auch mit der als Kandidat. Insofern haben | |
eben auch Niederlagen ihr Gutes: Man überprüft sich selbst, man überlegt, | |
wo man steht und wie man mit der Situation umgeht. Es ist so, dass ich | |
niemandem mehr etwas beweisen und das nächste Amt wegen einer | |
Karriereplanung anstreben muss. Ich bin frei in meiner Entscheidung und | |
kann bewerten, was ich für die Berliner SPD einbringen kann: eine ganze | |
Menge an inhaltlichen Punkten und auch an Regierungserfahrung. Vergessen | |
wir nicht: Schon 2016 wollen wir eine Abgeordnetenhauswahl gewinnen. | |
Eine Rückkehr zum Parteivorsitz schließen Sie aus? | |
Das ist gar kein Thema: Wir haben einen gerade im Amt bestätigten | |
Vorsitzenden … | |
… aber nur mit 68 Prozent! | |
Ich kandidiere für das Amt des Regierenden Bürgermeisters, für nichts | |
anderes. | |
Herr Stöß hat der taz vor einer Woche gesagt, er stehe für Neuanfang und | |
frischen Wind. Sie hingegen stünden für ein „Weiter wie bisher“, für eine | |
Fortsetzung der Wowereit-Politik. | |
Die letzten 13 Jahre waren erfolgreich für die Berliner SPD und die Stadt. | |
Wir haben die Partei zur führenden Regierungspartei gemacht. Das war sie | |
vorher nicht, sie war Juniorpartner und in dieser Koalition gefangen. Wir | |
haben viel getan für das Zusammenwachsen der Stadt, die Arbeitslosigkeit | |
halbiert, sind das Bundesland mit dem stärksten Wirtschaftswachstum. Dafür | |
muss man sich nicht verstecken. Daran habe ich meinen Anteil. Diese | |
Erfahrung bringe ich ein. | |
Mit welchem Ziel? | |
Ich will, dass die Stadt gut regiert wird, dass wir in einer solidarischen | |
Stadt leben, einem Zuhause für alle. Dafür müssen wir uns mit den vielen | |
Problemen, die es in Berlin trotz der positiven Entwicklung noch gibt, | |
ernsthaft, sachlich und im Dialog mit den Menschen auseinandersetzen. Das | |
ist mein Ansatz. Und wer den Neuanfang verspricht, der muss erklären, womit | |
der verbunden sein soll. Im Übrigen: Wollen die Berliner wirklich ein | |
ständiges Umkrempeln der Stadt? | |
In Umfragen ist die SPD keineswegs mehr die führende Partei. Nur 21 Prozent | |
waren es vor Kurzem, weit hinter der CDU. Steht die SPD an einem Punkt, | |
gerade nach dem verlorenen Tempelhof-Volksentscheid, an dem sie die Lehren | |
aus den Wowereit-Jahren ziehen muss? | |
Richtig ist, wir müssen verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, wenn wir die | |
führende Regierungspartei bleiben wollen. Und natürlich gilt: Positiv wie | |
negativ ist das Erscheinungsbild der Berliner SPD ein Gesamtkunstwerk, an | |
dem alle ihren Anteil haben: natürlich Klaus Wowereit, natürlich die | |
Senatoren und die Fraktion, aber auch der Landesvorsitzende. Das betrifft | |
übrigens auch die Tempelhof-Entscheidung, wo Fraktion und Partei | |
geschlossen zu einer Randbebauung standen. | |
Eine weitere Niederlage der SPD – die sich doch als Partei der sozialen | |
Gerechtigkeit sieht – ist es, in der Regierung nicht verhindert zu haben, | |
dass der Wohnungsmarkt extrem eng geworden ist, für viele zu eng. Als das | |
seinen Anfang nahm, waren Sie Landesvorsitzender. | |
Und genau der hat 2009 und 2010 die Themen Wohnungspolitik und | |
Rekommunalisierung in verschiedenen Parteiformaten auf den Weg gebracht. | |
Ihr Vorgängerin an der Spitze der Stadtentwicklungsverwaltung, Ingeborg | |
Junge-Reyer, hat stets gesagt: Wir haben 100.000 leere Wohnungen, das | |
reicht. | |
Die waren ja auch lange da. Doch es stimmt: Das konkrete Umschalten hat zu | |
lange gedauert, als sich dann Veränderungen abzeichneten. | |
Sie hätten als Vorsitzender von Partei und Fraktion etwas tun können. | |
Mit den entsprechenden Partei- und Fraktionsbeschlüssen habe ich genau das | |
ja eingefordert. Und als ich selbst in der Lage war, als | |
Stadtentwicklungssenator handeln zu können, habe ich das am ersten Tag | |
getan: Ich habe in und mit der Verwaltung umgesteuert, ob Mieterschutz, | |
Wohnungsneubau oder soziale Bündnisse mit den städtischen Gesellschaften. | |
Bezahlbarer Wohnraum ist knapp, und es war und ist die erste Aufgabe, sich | |
diesem Problem zu widmen. Das würde ich selbstverständlich auch als | |
Regierender Bürgermeister tun. | |
Klaus Wowereit hat jüngst, genau wie Sie jetzt, Erfahrung als wichtige | |
