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# taz.de -- Kandidaten-Check: „Verschratung in der SPD"
> Gespräch mit Wolfgang Wieland (Grüne) über die politische Lage in Berlin
> nach der Rücktrittserklärung des Regiererenden Wowereit.
Bild: Jan Stöß, Raed Saleh, Michael Müller (v.l.) Hauptmanko: Wowereit-Höri…
taz: Herr Wieland, nach SPD-Fraktionschef Raed Saleh und Parteichef Jan
Stöß hat nun Stadtentwicklungssenator Michael Müller seinen Hut für die
Wowereit-Nachfolge in den Ring geworfen. Hat Sie das überrascht?
Wolfgang Wieland: Das hatte sich angedeutet. Für Müller ist es ja auch die
letzte Chance, wenn er noch eine größere Rolle in der Berliner Politik
spielen will.
Machen wir einen Kandidaten-check. Was sagen Sie zu Saleh?
Das wäre eine hollywoodreife Karriere: vom Flüchtlingslager über die
Frittenbude auf den Stuhl des Regierenden Bürgermeisters. Die Frage ist, ob
die Bevölkerung einen Bürgermeister akzeptiert, dessen Aussprache bisweilen
etwas eigenartig ist. Das Gegenargument wäre Schwarzenegger. Er hat es mit
seinem deutschen Akzent auch zum Gouverneur von Kalifornien gebracht.
Wie sehen Sie Stöß?
Diesen Typus hatten hatten wir im Wesentlichen schon: Jurist, offen schwul,
aber ohne Hüftschwung wie Wowereit und deutlich weniger farbig.
Und Müller?
Wowereits Schildknappe. Ein braver, grundsolider Arbeiter. Müller hat uns
Grüne jedes Mal an Wowereits Seite abserviert.
Das tragen Sie ihm nach?
Ja. Wir Berliner Grüne haben in 30 Jahren parlamentarischer Existenz
lediglich zweieinhalb Jahre Regierungstätigkeit vorzuweisen. Wowereit hat
dreimal Koalitionsverhandlungen mit uns platzen lassen, größtenteils unter
Vorwänden. Wir weinen ihm keine Träne nach und werfen seinen potenziellen
Nachfolgern auch vor, dass ihr Hauptmanko ihre Wowereit-Hörigkeit ist.
Was für politische Unterschiede sehen Sie bei Saleh, Stöß und Müller?
Das Problem bei den Kandidaten der SPD war schon immer, dass sie sich nicht
hart gegeneinander abgrenzen. Man kann sich doch nicht nach dem Motto der
SPD – „Wir schreiten Seit an Seit“ – hinstellen und sagen: Nun guckt ma…
wer der Schönste von uns dreien ist.
Welchem Kandidaten trauen Sie am ehesten ein rot-grünes Regierungsbündnis
zu?
Da sehe ich keinen Unterschied. Wenn die Wahlergebnisse entsprechend sind,
werden alle drei bereit sein, ein rot-grünes Bündnis einzugehen. So ist es
inzwischen ja in vielen Bundesländern. Diese Wowereit’sche Urangst vor den
Grünen war ja schon fast pathologisch.
Wie fanden Sie Wowereits Abschiedsvorstellung letzten Dienstag im Roten
Rathaus?
Das war mal wieder richtiges Wowereit-Theater. Sonnyboymäßig. Die
Hauptbotschaft: Mir geht’s gut. Und mit dem Flughafen, das war nun leider
ein Malheur. Dass der Rücktritt zwei Jahre zu spät kommt, kann er nicht
wiedergutmachen. Und dass er nicht sofort geht, sondern sich noch eine
Frist bis Dezember nimmt, ist auch wieder so eine Wowereit-Frechheit. Dass
sich ein SPD-Landesvorstand das gefallen lässt und nicht sagt: Mein Lieber,
du gehst sofort, wir klären die Nachfolgefrage innerhalb weniger Tage – das
zeigt, wie weit der Verschratungsprozess in der SPD in 15 Jahren Wowereit
fortgeschritten ist.
Die Genossen können sich offenbar nicht so schnell auf einen Kandidaten
verständigen.
Meine Güte! 2001 haben sich Wowereit und Strieder auch geeinigt, wer als
Regierender Bürgermeister antritt. Es wird Wowereits Verdienst bleiben,
dass er den Sprung gewagt hat und zusammen mit uns Grünen und der PDS
Eberhard Diepgen und den in die Bankenaffäre verstrickten CDU-Senat
gestürzt hat. Dazu waren Momper, Böger und wie sie alle heißen nicht in der
Lage.
Wowereit war damals SPD-Fraktionsvorsitzender, und Peter Strieder war
Parteichef und Stadtentwicklungssenator.
Die haben sich geeinigt. Woanders geht das auch. Immer wenn die SPD eine
Troika bildet – in diesem Fall ist es ja ein Trio –, muss man Hilfe rufen.
