# taz.de -- EuGH-Richter über Google-Urteil: „Das Recht auf Privatheit über… | |
> Das Urteil war kein Angriff auf die Pressefreiheit, sagt Koen Lenaerts, | |
> Vizepräsident des EU-Gerichtshofs. Das Gericht sei ein Schützer von | |
> Demokratie und Grundrechten. | |
Bild: Hier endet das Recht der Internetnutzer. | |
taz: Herr Lenaerts, das [1][Google-Urteil des Europäischen Gerichtshofs] | |
hat viele begeistert, weil Sie ein großes Unternehmen in die Schranken | |
verwiesen haben. Andere aber sehen eine [2][Einschränkung der | |
Pressefreiheit]. | |
Koen Lenaerts: Da ist leider auch viel missverstanden worden. So geht es in | |
dem Urteil zum Beispiel gar nicht um die Löschung von Inhalten in | |
Pressearchiven oder anderen Quellen. Es geht nur um den Konflikt einer | |
Privatperson mit einer Suchmaschine, hier Google. Wir haben entschieden: | |
Eine Privatperson kann verlangen, dass bestimmte Inhalte in den | |
Suchergebnissen zu ihrer Person nicht mehr auftauchen. | |
Geht es dabei nur um veraltete oder verleumderische Inhalte? | |
Im vorgelegten spanischen Fall ging es um überholte Informationen über eine | |
Zwangsversteigerung aus dem Jahr 1998. Doch der Anspruch, Links aus | |
Suchergebnissen zu entfernen, ist nicht auf veraltete oder rechtswidrige | |
Informationen beschränkt. Grund ist vielmehr, dass Suchmaschinen die | |
Bildung eines mehr oder weniger detaillierten Profils der Person | |
ermöglichen. | |
Der spanische Kläger berief sich auf ein „Recht auf Vergessenwerden“. Gibt | |
es nun ein solches Recht? | |
Der EuGH hat sich in seiner Begründung nicht auf ein solches Recht berufen. | |
Wir haben kein neues Recht erfunden, das ist nicht die Aufgabe des | |
Gerichtshofs. Wir haben vielmehr die EU-Datenschutz-Richtlinie ausgelegt. | |
Danach ist eine Datenverarbeitung nur zulässig, wenn nicht die Interessen | |
und Grundrechte der betroffenen Person vorgehen. Wir kamen zum Schluss, | |
dass die wirtschaftlichen Interessen der Suchmaschinenbetreiber den | |
Eingriff in das Recht des Betroffenen auf Privatleben und den Schutz der | |
persönlichen Daten nicht rechtfertigen können. | |
Und was ist mit dem Recht der Internetnutzer auf Informationsfreiheit? | |
Es ist schon fraglich, ob sich ein Suchmaschinenbetreiber auf Rechte seiner | |
Nutzer berufen kann. Aber wir haben entschieden, dass im Allgemeinen auch | |
das Recht der Internetnutzer nicht das Recht der Betroffenen auf Privatheit | |
und Datenschutz überwiegt. | |
Welche Rolle spielen Meinungs- und Pressefreiheit derjenigen, die die | |
unerwünschte Information im Internet veröffentlicht haben? | |
Das war hier nicht zu entscheiden. Es ging um den Konflikt zwischen einer | |
Privatperson und Google Spain. Die Zeitung, die einst die Information über | |
die Zwangsversteigerung veröffentlicht hatte, war an diesem Streit nicht | |
beteiligt und hat auch nicht Stellung genommen. Wir sagen im | |
Google-Spain-Urteil nichts über Presseorgane. | |
Wenn Medien von solchen Löschungsanträgen nichts erfahren, können sie auch | |
nicht Stellung nehmen oder vor Gericht gehen … | |
Nochmals: Die Rolle der Presseorgane war nicht Gegenstand der spanischen | |
Vorlage. Wir sind nur an einem einzigen Punkt über die Vorlage | |
hinausgegangen, um Missverständnisse zu vermeiden. So haben wir | |
klargestellt, dass es andere Lösungen geben kann, wenn Personen einen | |
Antrag stellen, die in der Öffentlichkeit herausgehoben sind. In solchen | |
besonders gelagerten Fällen hat das Recht auf Privatheit nicht automatisch | |
Vorrang, vielmehr ist eine offene Abwägung anzustellen. | |
Aber wann genau ist eine Person in der Öffentlichkeit herausgehoben? | |
Dazu mussten wir nichts sagen, weil der Kläger im vorgelegten Fall | |
jedenfalls keine derartige Person war. Wir wollten nur andeuten, dass es | |
auch andere Fälle mit anderen Lösungen geben kann. Mit dem | |
