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# taz.de -- Zwischenfall am „AKW Leningrad“: Heißer Dampf in Sosnowy Bor
> Nachdem ein Rohr geplatzt war, musste ein Block des Kraftwerks
> runtergefahren werden. Es ist unklar, wie radioaktiv der Dampf ist.
Bild: Hier noch intakt: Blick ins AKW Leningrad.
Kiew taz | Im Zweiten Block des „Atomkraftwerkes Leningrad“ bei Sosnowy
Bor, 80 Kilometer westlich von St. Petersburg, hat sich am
Freitagnachmittag ein Störfall ereignet. Heißer Wasserdampf war, nachdem
ein dampfführendes Rohr geplatzt war, in eine Turbinenhalle gedrungen und
aus dieser in die Umwelt ausgetreten. Sofort musste der zweite
Kraftwerksblock manuell heruntergefahren und notgekühlt werden.
Wenige Stunden später wandte sich der Direktor des Kraftwerkes, Wladimir
Pereguda, an die Bevölkerung. Es gebe, so der Atommanager, keinen Grund zur
Beunruhigung. Die radioaktive Strahlung liege im zulässigen Normbereich, es
gebe keine Veranlassung, Personal des Kraftwerkes und die Bevölkerung der
Stadt Sosnowy Bor zu evakuieren. Trotzdem sah sich die Kraftwerksleitung
noch am Freitag veranlasst, alle Mitarbeiter des Kraftwerksblockes, die
nicht unmittelbar in die Produktion eingebunden sind, vorzeitig nach Hause
zu schicken.
Das Gefährdungspotential des entwichenen Dampfes sei nur geringfügig, schob
die Kraftwerksleitung in einer weiteren Erklärung nach. Da der Wasserdampf
nicht radioaktiv gewesen sei, liege die Strahlenbelastung auf dem
Kraftwerksgelände und außerhalb unterhalb des Grenzwertes.
Oleg Bodrow, Sprecher der in Sosnowy Bor aktiven Umweltgruppe „Grüne Welt“
widerspricht. „Ich habe heute selbst die Strahlenbelastung in Sosnovij Bor
gemessen. In der Stadt ist sie tatsächlich unterhalb des zulässigen
Grenzwertes. Doch der Wind hat die Dampfwolke in Richtung des Finnischen
Meerbusen getrieben. Richtig wäre es, dort zu messen.“
## Nur ein Wasserkreislauf im Kraftwerk
Auch die Aussage der Kraftwerksbetreiber, der entwichene Wasserdampf sei
nicht radioaktiv gewesen, weist der Ingenieur und Physiker, der selbst
Jahre in der Atomwirtschaft gearbeitet hatte, zurück. Der Reaktor von
Sosnowy Bor habe nur einen Wasserkreislauf. Das Wasser sei mit
Radioaktivität in Kontakt gekommen, bevor es sich in Dampf verwandelt habe.
„Deswegen war der entwichene Wasserdampf radioaktiv“, so Oleg Bodrow
telefonisch gegenüber der taz.
Viele befürchten, dass die Sache vielleicht doch schlimmer ist als die
offiziellen Verlautbarungen nahelegen. Die [1][Videobotschaft des
Direktors] des AKW Leningrad, Wladimir Pereguda, sei wohl mit sehr heißer
Nadel gestrickt worden. „Und er war offensichtlich nervös“ beschreibt die
in Moskau erscheinende Komsomolskaja Prawda den Online-Auftritt des
Atommanagers.
Das St. Petersburger Internet-Portal [2][fontanka.ru] vergleicht die
jüngste Panik in den sozialen Netzen mit einer ähnlichen Situation 2008.
„Die Apokalypse ist erst mal verschoben“, bemerkt ein anonymer
Internetnutzer sarkastisch. „Wir sollen jetzt zwei Tage lang nicht aus dem
Haus gehen und die Fenster nicht öffnen. Aber ansonsten gibt es keinen
Grund zur Beunruhigung“, schreibt ein anderer Nutzer. Wenn wirklich was
passiert sei, werde man das wohl am ehesten aus Finnland erfahren.
Das Kernkraftwerk Leningrad besteht aus vier Reaktoren vom Typ RBMK mit
einer Leistung von je 1.000 MW. Der zweite Kraftwerksblock von Sosnowy Bor
läuft seit 40 Jahren. Eigentlich hätte seine Laufzeit vor zehn Jahren
geendet. Doch dann hatte man ihn nachgerüstet und eine Laufzeitverlängerung
von weiteren 15 Jahren beschlossen. „Und das alles ohne die vom Gesetz
geforderten öffentlichen Anhörungen und Umweltgutachten“, sagt Oleg Bodrow.
Alle vier Reaktoren von Sosnovij Bor sind Reaktoren vom Typ RBMK. Ein
Merkmal des RBMK-Reaktors ist, dass seine Kettenreaktionen auch dann
fortgesetzt werden, wenn Kühlwasser verloren geht. An den anderen
Atomkraftwerken kommt die Kettenreaktion hingegen beim Verlust von
Kühlwasser automatisch zum Erliegen. Es war ein RBMK-Reaktor, der am 26.
April 1986 in Tschernobyl die bisher größte Katastrophe der Atomenergie
ausgelöst hatte.
19 Dec 2015
## LINKS
[1] https://yadi.sk/i/xsfAc-jpmKTYy
[2] http://www.fontanka.ru/2015/12/18/152/
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
AKW
Russland
Störfall
Radioaktivität
Schwerpunkt Atomkraft
Super-GAU
Schwerpunkt Atomkraft
Ukraine
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