| # taz.de -- Debatte Unsoziale Sozialdemokraten: Wowereit zum Beispiel | |
| > Berlins Noch-Bürgermeister war zuletzt wegen der offenen Baustellen | |
| > unbeliebt. Statt diese zu klären, dankt er ab. Um Gerechtigkeit geht es | |
| > ihm nicht. | |
| Bild: Auf der IFA: Klaus Wowereit. | |
| Wenn einer seinen Rücktritt einreicht, wird die Kritik milde. Da hängt den | |
| Statements dann doch eine Melancholie an, als handele es sich um | |
| Würdigungen wie bei einem Nachruf. Nicht so bei Klaus Wowereit. Der hat | |
| angekündigt, dass er ab dem 11. Dezember dieses Jahres kein Bürgermeister | |
| von Berlin mehr sein möchte, aber die Reaktionen sind lasch: Ja nun denn. | |
| Dann eben. So, so. Bindewörter als Kommentare, Bindewörter, die nichts | |
| verbinden. | |
| Erstaunlich ist es schon, selbst die Berliner Zeitungen, die ihm lange | |
| wohlwollend begegneten, loben nun komische Sachen. Sie erwähnen Wowereits | |
| Wurschtigkeit positiv – auch seine Arroganz wird nun geadelt. Wer Wowereit | |
| mit Fragen und mit politischen Positionen in die Quere kam, dem fuhr er, | |
| wird gesagt, schlagfertig über den Mund. Dass er Urberliner ist, wird zudem | |
| auf der Habenseite verbucht. Weil er aus der Stadt ist, habe er die Stadt | |
| verstanden. Seine Eloquenz wird positiv erwähnt und dass er sowohl auf | |
| roten Teppichen als auch im Schrebergarten den richtigen Ton finde. Du | |
| halt. | |
| Keine Publikation vergisst, ihm jetzt schon Dinge nachzusagen, die in die | |
| Annalen eingehen werden. Welche? Banale. Dass er mit Desiree Nick knutschte | |
| und Sekt aus roten Stöckelschuhen trank. Erinnert wird auch an ein paar | |
| Sprüche von ihm. Dass er schwul ist, „und das ist auch gut so“. Dass in | |
| Berlin gespart werden muss, „bis es quietscht“. Dass Berlin „arm, aber | |
| sexy“ sei. Und dass Berlin jetzt „the place to be“ ist. Für wen? Selbst | |
| Wowereit mag irgendwann gedämmert sein, dass es nicht viel ist, wenn nur | |
| Halbsätze bleiben. | |
| Wowereit hat Homosexualität im Politikbetrieb enttabuisiert. Auf den | |
| letzten Drücker machte er es, die Springerpresse wollte ihn outen. Aber | |
| wenn die Kommentatoren aufzählen, was Wowereit noch geleistet hat, fallen | |
| ihnen vor allem Baustellen ein. Unfertige wie der Flughafen BER. Und drei | |
| Kilometer mehr Innenstadtautobahn, fertig, auf der Berliner Wettrennen | |
| fahren können. Zudem machen sie den Noch-Bürgermeister zum Drechsler eines | |
| neuen Berlinbildes, das international so leuchte, dass alle Welt | |
| hierherkommen wolle. Um was zu tun? Sich Wohnungen zu kaufen und zu saufen. | |
| Berlin – das Mallorca der Urbanisten. | |
| ## Blumen, Sekt und Lobesworte | |
| Vergessen ist, dass Wowereit zuletzt mit seinem wurschtigen Pragmatismus | |
| bei den Berlinern nicht mehr punkten konnte. Das Desaster um den Flughafen | |
| BER, das er maßgeblich zu verantworten hat als Aufsichtsratschef, ging | |
| zulasten seiner Popularität. Seit zwei Jahren halten Politiker und Manager | |
| die BerlinerInnen hin, sagen ihnen nicht, was Sache ist, nennen keine | |
| Eröffnungstermine, verlangen immer mehr Geld. Jetzt tritt Wowereit ab. Am | |
| 11. Dezember ist Schluss. Am 12. Dezember trifft sich der BER-Aufsichtsrat, | |
| um was zu verkünden? Einen Eröffnungstermin wie von Mehdorn versprochen? | |
| Oder das Eingeständnis des Scheiterns? | |
| Was für ein Timing für den Rücktritt: am 11. Dezember Blumen, Sekt und | |
| Lobesworte für Wowereit, am 12. die Wahrheit für die BerlinerInnen. Als | |
| gehe es Wowereit nicht um Verantwortung und das Wohl der BürgerInnen seiner | |
| Stadt, sondern nur um sich selbst. Ein Problem? Kaum. Es sei denn, dem | |
| politischen Handeln eines Sozialdemokraten werden soziale Utopien | |
| unterstellt. Wowereit allerdings hat immer offengelassen, wofür er steht | |
| und welche ideologische Rückkopplung ihm wichtig ist. Party halt. | |
| „Partybürgermeister“ sein Spitzname. | |
| Die Süddeutsche Zeitung schreibt, und das ist noch das größte Lob, was dem | |
| Regierenden nachgesagt wird, er habe eine hochverschuldete, vom | |
| Bankenskandal und Subventionsdenken zerrüttete Stadt zu einer hippen, | |
| weniger verschuldeten Stadt gemacht durch radikales Sparen. An der | |
| Einschätzung ist fast alles falsch bis aufs radikale Sparen. Das ging | |
| zulasten der Berliner Daseinsfürsorge und des sozialen Miteinanders. | |
| Aber was soll’s, niemand ist gezwungen zu erwähnen, dass andere den Preis | |
| zahlen. Die Jugendförderung etwa wurde kaputtgespart. Und es gibt auch kaum | |
