| # taz.de -- Keine Radioaktivität ausgetreten: Störfall in der Ukraine | |
| > Im größten AKW Europas führt ein Störfall zur Notabschaltung des | |
| > Reaktors. Der Ministerpräsident spricht von einem Unfall. | |
| Bild: Angeblich alles unter Kontrolle in Saporischschja (Bild von 2013) | |
| BERLIN taz | Die Ukraine ist beim Störfall in einem Atomkraftwerk offenbar | |
| glimpflich davongekommen. Bereits am vergangenen Freitag wurde nach Angaben | |
| von deutschen und ukrainischen Behörden bei einem Zwischenfall im größten | |
| Atomkraftwerk Europas, dem AKW Saporischschja am Dnjepr, der Reaktorblock 3 | |
| aus Sicherheitsgründen heruntergefahren. Bislang gebe es keinen Hinweis | |
| darauf, dass Radioaktivität ausgetreten sei, hieß es von den Behörden. | |
| Alarmiert wurde die Öffentlichkeit durch eine Aussage des ukrainischen | |
| Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk. Der hatte behauptet, [1][in | |
| Saporischschja habe sich „ein Atomunfall“ ereignet]. Auf einer | |
| Pressekonferenz am Mittwoch widersprach Energieminister Wolodimir | |
| Demtschischin: „Es gibt keine Probleme mit den Reaktoren“, sagte er, von | |
| der Anlage gehe keine Gefahr aus. Bis Freitag sollten die Probleme an Block | |
| 3 der Anlage behoben sein. | |
| Der staatliche Stromkonzern Ukrenergo erklärte, die Anlage sei | |
| heruntergefahren worden und im sicheren „kalten Zustand“. Das heißt, dass | |
| die Kettenreaktion im Reaktor unterbrochen ist und im Reaktorkern selbst | |
| auch keine große Hitze mehr entsteht, die zu einer gefährlichen Situation | |
| führen könnte. „Radioaktive Folgen sind nicht nachweisbar“, hieß es in d… | |
| Erklärung von Ukrenergo. | |
| Das Problem sei im nichtnuklearen Teil der Anlage aufgetreten, erklärte die | |
| deutsche Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) auf Anfrage | |
| der taz. An der Schnittstelle von Kraftwerk und Stromnetz habe es | |
| Schwierigkeiten gegeben. Ein Kurzschluss und Brand hätten einen Generator | |
| stillgelegt. Daraufhin sei die Turbine abgeschaltet worden, die den | |
| Generator antreibt. Diese Abschaltung wiederum habe dazu geführt, dass der | |
| Atomreaktor in Block 3 gemäß den Sicherheitsbestimmungen heruntergefahren | |
| worden sei. Die GRS verfügt über Informationen aus erster Hand, weil sich | |
| derzeit ein Mitarbeiter in der Aufsichtsbehörde in Kiew aufhält. | |
| ## Angst vor einem zweiten Fukushima | |
| Diese Informationen widersprechen den Ängsten vor einem Fukushima-Szenario, | |
| die zuerst geherrscht hatten. Im März 2011 waren im japanischen AKW | |
| Fukushima Daiichi nach einem Erdbeben und Tsunami die Generatoren zerstört | |
| worden, die den Strom für die Kühlwasserpumpen der Reaktoren lieferten. Die | |
| Reaktoren hatten deshalb in ihren Kernen noch genug Wärme produziert, um | |
| die Brennelemente zu einer radioaktiven Masse zu zerschmelzen und die | |
| Reaktorhüllen zumindest teilweise zu sprengen. Seit dem Unfall verseuchen | |
| Tausende Tonnen von hochradioaktivem Kühlwasser das Erdreich rund um das | |
| AKW-Gelände an Japans Ostküste. | |
| Auch Sören Kliem, Leiter des Fachbereichs Reaktorsicherheit am | |
| Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf, sagte der taz: „Das war kein | |
