| # taz.de -- Greenpeace-Aktivist über russische Haft: „Heute wäre so eine Ak… | |
| > Der Greenpeace-Aktivist Dima Litvinov wollte gegen Gazprom demonstrieren. | |
| > Er landete im Gefängnis. Hat er die russische Regierung unterschätzt? | |
| Bild: Die „Arctic Sunrise“ beim Verlassen des Hafens von Murmansk. | |
| taz: Herr Litvinov, vor einem Jahr lief eine von Ihnen geleitete Aktion | |
| spektakulär aus dem Ruder: Ihr Boot wurde geentert und beschlagnahmt, Sie | |
| und 29 Mitstreiter wurden verhaftet. War die Aktion ein Fehler? | |
| Dima Litvinov: Unsere Kampagne gegen die Ölbohrungen läuft ja schon seit | |
| sechs Jahren. Wir hatten geklagt, weil der umstrittenen Bohrinsel | |
| „Prirazlomnaya“ die Genehmigungen fehlen und es praktisch keine Maßnahmen | |
| gegen eine Ölpest gibt. Das hatte alles keinen Effekt. | |
| Ihre Aktion offenbar auch nicht, denn inzwischen wird dort Öl gefördert. | |
| Ist die Kampagne gescheitert? | |
| Wir versuchen, die größte Industrie der Welt, die Ölindustrie, daran zu | |
| hindern, in eine Gegend zu gehen, die für sie strategisch sehr wertvoll | |
| ist. Zu glauben, dass wir das mit einer einzigen Aktion stoppen können, | |
| wäre absurd. Das ist Teil einer viel größeren Kampagne. Russland hat etwas | |
| für uns getan: Heute redet man selbst in Südamerika darüber, dass die | |
| Ölsuche in der Arktis problematisch ist, denn mit uns saßen auch zwei | |
| Argentinier in Russland im Gefängnis. Das Ganze hat auch gezeigt, wozu | |
| Ölfirmen und Regierungen fähig sind, um Protest zu stoppen. | |
| Hatten Sie die russische Regierung unterschätzt? | |
| Als wir die gleiche Aktion ein Jahr vorher machten, gab es von den Behörden | |
| keine Reaktion. Im Gegenteil: Eines der russischen Küstenwachschiffe hat | |
| der Bohrinsel mitgeteilt: Wir können uns nicht einmischen, weil sich das | |
| alles außerhalb unserer Hoheitsgewässer abspielt. Es gab keine Anzeichen, | |
| dass Russland dabei war, sich in einen Schurkenstaat zu verwandeln. Wenn | |
| jemand gesagt hätte, in einem Jahr ist die Krim annektiert und bewaffnete | |
| Aufständische werden in die Ukraine geschickt, hätten wir gesagt: Mach dich | |
| nicht lächerlich! | |
| Was war 2013 anders? | |
| Es war das dritte Mal, dass ich in diesen Gewässern von der russischen | |
| Marine verhaftet wurde. Das erste Mal fuhren wir 1990, mitten ins geheime, | |
| total gesperrte Atombombentestgebiet auf Nowaja Semlja. Wir haben jede | |
| mögliche Regel verletzt, wurden verhaftet, nach Murmansk gebracht – und | |
| nach einer Woche entlassen. 1992 haben wir die Versenkung von Atommüll | |
| dokumentiert. Auch da sind wir in verbotenen Gewässern unterwegs gewesen, | |
| haben Warnschüsse ignoriert, wurden verhaftet – und freigelassen. 2012: | |
| keine Reaktion. Als wir also 2013 planten, wussten wir, das würde | |
| angespannter werden, die Pussy-Riot-Leute waren verhaftet worden. Aber wir | |
| dachten: Wir sind ja in internationalen Gewässern. | |
| Wann haben Sie realisiert, dass es diesmal ernst wurde? | |
| Als die Soldaten aus dem Helikopter mit Masken und Gewehren auf unserem | |
| Schiff landeten. Sie sahen aus wie Ninja Turtles. | |