| eine Kommune, in der die Schulen so heruntergewirtschaftet sind wie in | |
| Berlin, der Hauptstadt der ausgefallenen Stunden. Am Bankenskandal war die | |
| SPD übrigens mit beteiligt. Das hat Wowereit in seiner Amtszeit gekonnt | |
| unter den Teppich gekehrt. | |
| ## Hohe Mieten für die Metropole | |
| Dazu noch die hohen Mieten, die die Metropolenhaftigkeit Berlins erst | |
| beweisen sollen. Obwohl die Kaufkraft der Berliner (18.757 Euro pro | |
| Einwohner im Jahr 2013) mehr als ein Drittel unter der von München (28.247 | |
| Euro) liegt, sind die Mieten so hoch, dass sie sowohl in München als auch | |
| in Berlin etwa 27 Prozent des Einkommens schlucken. Im Klartext heißt das: | |
| Zum Leben haben die Münchner trotzdem etwa 6.000 Euro mehr im Jahr. | |
| Wowereit, dieser Urberliner, bringt eine Politik auf den Weg, die dafür | |
| sorgt, dass die Berliner, die Berlin arm, aber sexy machen, an die | |
| Stadtränder verdrängt werden. Auch das kein Problem. Ist halt so. | |
| Es ist ein Dilemma von Sozialdemokraten seines Kalibers: Im Hintergrund | |
| steht diese zweifellos begehrenswerte Idee der sozialen Demokratie. Manche | |
| SPD-Akteure von heute jedoch meinen diese nicht mehr, wenn sie sich | |
| Sozialdemokraten nennen, sie meinen sich selbst. Ihre Parteiideologie setzt | |
| nicht bei der Gerechtigkeitsfrage für alle an, sondern es ist eine | |
| personalisierte Sicht auf die Menschen: „Jeder ist seines Glückes Schmied“. | |
| Übersetzt auf Hartz IV lautet der Spruch: „Fördern und fordern“. Wer nicht | |
| mitmacht, hat die Konsequenzen selbst zu tragen. | |
| Wowereit – aber auch anderen SPDler wie Schröder und einige seiner | |
| sozialdemokratischen Mitstreiter, die zuerst etwa Minister waren und dann | |
| Lobbyisten wurden, oder wie Sarrazin, der als Finanzsenator bei der | |
| Daseinsvorsorge sparte und die Hartz-IV-Leute verhöhnte –, ihnen kann man | |
| nicht nachsagen, dass sie ihr Glück nicht schmiedeten und sich nicht selbst | |
| zum Maßstab des politischen Handelns gemacht hätten. | |
| „Narzisstische Grandiosität“ nennt der Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth, | |
| der zu Narzissmus und Macht forschte, die Hybris, der Politiker wie | |
| Wowereit nachgeben. „Macht an sich darf man nicht verteufeln, auch | |
| Narzissmus nicht. Es gibt auch gesunden Narzissmus. In der Politik findet | |
| das übersteigerte Geltungsbedürfnis allerdings ein breites Betätigungsfeld. | |
| Hier verbinden sich der Drang zur Selbstdarstellung und der Hang zur | |
| Macht“, sagt er [1][in einem Interview in der] [2][Süddeutschen Zeitung]. | |
| Wowereit verkörpert dieses Modell perfekt. | |
| ## Wendung ohne Begründung | |
| Der Parteienforscher Franz Walter sagt den SPD-Epigonen von Schröder, | |
| seinen Nachfolgern also, in einem Interview in der Zeit nach, diese sagten: | |
| „Prinzipien engen uns bloß ein, Programme werden überschätzt.“ Dadurch, | |
| meint Walter, fehle ihnen jegliches inhaltliches Gerüst. Jede politische | |
| Wendung sei nun möglich ohne tiefere Begründung. So verliere man die | |
| Loyalität der Anhänger. | |
| Wowereit hat die Loyalität der Berliner verloren. Zuletzt war er in | |
| Umfragen einer der unbeliebtesten Politiker der Stadt. Ihm wurde das | |
| Desaster am Flughafen BER angelastet. Das hat sein Ego nicht verkraftet. Es | |
| wäre so viel Häme über ihn geschüttet worden, sagt er. Der BER sei eine | |
| Niederlage, sagt er. 2013 hatte Wowereit in Interviews noch verlauten | |
| lassen, er werde den Flughafen eröffnen – als Regierender Bürgermeister. | |
| Dass daraus nichts wird, war zuletzt absehbar. | |
| Wowereit musste fürchten, deshalb noch mehr Spott ausgesetzt zu sein, | |
| sobald es amtlich ist, dass die Eröffnung vor der nächsten Berlinwahl 2016 | |
| nichts wird. Zu viel für einen Narzissten. In einem Moment, wo ein | |
| Politiker, der dieses Desaster politisch zu verantworten hat, alles dafür | |
| tun müsste, damit dieser Flughafen endlich läuft, auch wenn er dann nicht | |
| mehr Bürgermeister sein sollte, wirft er hin. Was soll man dazu noch sagen? | |
| Bei der Ankündigung seines Rücktritts sagte er, er sei „dankbar für die | |
| Zeit“. So dankt man sich und nicht den Menschen. Falls es noch einen | |
| weiteren Beleg braucht, um zu zeigen, dass es nur um ihn geht, hier ist er. | |
| 6 Sep 2014 | |
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| ## AUTOREN | |
| Waltraud Schwab | |
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