Google-Spain-Urteil haben wir keine Türen geschlossen. Das ist ganz wichtig | |
zu sehen. | |
Haben Sie nicht zu viele Fragen offengelassen? Sie enttäuschen die | |
europäische Öffentlichkeit. | |
Ein Gerichtshof ist ein Gerichtshof und kein Gesetzgeber. Wir machen nicht | |
Aussagen zu allem, was Sie oder andere für wichtig halten. Wir entscheiden | |
nicht alle Varianten eines Falles, damit es gleich eine schöne Erläuterung | |
eines ganzen Rechtsgebietes gibt. Nein, wir entscheiden von einem Fall zum | |
nächsten und nur das, was für den jeweiligen Fall erforderlich ist. Nur | |
dann gehen wir methodologisch sauber vor. | |
Mit dem Urteil zu Google und dem zur Vorratsdatenspeicherung hat der | |
Europäische Gerichtshof in diesem Jahr schon für zwei Paukenschläge | |
gesorgt. Wollen Sie in Europa eine ähnliche Rolle spielen wie das | |
Bundesverfassungsgericht in Deutschland? | |
Der Gerichtshof hat gezeigt, dass ihm als Schützer der Demokratie und der | |
Grundrechte vertraut werden kann. Er nimmt seine Aufgabe als | |
Verfassungsgericht der EU wahr – neben allen anderen Rollen. | |
Welche Rollen hat der Europäische Gerichtshof noch? | |
Wir legen die EU-Richtlinien und -Verordnungen aus und sind damit auch das | |
höchste Zivil-, Verwaltungs-, Finanz-, Arbeits- und Sozialgericht der EU. | |
Wäre ein separates EU-Verfassungsgericht nicht effizienter? | |
Das deutsche Modell ist nicht das allein mögliche. Von 28 EU-Staaten haben | |
nur 18 ein spezielles Verfassungsgericht. Bei den übrigen 10 EU-Staaten | |
werden Verfassungsfragen vom obersten nationalen Gericht mit entschieden, | |
etwa in den Niederlanden oder in Skandinavien. Oft lassen sich | |
Verfassungsfragen und die Auslegung des EU-Rechts auch gar nicht einfach | |
trennen. | |
Verdrängt der EuGH das Bundesverfassungsgericht? | |
Nein, wir haben unterschiedliche Aufgaben und schützen die Grundrechte | |
arbeitsteilig. Der EuGH ist zuständig für den Grundrechtsschutz bei der | |
Durchführung von EU-Recht. Sein Maßstab ist die EU-Grundrechtecharta. Und | |
die Verfassungsgerichte der EU-Staaten sind für den Schutz gegenüber | |
nationalem Recht zuständig. Ihr Maßstab sind die nationalen Verfassungen, | |
zum Beispiel das deutsche Grundgesetz. | |
Und was gilt bei nationalem Recht, mit dem EU-Recht durchgeführt wird, wie | |
bei der Vorratsdatenspeicherung? | |
Da gibt es teilweise zweifachen Grundrechtsschutz. Das | |
Bundesverfassungsgericht hat 2010 das deutsche Gesetz zur | |
Vorratsdatenspeicherung beanstandet und der EuGH 2014 die zugrunde liegende | |
EU-Richtlinie. | |
Sie haben vorhin das Verhältnismäßigkeitsprinzip erwähnt. Prüfen Sie die | |
Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen mit den gleichen Methoden wie das | |
Bundesverfassungsgericht? | |
Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit haben wir im Einklang mit der deutschen | |
Verfassungsrechtsprechung ausgearbeitet. Allerdings gibt es im | |
angelsächsischen Recht ein ähnliches Instrument, den | |
less-restrictive-alternative-test. | |
Orientiert sich der EuGH vor allem am deutschen Recht? | |
Nein. Der EuGH arbeitet viel mit Rechtsvergleichung. Wenn wir einen | |
Rechtsbegriff im EU-Recht auslegen, dann untersuchen wir zuerst, wie er in | |
den 28 Rechtsordnungen ausgelegt wird … | |
… und übernehmen die Variante, die Sie am häufigsten finden? | |
Natürlich nicht. Wir wählen die Variante, die den Zielen des EU-Rechts am | |
besten entspricht – und die in anderen Mitgliedsstaaten nicht als | |
schockierend und völlig unvernünftig empfunden wird. Es geht ja immer auch | |
um die Akzeptanz einer Lösung. | |
20 Sep 2014 | |
## LINKS | |
[1] /Urteil-des-Europaeischen-Gerichtshofs/!138361/ | |
[2] /Journalist-laesst-bei-Google-loeschen/!146196/ | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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