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# taz.de -- Ebola-Tagebuch – Folge 46: Bitte berühr mich nicht
> Was macht Ebola mit einer Millionenstadt? Das Tagebuch eines
> sierra-leonischen Lehrers aus Liberias Hauptstadt Monrovia.
Bild: Regenzeit. Monrovia, Ende September.
Prince Sackie Junior, 28, ist Soziologe, kommt aus Sierra Leone und lebt
seit zwei Jahren in Monrovia. Die Hauptstadt Liberias hat gut eine Million
Einwohner und liegt an der Atlantikküste. Bis zum Ausbruch der Ebola-Seuche
hat Prince dort Schüler in Soziologie, Sozialkunde und Geographie
unterrichtet. Vor vier Wochen haben wir mit ihm auf Facebook gechattet, um
etwas über den Alltag in Monrovia zu erfahren. Seitdem hat er Tagebuch
geführt. „Prince Sackie Junior“ ist ein Pseudonym.
##
Ein Mann drei Straßen weiter wurde vom Ebola-Team abgeholt. Sie kommen in
weißen Wagen und weißen Anzügen und zerren die Leichen auf schwarzen Planen
aus den Häusern, über Straßen, die nass sind in der Regenzeit. Manchmal
flackert auf einem der Wagen ein kleines orangefarbenes Licht. Später kam
die Leiche des Mannes wieder zurück – er war negativ auf Ebola getestet
worden. Wahrscheinlich hatte er Tuberkulose.
Vor einigen Monaten nach einem langem Tag, ich war abgekämpft und mein Kopf
müde, sagt ein Freund zu mir: „Prince, es gibt eine neue Seuche in der
Stadt, sie heißt Ebola.“ Er erzählte, dass niemand, der sich damit
angesteckt hat, je überlebt hat. Und dass die Seuche dort, wo sie herkam,
ganze Dörfer ausgelöscht habe.
Ich nahm die Neuigkeiten nicht ernst. Bis zum nächsten Tag, als ein anderer
Freund dasselbe erzählte. Er sagte, er habe Patienten mit seinen eigenen
Augen gesehen.
Im August stiegen die Ebola-Fälle in Liberia auf tausend und mehr. Es gab
Gerüchte, dass das Wasser vergiftet worden war und dass eine gewisse Queen
Sheeba aus Indien das Virus nach Liberia gebracht hatte, als sie bei der
Präsidentin zu Besuch war. In fast jedem Hauseingang standen jetzt Eimer
mit Chlorwasser. Die Menschen wuschen sich damit die Hände, bevor sie ein
Haus oder ein Büro betraten.
Die Leichen, die positiv auf Ebola getestet werden, kommen nie zurück. Mir
persönlich tun die Familien leid. Stell dir vor, es wäre dein Vater, deine
Schwester. Wie würde es dir damit gehen?
##
Ich bin heute um sieben Uhr aufgewacht mit den immer wiederkehrenden
Fragen, wovon ich leben soll. Über Nacht kam Regen.
Ich hatte nur noch 20 liberianische Dollar übrig, und habe mir davon eine
Gallone Wasser gekauft, etwa vier Liter, um mich zu waschen. Obwohl die
Quelle überfüllt war, hielten alle Abstand voneinander. Und fast jeder
sagte denselben Satz: „Bitte berühre mich nicht. Ebola is real.“ Ebola gibt
es wirklich.
Es war nicht einfach, Wasser zu bekommen, da jeder versucht, so viel wie
möglich nach Hause tragen. Aber einer meiner Studenten, William, wohnt
direkt neben der Quelle. Er hilft mir.
Nachdem ich mich gewaschen hatte – gegen neun Uhr –, bin ich zu Mamba Point
gelaufen, wo das Hauptquartier der Vereinten Nationen in Monrovia ist. Dort
sind eine Menge Arbeitslose, die nach einem Job suchen. Leider war keine
neue Stelle ausgeschrieben – ich habe nur die alte gesehen, die dort schon
seit zwei Wochen hängt und für die ich mich schon beworben habe.
Schließlich bin ich, da ich kein Geld für ein Auto oder ein Taxi hatte, zu
meinem Freund gelaufen, der einen Laptop besitzt und bei dem ich diesen
Text schreiben darf, ohne bezahlen zu müssen, weil ich das Laptop vor
Kurzem repariert habe.
Ich sitze draußen, an der Hauptstraße. Ein paar Leute spielen Lotto. Eine
andere Gruppe will sich den neuen liberianischen Film ansehen: „Ebola in
Prison.“ Einige beschweren sich über die Elektrizitätsgesellschaft, weil es
nur noch zwei Stunden am Tag Strom gibt – und das um zwei Uhr nachts. Ich
sage nichts, ich benutze zu Hause keinen Strom, weil ich es mir nicht
leisten kann.