| Was war vorher passiert? | |
| Die Küstenwache hatte unsere zwei Kletterer brutal von der Bohrinsel | |
| geschüttelt und als Geiseln genommen. Wir hatten die Insel umkreist und | |
| ihre Freilassung gefordert. Dann begannen sie, mit ihrer Kanone Salven vor | |
| unseren Bug zu schießen: ein kriegerischer Akt russischer Streitkräfte | |
| gegen ein Schiff unter niederländischer Flagge. | |
| Wie erlebten Sie das Entern? | |
| Ich saß in der Messe und aß ein Sandwich, da schrie jemand: Ein Helikopter | |
| kommt. Als ich rauskam, hing der über uns, wie in einem Kriegsfilm. Sie | |
| warfen einen Draht runter, um sich abzuseilen, wir schmissen ihn über Bord. | |
| Trotzdem kam der erste Soldat runter, bedrohte uns mit einem | |
| Maschinengewehr und schrie rum. Dann kamen seine Kameraden. Ich habe | |
| versucht, zu lächeln und freundlich zu sagen: Sie dürfen hier nicht sein, | |
| das ist niederländisches Hoheitsgebiet, ohne Visum dürfen Sie nicht hier zu | |
| sein, doch es kamen immer mehr. Ich rannte zur Brücke, wurde zu Boden | |
| geworfen, schaffte es schließlich hinein. Da rissen die Soldaten alle | |
| Kameras und Kommunikationseinrichtungen aus Steckern und Wänden. Dann | |
| wurden wir eingesperrt. Die Soldaten tranken all unseren Alkohol, und am | |
| nächsten Tag waren viele von ihnen seekrank und hatten einen Kater. | |
| Ihre Besatzung wurde ins Gefängnis gebracht. Was warfen Ihnen die Behörden | |
| vor? | |
| Schwere Piraterie. Dafür gibt es mindestens zehn Jahre, das wurde uns immer | |
| wieder gesagt. | |
| Wie wurden Sie behandelt? | |
| Nicht sehr gut. Wir wurden getrennt, es war dreckig und sehr kalt, das | |
| Essen war schrecklich. Wir hatten das Recht auf 15 Minuten warmes Wasser | |
| pro Woche, für Duschen und Kleiderwäsche. Das Schlimmste war die Isolation | |
| von den anderen und der Außenwelt und die Unsicherheit: Werden es zwei | |
| Monate, ein Jahr oder wirklich zehn Jahre? Und dann denkst du: Das habe ich | |
| nicht verdient. Mein Zellennachbar Sascha wurde auch nicht nett behandelt, | |
| aber er hat seiner Frau den Schädel eingeschlagen. Und wir? Wir waren in | |
| internationalen Gewässern eine Stahlwand hochgeklettert, um ein Transparent | |
| hochzuhalten. | |
| Gab es psychischen Druck? | |
| Ja, vom Geheimdienst und vom Gefängnischef. Das war Teil einer | |
| Einschüchterungsstrategie: Sie wollten, dass ich ohne Anwalt Aussagen | |
| mache, und drohten, mein Leben noch viel härter zu machen. Der | |
| Gefängnischef war ein Psychopath oder hat einen gespielt, er hat lange | |
| Monologe geführt und zwischen Drohung und Beschwichtigung geschwankt. Das | |
| hat mir echt Angst gemacht: So ein Kerl hat totale Macht über dich! Einmal | |
| wurde ich für zwei Tage in eine Strafzelle gebracht, ein dreckiges Loch, | |
| wie eine öffentliche Toilette. | |
| Wurden Sie auch körperlich misshandelt? | |
| Die Transporte innerhalb von Murmansk waren schrecklich: Die Wächter | |
| schüchtern dich ein, du wirst nicht geschlagen, aber rumgeschubst, du | |
| bekommst Handschellen, und dann wirst du im Lastwagen in eine Metallbox | |
