# taz.de -- Jahrestag Tschernobyl-Katastrophe: Super-GAU für die Industrie | |
> Tschernobyl hatte auch weitreichende Folgen für Wirtschaft und Politik. | |
> Mit der Havarie begann das Ende der einst blühenden Atomindustrie. | |
Bild: „Stopp! Verbotene Zone“ – Zaun zur 30-Kilometer-Sperrzone von Tsche… | |
BERLIN taz | Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vom 26. April 1986 war | |
der „größte anzunehmende Unfall“, der sich nicht mehr beherrschen lässt … | |
in der Technik, aber auch für die weltweite Atomindustrie. Die Explosion | |
des Reaktors zerstörte auch die bis dahin gehegten Träume eines | |
Energiezweigs von der Weltherrschaft. | |
Die Technik erwies sich als nicht vollständig beherrschbar; Politik und | |
Wirtschaft zeigten sich unfähig, das Desaster zu entschärfen; die Medizin | |
war überfordert. Und schließlich machte der Unfall klar, wie teuer dieser | |
billige Strom letztlich war. | |
Technik: Der sowjetische Reaktortyp RBMK nutzte Graphit, um die | |
Kernspaltung zu ermöglichen. Dieser problematische Stoff fing Feuer und | |
trug zu der Katastrophe bei. Bei heutigen Reaktoren erfüllt – außer in | |
einigen Blöcken in Russland – meist Wasser diese Funktion. | |
Als Reaktion auf Tschernobyl entwickelte Frankreich den EPR-Reaktor der | |
angeblich besonders sicheren „dritten Generation“. Aktuell haben diese | |
Konstruktionen im französischen Flamanville allerdings mit großen | |
technischen Problemen und hohen Kosten zu kämpfen. | |
Medizin: Wie viele Menschen an den Folgen von Tschernobyl starben, ist | |
nicht geklärt. Die Zahlen schwanken zwischen knapp hundert, die direkt an | |
der Strahlenkrankheit starben, bis zu knapp 100.000 Opfern, die in der | |
Folge an schweren Krebsleiden erkrankten. | |
Politik: Die – viel zu spät angeordnete – Evakuierung der Zone um | |
Tschernobyl machte weltweit deutlich, wie ernst der Unfall war. Die Leitung | |
des AKW Tschernobyl und die sowjetische Führung zeigten sich tagelang | |
unfähig, das Desaster einzugestehen und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Das | |
wiederholte sich nach der Katastrophe von Fukushima. | |
Wirtschaft: Die ökonomischen Folgen sind schwer zu beziffern, werden aber | |
auf „mehrere hundert Milliarden Dollar“ geschätzt. Die Kosten für die | |
Versorgung der Kranken, der Verlust von fruchtbarem Land und die | |
Aufräumarbeiten belasteten den Haushalt der Ukraine noch immer mit etwa | |
fünf Prozent. Allein der Bau des zweiten „Sarkophags“ zur Ummantelung | |
(siehe links) des Unglücksreaktors kostet etwa zwei Milliarden Euro. | |
Industrie: Mitte der 70er Jahre hatte die internationale Atomenergiebehörde | |
IAEO vorausgesagt, bis zum Jahr 2000 würden weltweit Atomkraftwerke mit | |
2.300 Gigawatt Leistung am Netz sein. Es waren dann nur 350 Gigawatt. Denn | |
die Atomkraft war nur bis 1986 eine blühende Industrie, Ende der 80er Jahre | |
brach das Wachstum ein. Geplante AKWs wurden langsam zu Ende gebaut, aber | |
die Begeisterung war vorbei. Die Zahl der AKWs weltweit pegelte sich etwa | |
bei 400 ein, seitdem sinkt sie. | |
Die erhoffte „nukleare Renaissance“, etwa befeuert von der Hoffnung auf | |
eine CO2-arme Energieform in Zeiten des Klimawandels, wurde durch Fukushima | |
durchkreuzt. Nach den Zahlen des unabhängigen „World Nuclear Industry | |
Status Report“ sank die Zahl der laufenden Atomkraftwerke 2014 um neun | |
Prozent auf 388. | |
26 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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