Es ist drei Uhr nachmittags und ich habe immer noch nichts gegessen. Ich
hoffe, zu Hause etwas zu bekommen. Mein Freund, bei dem ich wohne, bringt
heute seinen Lohn mit.
Sonntag ist der einzige Tag, an dem wir kein Kobo essen müssen – einen Brei
aus Reis, Kassava und Kartoffeln. Olelay, unsere Nachbarin, kocht sehr gut
und sonntags dürfen wir mitessen. Olelay macht sich über mich lustig und
fragt mich, warum ich zur Universität gegangen bin. Sie hat Recht, ich
sollte derjenige sein, der uns mit Essen versorgt. Ich habe ihr gesagt,
dass man nur auf gute Zeiten hoffen kann, wenn man hart arbeitet.
Die letzte Bewerbung, die ich geschrieben habe, war erfolgreich. Aber dann
hat mich der Manager der Bank in ein Hotel eingeladen und wollte mit mir
schlafen. Ich war überqualifiziert für die Stelle – aber ich bin nicht
schwach geworden. Solche Vorfälle entmutigen mich, mich bei Banken oder auf
andere hohe Positionen in Monrovia zu bewerben. Und überall sonst sagen sie
immer wieder: warte, bis Ebola vorbei ist.
Ich habe Gerüchte gehört, dass der Notstand wegen Ebola am 16. November
aufgehoben werden soll.
##
Die Ebola-Krise scheint sich zu beruhigen, es werden weniger Fälle
gemeldet. Jeder wünscht sich, zur Arbeit und zum normalen Leben
zurückzukehren.
Ich war wieder am Mamba Point, bei den Büros von Save The Children und
USAid, auf der Suche nach einer neuen Stellenausschreibung – aber
vergeblich. Letzte Woche habe ich mich auf einen Hausmeisterjob beim
Ministerium für Gender und Entwicklung beworben. Es ist mir egal, ob der
Job komisch ist, Hauptsache ich verdiene Geld.
Zum Glück sind einige meiner Schüler an der Universität angenommen worden.
Ein paar Eltern haben mich angerufen und mir gesagt, wie dankbar sie sind
und wie sehr sie mich schätzen. Ich bin stolz und ruhig. Einige haben
versprochen, bei mir private Stunden zu nehmen, wenn die Sache mit Ebola
vorbei ist.
##
Ich habe heute einige Veränderungen festgestellt. Taxis nehmen nur noch
vier Menschen mit – vorher waren es fünf. Eine Maßnahme gegen Ebola, um den
Körperkontakt zu minimieren. Und ich habe herausgefunden, dass aus einer
Baustelle, die ich schon oft gesehen habe, ein neues Ebola-Zentrum wird –
finanziert von USAid und anderen Spendern.
Heute sind genau zwei Wochen vergangen, ohne dass ich etwas von meiner
Familie in Sierra Leone gehört habe. Meine Mutter hat sonst fast jeden Tag
angerufen, um zu hören, wie es mir geht. Das letzte Mal sagte sie mir, dass
ich mir keine Sorgen machen soll, wenn sie sich nicht meldet. Es könnte
sein, dass sie das Geld braucht, um Essen für die Familie zu kaufen.
Die letzten Ebola-Fälle wurden nicht in Monrovia gemeldet. Aber für mein
Leben ändert sich nichts.
##
Mein Cousin Aiah, der in Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone lebt,
hat mir geschrieben: „Eine Woche Notstand, also sind wir drinnen geblieben.
Sie sagen immer wieder dasselbe: A.B.C, das heißt: Avoid Body Contact,
vermeide Körperkontakt. A.P.C., Avoid Peoples Compound, meide die Wohnungen
von Menschen. Avoid Dead Burial Place, meide Friedhöfe und iss keine toten
Tiere wie Affen, Schimpansen, Fledermäuse und so weiter.“
##
Manchmal frage ich mich, warum das Leben so ungerecht zu mir ist.
Ich komme aus einer polygamen Familie, mein Vater hatte drei Frauen. Meine
Mutter war seine dritte Frau, sein Augapfel. In unserer Familie waren wir
zu fünft.
Mein Großvater hatte eine große Plantage, die mein Vater später geerbt hat.
Mein Vater wurde deshalb im Bürgerkrieg umgebracht. Genauso wie mein
Großvater. Wir gingen nach Bo, in die zweitgrößte Stadt Sierra Leones. Mein
Onkel kümmerte sich um die Familie, bis auch er von Rebellen getötet wurde.