Sie spielen auf die Bundespolitik an.
Man weiß, wie das bei Scharping, Schröder, Lafontaine ausgegangen ist.
Immer wenn die SPD eine Mitgliederbefragung macht, ist der Gewinner der
Verlierer der nächsten Wahl. Scharping wurde bei der Mitgliederbefragung
Spitzenkandidat. Bei der Bundestagswahl hatte er gegen Kohl keine Chance.
Auch in Berlin war das so. Wer auch immer aus den Mitgliederbefragungen als
Gewinner hervorging – Ingrid Stahmer, Klaus Böger oder Walter Momper –, war
bei den Wahlen der Verlierer gegen Eberhard Diepgen.
Was wäre die sauberste Lösung?
Es gibt jetzt keine gute Lösung mehr. Es treten drei an, die es nicht
geschafft haben, aus dem Schatten Wowereits herauszukommen. Die es nicht
geschafft haben, ihn beizeiten zum Rücktritt zu drängen. Und er selbst
macht sich darüber lustig, dass sie es nicht geschafft haben.
Grüne und Linke fordern Neuwahlen.
Das tue ich auch. Aber wir können sie nicht erzwingen, weil die CDU nicht
mitmacht. Das wäre ja mal ein Bild: Grüne, Linkspartei, Piraten und
Innensenator Henkel katapultieren die SPD aus dem Senat. Aber Franki
springt nicht. Das ist völlig illusorisch.
Die Grünen sind mit Renate Künast bei den Wahlen 2011 ziemlich auf die
Schnauze gefallen. Gibt es in der Partei eine Person, die im Wahlkampf
punkten könnte?
Mein Job ist es nicht, wie bei einer Casting-Show den Dieter Bohlen zu
spielen.
Sind Sie zufrieden mit der Performance der Berliner Grünen?
Ich war völlig unzufrieden mit dem letzten Wahlkampf. Das war eine
Katastrophe. Für den nächsten Wahlkampf wird man daraus lernen. Man wird
aufs Team und auf Themen setzen und nicht mehr mit einer Person allein
agieren, auch wenn man eine Spitzenkandidatin aussucht.
Was sagen Sie zum Zustand der CDU?
Justizsenator Heilmann geht in den Machtkampf gegen Finanzsenator Nußbaum,
wird von Wowereit wie ein Schuljunge vorgeführt und geschurigelt.
Wirtschaftssenatorin Yzer vergrault einen Manager nach dem anderen.
Innensenator Henkel nimmt Anlauf, den Oranienplatz zu räumen, und verkuscht
sich dann wie ein Mäuschen ins Loch.
Zum Glück hat sich Henkel im Senat nicht durchgesetzt.
Natürlich. Ich finde die verkündeten Pläne der CDU wahrhaft nicht gut. Aber
die Senatoren setzen sie alle nicht um. Sie kommen jedes Mal geschrumpft
aus den Senatssitzungen raus. Mit so einem Personal kann eine Partei doch
nicht den Führungsanspruch in Berlin erheben.
Der Zuchtmeister Wowereit geht ja nun. Wagen Sie mal eine Prognose: Wer von
den drei SPDlern wird’s?
Mein Bauchgefühl sagt mir Michael Müller. Weil man bei Müller weiß, der
kann’s. Er bekommt eine Senatsverwaltung in den Griff und wird auch eine
Senatskanzlei in den Griff kriegen. Seine Strahlkraft ist deutlich
verbesserungsbedürftig, das weiß er aber selbst.
Sie haben Wowereit 2001 in den Sattel des Bürgermeisters geholfen. Auch er
soll anfangs blass gewesen sein. Stimmt das?
Er brauchte keine lange Anlaufphase, als er im Juni 2001 mit dem
Misstrauensvotum ins Amt gekommen ist. Die Neuwahlen waren schon im
Oktober. Er musste sich nicht lange reinfummeln. Nein. Er war von der
ersten Minute an der Regierende Partymeister. Er ist von der ersten Minute
an auf der Welle gesurft, die er ja nicht ausgelöst hat: Berlin jung.
Berlin hipp. Berlin kreativ. Auf der Welle ist er so lange geritten, bis
hier irgendwann die Infrastruktur zusammenbrach und die Bürger gemerkt
haben: Ungewöhnlich viel funktioniert in dieser Stadt nicht.
Was meinen Sie?
S-Bahn-Krise, Holyday on Ice. Das hätte ihm ja schon damals fast das Genick
gebrochen, dass die Eisbeseitigung nicht klappte und die Bahn nicht mehr
fuhr. Wir Grünen haben ihm im Grunde genommen mit Renate Künast und einem
miserablen Wahlkampf noch ein paar weitere Jahre geschenkt.
1 Sep 2014
## AUTOREN
Plutonia Plarre
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SPD Berlin
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Raed Saleh
Klaus Wowereit
Interview
Klaus Wowereit
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