# taz.de -- Debatte Gleichstellung des Islam: Steuergeld für Moscheen | |
> Islamische Gemeinden in Deutschland brauchen staatliche Finanzhilfen. | |
> Sonst bleiben sie von der Türkei oder Saudi-Arabien abhängig. | |
Bild: Freier Eintritt: Besuchstag in der Sehitlik-Moschee am 3. Oktober | |
Antimuslimische Kommentare und Rundmails kursieren durch das Netz. Die | |
Rassisten, die im wahren und digitalen Leben als „Islamkritiker“ nach | |
schneller Anerkennung suchen, haben wieder eine ausgezeichnete Steilvorlage | |
gefunden: Die islamische Sehitlik-Gemeinde in Neukölln wollte gegen Homo- | |
und Transphobie in Deutschland und unter Muslimen ein Zeichen setzen und | |
lud LGBTQ-Vertreter in die Moschee für ein Gespräch ein. | |
Thema sollten auch die verbreiteten antimuslimischen und rassistischen | |
Ressentiments unter Schwulen und Lesben sein. Doch die Veranstaltung wurde | |
wegen politischen Drucks aus der Türkei abgesagt, offiziell „verschoben“. | |
Als das Dialogtreffen angekündigt wurde, blieben diese „Islamkritiker“ | |
stumm, nun finden viele in der Absage einen Beweis dafür, dass „Muslime | |
nicht in unser Wertesystem passen“. Laut dieser Lesart sind „alle Muslime | |
homophob“ – und plötzlich werden islamophobe Kommentatoren Freunde der | |
Schwulen- und Lesbenbewegung. | |
Doch was hat eigentlich der türkische Staat mit einer Moschee in Berlin zu | |
tun? Die Sehitlik-Moschee ist Teil der Türkisch-Islamischen Union der | |
Anstalt für Religion (Ditib), die vom staatlichen Präsidium für Religiöse | |
Angelegenheiten der Türkei in Ankara per deutsch-türkischem Staatsvertrag | |
abhängig ist. Ohne das Geld aus der Türkei gäbe es die Sehitlik und viele | |
andere Moscheen in Deutschland nicht. | |
## Zwangsfinanzierung durch andere Staaten | |
Die sogenannten Islamkritiker werfen den Moscheegemeinden in Deutschland | |
häufig vor, dass sie ausschließlich die Interessen und Sitten der | |
jeweiligen Herkunftsländer vertreten würden. Sie seien weder unabhängig | |
noch integrationsfähig. Diese Kritiker lassen dabei bewusst außer Acht, | |
dass die Gemeinden vom deutschen Staat dazu gezwungen werden, sich bei der | |
finanziellen Unterstützung an andere Staaten zu wenden. | |
Christen haben die Kirchensteuer, Juden die Kultussteuer – Muslime haben | |
dieses Privileg nicht. Die Kirchensteuer der Mitglieder der Kirchen macht | |
den größten Teil ihrer Einnahmen aus. Zusätzlich zu diesem Geld erhalten | |
Kirchen und Synagogen jährlich mehrere hundert Millionen Euro für | |
Staatsleistungen als Träger sozialer Einrichtungen zum Beispiel. | |
Allein die katholische Kirche hat ein jährliches Einkommen von etwa 5,5 | |
Milliarden Euro in Deutschland, nur über die Kirchensteuer: Für muslimische | |
Gemeinden, die ein Fünftel so viel Mitglieder zählen, bedeutet dies | |
jährlich ein Verlust von mehr als 1 Milliarde Euro, die in Dialogprojekte, | |
wie nun von der Sehitlik-Moschee intendiert, investiert werden könnten – 1 | |
Milliarde Euro, die Unabhängigkeit von den Regierungen in Ankara, Riad und | |
Rabat bedeuten würden. | |
## „Importierte“ Imame ohne Deutschkenntnisse | |
Solange Muslime keine Kirchensteuer zahlen und einnehmen dürfen, müssen | |
ihre Gemeinden auf das Ehrenamt und auf im Ausland ausgebildete Imame | |
bauen. Diese „importierten“ Geistlichen sprechen dann oftmals kein Deutsch | |