Nach dem Krieg versuchten wir, ein neues Leben zu beginnen. Die ganze
Familie verkaufte Feuerholz und gekochte Bohnen. Meine Mutter konnte es
sich zuerst nicht leisten, dass ich auf eine höhere Schule ging, aber mit
der Hilfe von Freunden schaffte sie es. Auch meine älteste Schwester begann
uns zu unterstützen, aber sie starb 1998 an Krebs.
Als ich mein Examen machte, konnte ich nicht sofort auf die Universität
gehen. Meine Mutter bat mich, ihr etwas Zeit zu geben, um die
Studiengebühren zu verdienen. Mit der Hilfe von Verwandten und Freunden
schaffte sie es. Ich schloss mein Studium an der Njala-Universität 2012 ab
und dachte, dass meine Sorgen jetzt vorbei seien. Aber es war nicht leicht,
einen Job zu finden. Airtel, eine Mobilfunkfirma, stellte mich an, aber
mein Vertrag war auf sechs Monate befristet. Einige Freunde, mit denen ich
studiert hatte, überzeugten mich, es in Liberia zu versuchen.
Ich habe meine Familie verlassen und bin mit ihren Ersparnissen nach
Liberia gegangen. Alle aus der Familie schauen jetzt zu mir auf. Aber in
Liberia ging es nicht voran. Ich hatte nur ein paar Schüler, die ich in
Soziologie, Sozialkunde und Geographie unterrichtet habe. Und Ebola hat
selbst das ruiniert, ich bin in einem fremden Land gestrandet und auf die
Hilfe meines Freundes angewiesen. Manchmal gehen wir hungrig ins Bett. Und
ich spreche kaum mit meiner Familie in Sierra Leone, weil ich kein Geld
dafür habe.
##
Die Ebola-Beerdigungsteams beschweren sich. Sie sagen, dass die
ausländischen Arbeiter vom UNHCR 300 Dollar pro Stunde verdienen, während
sie 300 Dollar monatlich bekommen.
Ein junger Mann namens Willie hat sich 24 Stunden lang auf dem Dach eines
Gebäudes versteckt. Er übergab sich und schrie, dass er starke Schmerzen
habe, dass er sich schwindlig und schwach fühle. Besorgte Leute haben das
Ebola-Team gerufen, das zum Glück schnell kam.
Ich habe ein Ebola-Zentrum in Congo Town besucht und eine Überlebende
gesehen. Ich habe ihren Namen nicht erfahren, aber gehört, dass sie jetzt
als freiwillige Helferin arbeitet.
##
Heute bin ich um 7:33 Uhr aufgewacht und habe Gott um Essen, Arbeit, Schutz
und Führung gebeten. Gegen zwölf bin ich in den Stadtteil Sinkor gegangen,
wo die internationalen Organisationen sind, und habe das Schwarze Brett
nach neuen Stellen abgesucht. Ich hatte Glück, ich habe eine
ausgeschriebene Stelle gefunden, auf die meine Qualifikationen passen: bei
einer NGO als Leiter des „Ebola-Awareness-Teams“. Sie wollen jemanden, der
Soziale Arbeit oder Soziologie studiert hat. Ich werde mich morgen
bewerben.
Ich habe nur noch ein paar Kleider und Hosen und Angst, dass mir hier in
diesem fremden Land etwas passiert. Gleichzeitig mache ich mir Sorgen um
meine Familie, weil die Ebola-Rate in Sierra Leone so angestiegen ist.
##
Der Notstand wurde vor drei Tagen aufgehoben. Die Präsidentin sagte, dass
Liberia jetzt sicher sei. Sie forderte alle Regierungsmitarbeiter auf,
wieder die Arbeit aufzunehmen. Sie ermutigte auch Flüchtlinge
zurückzukehren, da das Land wieder stabil sei.
Zwei arme Kinder, Korto und Aaron, sind vor einiger Zeit verhungert. Zwei
Straßen von mir entfernt haben besorgte Bewohner zwei Mal pro Woche ein
Mittagessen für Kinder unter 15 Jahren organisiert. Leider gab es, als ich
dort war, nicht genügend für all die Kinder, die zum Essen gekommen waren.
Meine Mutter hat mich heute angerufen. Sie sagte, dass es mit Ebola
schlimmer geworden sei in ihrer Gegend.
## Donnerstag, 20. November
Heute hat die Regierung Kinos und Nachtclubs wieder eröffnet. Unglaublich
viele Leute sind an den Strand gegangen. Ich habe Angst vor diesen
Menschenmassen, solange Ebola nicht ausgerottet ist. Und ich habe schon
wieder kein Essen mehr.
Aus dem Englischen von Steffi Unsleber
25 Nov 2014
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