| gequetscht, die ist wie ein enger Spind, wenn deine Beine zu lang sind, | |
| kannst du nicht richtig sitzen. Du musst auf die Toilette? Dein Pech. Ich | |
| war da nie länger als eine Viertelstunde, aber andere von uns saßen da | |
| stundenlang. Das war wirklich übel. | |
| War es die Sache wert? | |
| Wenn ich wüsste, ich bekomme das, was wir erreicht haben, für zwei Monate, | |
| natürlich. Aber die Frage ist viel schwerer zu beantworten, wenn du nicht | |
| weißt, ob es zehn Jahre bedeutet. Wäre es das wert gewesen, für meine Frau | |
| und meine Kinder? | |
| Würden Sie es wieder tun? | |
| Ich kann ja nicht einfach aufhören und die Zukunft des Planeten an Gazprom | |
| und Exxon übergeben. Aber heute wären wir sehr dumm und verantwortungslos, | |
| wenn wir noch einmal eine solche Aktion in Russland planen würden – vor dem | |
| Hintergrund, wie sich die russische Regierung in der Ukraine verhält. | |
| Greenpeace-Aktionen wirken nur dort, wo es freie Presse und Rechtsstaat | |
| gibt. Wie gehen Sie mit dem Fehlen von Zivilgesellschaft Russland, | |
| Indonesien, China oder Indien um? | |
| Direkte Aktionen sind nicht überall richtig. Auch in den USA bekommst du | |
| sehr harte juristische Reaktionen. Aber in einer Kampagne gibt es viele | |
| Instrumente. Du suchst dir die effektivsten raus – und die, die kein | |
| inakzeptables Risiko beinhalten. | |
| Müssen Aktionsformen in diesen Ländern weicher werden? | |
| Schlauer und flexibler. Wir können nicht überall die gleiche Taktik | |
| anwenden. Vor 30 Jahren haben wir in Indonesien noch keine Kampagnen | |
| gemacht. In China haben wir zuerst eine Zehn-Sekunden-Aktion auf dem | |
| Tiananmen-Platz gemacht, danach war das Land jahrelang für uns gesperrt. | |
| Dann haben wir eine Bibliothek mit Umweltvideos eröffnet, dann ein kleines | |
| Büro, dann mit Pandas und Eisbären demonstriert, dann gegen eine US-Firma | |
| in China. Inzwischen sagen uns manche NGOs, dass wir zu den Vorkämpfern der | |
| Demokratisierung gehören. Wir verschieben die Grenzen Millimeter um | |
| Millimeter. In Russland nützt oft der Gang zu den Gerichten, weil viele | |
| Umweltprobleme gegen Gesetze verstoßen. | |
| Sie loben die russische Justiz? Nach Ihren Erfahrungen? | |
| Die Justiz dort wird von der Politik benutzt. In der Arktis geht es nicht | |
| nur um Öl, sondern wir haben Russland als Ausländer auf einem geopolitisch | |
| wichtigen Gebiet herausgefordert. Da geht es um Territorium. Die Reaktion | |
| war: Leg dich nicht mit uns an! Das ist nicht so anders als das, was in der | |
| Ukraine passiert. | |
| Eine schlechte Nachricht für eine Umweltorganisation mit internationalem | |
| Aktionsradius? | |
| Ja, eine schlechte Nachricht für die ganze Welt, für Stabilität und | |
| Sicherheit. In Kriegsgebieten kann man keine Umweltaktionen machen. Wir | |
| gehen nicht zwischen die Kämpfer und rufen: Hört auf zu schießen! oder: Nur | |
| über unsere Leichen! Denn dann machen sie darüber weiter. Dieses Opfer | |
| werde ich nicht bringen. Und ich werde es auch von niemandem verlangen. | |
| 29 Sep 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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