und kennen die Lebensumstände der Muslime in Deutschland wenn überhaupt, | |
dann nur aus Erzählungen. | |
Doch Muslime müssen nicht nur auf ein Steuerprivileg verzichten. Das | |
Problem liegt tiefer in der Struktur und in den Vorbehalten gegenüber den | |
„anderen“. Die staatliche Diskriminierung in Deutschland nimmt so multiple | |
Formen an: Obwohl wir offiziell in einem säkularen Staat leben, dürfen nur | |
Kirchenglocken läuten, der Muezzin dagegen darf die Gläubigen nicht mal zum | |
wichtigsten muslimischen Gebet am Freitag rufen. Es würde die öffentliche | |
Ordnung stören, so das Argument der Behörden. | |
Muslimische Bestattungen, die ja ohne Sarg stattfinden, sind außer in ein | |
paar Bundesländern ebenfalls verboten, und zwingen damit viele deutsche | |
Muslime, ihre Leichen ins Ausland zu transportieren. Dabei gibt es durchaus | |
Migranten, die hier beerdigt werden wollen. | |
Doch der deutsche Staat erlaubt keine sarglose Beerdigung: Der Grund dafür | |
ist eine Regelung aus dem 17. Jahrhundert. Damals waren die Menschen noch | |
unsicher, ob jemand tot ist oder nicht, und bewahrten die Leichen zur | |
Sicherheit 48 Stunden in einem Sarg auf, bevor sie begraben wurden. Im 21. | |
Jahrhundert müssen wir aber keine Angst vor Scheintoten haben. | |
## „Rückständigkeit des Islam“ | |
Die Lage in den Rundfunkräten ist ebenfalls nicht ideal: Im Jahr 2013 war | |
Radio Bremen der erste öffentlich-rechtliche Sender mit einem muslimischen | |
Vertreter im Rundfunkrat. „Muslime in Bremen stellen eine Gruppe von großer | |
gesellschaftlicher Relevanz dar“, erklärte damals die Landesregierung. Die | |
Hansestadt hat den gesellschaftlichen Wandel eingesehen, in anderen | |
Bundesländern ist man noch nicht so weit. | |
Bislang werden Muslime in den Aufsichtsgremien von sieben ARD-Anstalten, | |
des ZDF und des Deutschlandradios nicht über einen eigenen Sitz | |
repräsentiert. Das ist ein Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung – | |
und vernachlässigt 5 Prozent der Bevölkerung, die ebenfalls GEZ-Gebühren | |
bezahlen. | |
Doch wenn es ums Geld geht, kann man die Schieflage beziffern. Die | |
Exklusion aus dem Steuersystem verursacht also eine Abhängigkeit der | |
eigentlich deutschen Moscheen von Agenden anderer Regierungen. Die | |
staatliche Nichtanerkennung der muslimischen Gemeinschaften und ihrer | |
Bedürfnisse verhindert die Integration der Muslime in Deutschland im | |
Besonderen. | |
Dass die Veranstaltung gegen Homophobie in der Sehitlik-Moschee abgesagt | |
wurde, ist kein Beweis für die „Rückständigkeit des Islams“, wie es in | |
einschlägigen Foren heißt. Es illustriert nur, dass Muslime in Deutschland | |
nicht die Voraussetzungen haben, um ein selbstbestimmter und | |
gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft zu sein. | |
Unsere 5 Millionen muslimischen Mitbürger werden erst dann integrierte, | |
vollwertige Bürger, wenn Staat und Gesellschaft dies zulassen. Solange sich | |
diese nicht selbst überwinden, überlassen wir den Regierungen der Türkei | |
und Saudi-Arabiens die Entscheidung, ob zum Beispiel Schwule, Lesben und | |
Transsexuelle in einer Moschee ihren Platz bekommen oder nicht. Und wir | |
geben Rassisten immer wieder Grund für Schadenfreude. | |
26 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Armin Langer | |
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