| Atomunfall.“ Der Vorfall würde höchstens mit 0 oder 1 auf der | |
| internationalen Störfallskala INES bei der UN-Atombehörde IAEA gelistet | |
| werden, schätzt er. Eine solche Klassifizierung gibt es aber noch nicht, | |
| und die IAEA erwähnte den Vorfall auf ihrer Homepage am Mittwoch noch | |
| nicht. | |
| Kliems Institut ist mit dem AKW Saporischschja gut vertraut: In den | |
| neunziger Jahren halfen die deutschen Forscher, in den sechs Blöcken eine | |
| „Fernüberwachung“ zu installieren. Seitdem sind Daten aus dem Kraftwerk in | |
| der Ukrenergo-Zentrale abrufbar. „Aus der Entfernung ist es schwierig, | |
| etwas über den Zustand der Anlage zu sagen“, meinte Kliem. „Aber jede | |
| Anlage ist nur so gut wie ihre Wartung.“ | |
| ## Immer wieder Stromausfälle | |
| Der Zustand des Stromnetzes in der Ukraine ist derzeit miserabel. Das Land | |
| schafft es zu Beginn des Winters nicht, die benötigte Energie zu erzeugen. | |
| Immer wieder gibt es großflächige Stromausfälle, wie nach dem Störfall in | |
| Saporischschja 3. In der Vergangenheit waren immer wieder Sorgen laut | |
| geworden, die Atomkraftwerke könnten durch den Konflikt in der Ostukraine | |
| zu Zielscheiben militärischer Aktionen werden. Das AKW Saporischschja liegt | |
| nur etwa 200 Kilometer von der Zone entfernt, in der heftig gekämpft wird. | |
| Auf eine andere Gefahr hatten ukrainische Wissenschaftler in diesem Jahr | |
| hingewiesen: Da sich durch den Konflikt über die Krim und die Ostukraine | |
| die Beziehungen zu Russland so verschlechtert haben, suchen auch die | |
| ukrainischen AKW-Betreiber eher die Nähe von westlichen Konzernen für ihre | |
| Energieinfrastruktur. Doch die Atomkraftwerke, die alle noch aus den Zeiten | |
| der Sowjetunion stammen, seien dringend auf Ersatzteile aus Russland | |
| angewiesen, warnten Wissenschaftler. Wenn der Nachschub zum Erliegen komme, | |
| könne das die Sicherheit gefährden. | |
| Die Sensibilität für Atomunfälle in der Ukraine ist hoch. Denn im Norden | |
| des Landes hatte sich im Frühjahr 1986 die bislang schwerste zivile | |
| Nuklearkatastrophe der Welt ereignet. Am AKW Tschernobyl war ein Reaktor | |
| nach einem Bedienungsfehler in Brand geraten und war unter Betrieb | |
| explodiert. Das Desaster verseuchte die Stadt und die Region und schickte | |
| eine radioaktive Wolke nach Europa. Die Ruine von Tschernobyl ist nach wie | |
| vor so stark verstrahlt, dass sie nicht betreten werden kann. Derzeit wird | |
| bereits das zweite Sicherheitsdach über dem einbetonierten Reaktor vor Ort | |
| gebaut. | |
| Aber Nuklearunfälle sind keine Spezialität der Ukraine. Am Sonntag wurde | |
| nach Angaben von Greenpeace Block 3 des belgischen Atomkraftwerks Tihange | |
| in einem Notverfahren abgeschaltet. Der Grund: ein Feuer in der | |
| Umspannanlage. | |
| Anmerkung: In einer früheren Version des Textes hieß es, ein Mitarbeiter | |
| der GRS habe sich zur Zeit des Vorfalls in der Zentrale von Ukrenergo in | |
| Kiew aufgehalten. Tatsächlich war er bei der Aufsichtsbehörde, nicht beim | |
| Betreiber. | |
| 3 Dec 2014 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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