Kompetenz für seinen Nachfolger genannt. Weiter ist er nicht gegangen. | |
Würde es Ihnen helfen oder schaden, wenn er Sie offen unterstützte? | |
Weder – noch, weil es ja nun kein Geheimnis ist, dass wir seit 30 Jahren | |
zusammenarbeiten und befreundet sind. Alle wissen, dass es da ein | |
besonderes Vertrauensverhältnis gibt. | |
Kommen wir mal auf den Glamour-Faktor zu sprechen … | |
… ich habe ja gehört, den gibt es bei mir nicht?! (lacht) | |
Wowereit verkörpert diesen Glamour auf eine extreme Weise, gepaart mit | |
einer Entwicklung Berlins, die zu diesem Glamour passt. Ist es eine Bürde, | |
da anknüpfen zu müssen? | |
Nein, überhaupt nicht. Das meinte ich vorhin auch, als ich sagte, ich bin | |
ganz frei in meiner Kandidatur. So ein Regierender, der weltweit über den | |
roten Teppich gelaufen ist, mit vielen Prominenten befreundet ist – wie | |
findet man nach so einem Vorgänger eine eigene Rolle? Wenn man auch nur | |
ansatzweise probieren würde, das zu kopieren, würde es nur peinlich werden. | |
Was wollen Sie dann? | |
Ich bin ein anderer Typ. Und vielleicht ist dieses Sachlichere auch etwas, | |
was viele ganz gut finden in der jetzigen Phase Berlins. Wie die Stadt in | |
den letzten Jahren positioniert wurde, als die aufstrebende Metropole, war | |
toll. Aber hier gibt es auch Dinge über Jahre sachlich abzuarbeiten, und | |
dafür brauchen wir einen neuen Politikstil der Ernsthaftigkeit und | |
Bürgernähe. Das kann ich überzeugend einbringen. | |
Ist also gerade nicht die Zeit für Visionen? | |
Das eine schließt das andere doch nicht aus. Visionen … | |
… im Gegensatz zu „abarbeiten“, von dem Sie sprechen … | |
… habe ich gut formuliert in unserem Stadtentwicklungskonzept 2030. Da | |
haben wir über die letzten anderthalb Jahre einen stadtöffentlichen Dialog | |
über ein Leitbild geführt – eine Vision einer intelligenten Stadt, in der | |
die Menschen gern und gut leben. Das haben wir an Quartieren aufgezeigt: So | |
wollen wir in Tegel urbane Industrien ansiedeln, die helfen, Leben und | |
Arbeiten besser zu machen. Aber die Ärmel hochzukrempeln und sich um | |
Tagespolitisches zu kümmern ist genauso wichtig. | |
Sie haben eine ähnliche Biografie wie Raed Saleh: ein Drucker, der sich | |
nach oben gearbeitet hat. | |
Sozusagen klassisch sozialdemokratische Biografien. Ich habe die Erfahrung, | |
über 15 Jahre als kleiner Selbstständiger in einer Druckerei gearbeitet zu | |
haben. Ich weiß, was es heißt, einen Lohn zu erwirtschaften; ich weiß auch, | |
was es heißt, wenn es mal nicht klappt. Es ist gut, wenn man die Dinge, | |
über die man redet, selbst mal erfahren hat. | |
Es kann ja von Ihnen dreien nur einen geben … | |
… aha, das Highlander-Motto. | |
… und daraus ergibt sich die Frage: Wie steckt die Partei diese | |
Auseinandersetzung weg? | |
Was heißt, wie steckt die das weg? Die Partei wünscht doch mehr Mitsprache. | |
Nicht 200 Delegierte, sondern 17.000 Mitglieder stimmen ab – das ist ein | |
Stück jener Demokratisierung, die eingefordert wird. Und was uns drei | |
angeht: Wir haben in den letzten zwei Jahren vernünftig zusammengearbeitet, | |
und so wird das auch in Zukunft sein. Wir werden in der Auseinandersetzung | |
fair miteinander umgehen. | |
Das klingt ja sehr hübsch, aber seit Beginn des BER-Debakels gibt es in der | |
SPD den Ruf nach einem Generationenwechsel. | |
Hallo, ich bin 49, da gehöre ich ja wohl nicht zum alten Eisen. Und den | |
personellen Neuanfang hat es ja durchaus gegeben. Raed Saleh ist seit fast | |
drei Jahren Fraktionsvorsitzender, Jan Stöß seit zwei Jahren Landeschef. | |
Gleichzeitig nehme ich natürlich wahr, dass sehr viele Mitglieder froh über | |
meine Kandidatur sind. | |
Übernehmen Sie als Regierender Bürgermeister den Aufsichtsratsposten beim | |
BER? | |
Ich finde es zwingend, Verantwortung im Aufsichtsrat zu übernehmen. Man | |
kann doch nicht sagen, ich möchte Verantwortung für 3,5 Millionen Berliner | |
tragen, aber diese Aufgabe ist mir zu schwer. Der Regierende Bürgermeister, | |
wie immer er heißt, hat eine Verantwortung im Aufsichtsrat zu übernehmen. | |
Ich würde sie übernehmen. | |
18 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Bert Schulz | |
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